© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/04 10. September 2004

Ein Volk gibt sein Stimmrecht auf
Standortfaktor deutsche Sprache: Die Globalisierung dreht die Uhr um zweihundert Jahre zurück
Hans-Manfred Niedetzky

Mitte des Jahres 2004 glaubten patriotisch gesinnte Menschen ihren Ohren nicht trauen zu können: Der neu gewählte Bundespräsident bekannte gleich mehrfach, Deutschland zu lieben, ohne dafür groß gescholten zu werden. Und wohl unter dem Eindruck, wie die französische Regierung unerbittlich nationale Wirtschaftsinteressen in den Fällen Sanofi/Aventis und Alsthom/Siemens durchsetzte, entdeckten Wirtschaftsführer, -wissenschaftler und -magazine (Managermagazin, 7/2004), daß der Stolz auf die Nation ein Erfolgsfaktor im internationalen Standortwettbewerb ist.

Unter den als wichtig erachteten gemeinschaftstiftenden Faktoren kam die deutsche Sprache bislang nur am Rande vor. Deshalb erscheint es wichtig, zum Tag der deutschen Sprache den Stellenwert der Sprache hervorzuheben.

Tatsächlich könnte die über Jahrhunderte hinweg entwickelte und gepflegte Kultursprache Deutsch nicht zuletzt im internationalen Standortwettbewerb ein nationales Identifikationsmerkmal sein. Doch wie sieht der Zustand der deutschen Sprache aus, welchen Stellenwert hat sie noch?

Betrachtet man das Sprachgebaren von und in deutschen Unternehmen, dann ist eine regelrechte Flucht aus der deutschen Sprache festzustellen. Auf Anordnung von Vorständen wird Englisch als neue Sprache in der deutschen Wirtschaft verankert. Das beginnt bei der Ergänzung des Firmennamens um "Group" und hört bei Aufgabenbezeichnungen wie Change Request Management und Billing (z.B. bei Toll Collect) noch lange nicht auf. So heißen bei Siemens Medizin- und Antriebstechnik nunmehr Medical solutions und Drives. Der Chemiekonzern Altana liefert nur noch Imaging und Coatings.

In Besprechungen wird oft kein Deutsch mehr verwendet, selbst wenn sich keine Fremdsprachigen in der Runde befinden. Was ursprünglich nur in den Führungsebenen gelten sollte, setzen übereifrige Gruppen- und Abteilungsleiter bis in die untersten Ebenen durch. Sachbearbeiter werden angehalten, ihre Wort- und Schriftbeiträge in einer fremden Sprache abzufassen. Wen wundert es, wenn Zusammenkünfte nicht nur länger dauern, sondern von der früheren Effizienz meilenweit entfernt sind. Und mit der sinkenden und nicht wettbewerbsfähigen Arbeitsproduktivität wird dann der Verlagerung von nicht mehr nur gewerblichen Arbeitsplätzen ins Ausland das Wort geredet. Ist unter deutschen global players überhaupt jemand der Frage nachgegangen, welchen Einfluß Englisch als Konzernsprache auf die Produktivität hat? Wer auf deutschen Begriffen beharrt, wird - wie von der Deutschen Lufthansa vorexerziert - arbeitsrechtlich abgemahnt (JF 47/98). Auf diese Weise wird Millionen Beschäftigten die eigene sprachliche Heimat, in der sie denken und fühlen, abspenstig gemacht.

Da haben es Verbraucher in Deutschland noch etwas besser, denn sie werden "nur" mit englischsprachigen Produktbezeichnungen und Werbesprüchen behelligt, die sowieso kaum jemand versteht, wie im vergangenen Jahr die Endmark-Studie (JF 42/03) herausgefunden hat. Bis zu einem gewissen Grad können sich Käufer noch wehren, indem sie sprachpanschenden Unternehmen die kalte Schulter zeigen. Nicht selten zeigt das auch Wirkung: Bei C&A hat "fashion for living" ausgedient. Seit neuestem wird mit "Preise gut, alles gut" geworben. Und die Deutsche Bank, die nach Vorstandsmeinung "not a German bank" ist, hat das wohl ihr selbst unverständliche "leading to results" durch "Leistung aus Leidenschaft" ersetzt. Das englischsprachige Trommelfeuer in der Werbung transportiert auch hier tagtäglich die klare Botschaft, daß Englisch modern, weltoffen und zukunftsgerichtet ist, Deutsch dagegen ein wirtschaftliches Auslaufmodell.

Der schwerwiegendste Angriff auf die deutsche Sprache steht uns allen erst noch bevor. Ausgeführt wird er in einer unheiligen Allianz aus Erziehungswissenschaftlern und Kultusbürokratie, die unter dem Schlagwort "Immersionsunterricht" die faktische Abschaffung von Deutsch als Unterrichtssprache in den Schulen betreiben.

"Englisch ist ein Muß, Deutsch ein Plus"

In sämtlichen Sachfächern wie Mathematik, Chemie, Physik, Biologie, ja selbst Geschichte und Religion soll über sämtliche Schulformen hinweg der Unterricht mittelfristig nur noch auf englisch abgehalten werden. Ganzen Schülergenerationen wird damit vor Augen geführt, daß die deutsche Sprache für das berufliche Fortkommen und im gesellschaftlichen Leben völlig unwichtig ist. Mit öffentlichen Äußerungen wird schon heute Meinung für diese Entwicklung gemacht. Jutta Limbach, als Präsidentin des Goethe-Instituts eigentlich der Förderung der deutschen Sprache verpflichtet, wird nicht müde zu behaupten: "Englisch ist ein Muß, Deutsch ein Plus".

Wenn bedeutsame logische, technische, natur- und geisteswissenschaftliche Sachverhalte und Zusammenhänge nur noch auf englisch vermittelt werden, lassen sich die bestehenden fachspezifischen deutschen Begriffssysteme nicht mehr weiterentwickeln. Damit drohen jahrhundertealte bewährte und anschauliche Begrifflichkeiten verlorenzugehen. Eine solche Entwicklung wäre aber nichts anderes als ein Zurückdrehen der Uhr um gut zwei Jahrhunderte, als es wie so oft in der deutschen Gesellschaftsgeschichte eine sprachliche Abgrenzung der Eliten vom gemeinen Volk gab. Der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant, bezeichnenderweise ein Romanist und kein Germanist, zeichnet eindrucksvoll nach, wie der technische und wissenschaftliche Fortschritt in Deutschland eng mit der Überwindung der Sprachschranken zwischen Gebildeten und dem einfachen Volk zusammenhängt. Die zunehmende, anfänglich heftig bekämpfte Durchsetzung von Deutsch als Lehrsprache an den Universitäten verbreiterte den Wissensstand in allen deutschen Ländern. Für wissenschaftliche und technische Sachverhalte wurde ein umfangreiches, ausdifferenziertes deutsches Begriffsinstrumentarium erarbeitet. Akademiker und Handwerker sprachen zunehmend dieselbe Sprache, was die Verständigung wesentlich erleichterte. Damit war die Umsetzung von Gedanken, Theorien und Plänen in funktionsfähige Werkzeuge und Maschinen ohne größere Verständigungsprobleme möglich geworden. Deutscher Ingenieursgeist traf auf einen hohen Ausbildungsstand deutscher Handwerker und Arbeiter, und diese Symbiose trug maßgeblich zum Aufstieg der deutschen Industrie bei.

Diese Einheitlichkeit der sprachlichen Kommunikation wollen Eliten in Deutschland im Zeichen eines angeblichen Fortschritts unter Hinweis auf eine höhere Wettbewerbsfähigkeit auflösen. Inzwischen wird in Wirtschaftskreisen ernsthaft gefordert, Englisch als zweite Amtssprache in Deutschland einzuführen. Angesichts der von führenden Köpfen in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft betriebenen Demontage der deutschen Sprache stellt sich die Frage, worauf sich ein gesunder deutscher Patriotismus denn gründen könnte. Die angedachte Wirkungskette, mehr Patriotismus führt zu einem höheren Einsatz am Arbeitsplatz und damit zur Überwindung der wirtschaftlichen Lethargie, wird sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Deutschland nicht verwirklichen lassen.

Wieso sollen Deutsche überhaupt Wirtschaftsführer als Leitpersonen anerkennen? Taugt der Ex-Bertelsmann- und neue Karstadt-Chef Thomas Middelhoff wirklich zum Vorbild, der stolz von sich behauptet, er sei ein Amerikaner, der nur zufällig einen deutschen Paß habe? Und was ist von einem Klaus Zumwinkel zu halten, der die Verfügungsgewalt über staatliches, also unser aller Eigentum erhalten hat, dieses dafür einsetzt, in aller Welt mehr oder weniger riskante Beteiligungen einzugehen, im Stammland die Postversorgung in weiten Landstrichen auf das Niveau Dritter-Welt-Staaten herunterfährt? Wer kann sich schon mit einem Klaus Esser identifizieren, der bei der Zerschlagung des gesunden Mannesmann-Konzerns Vermögen und Arbeitsplätze in großem Umfang zerstörte, dafür auch noch Millionensummen kassierte und sich heute als unverstandenes Unschuldslamm fühlt?

Diesen drei und ihresgleichen ist zudem gemein, daß sie bevorzugt mit Anglizismen um sich werfen. Die sprachliche Entfremdung der anglophilen Manager, Politiker und Wissenschaftler von breiten Bevölkerungsschichten birgt mittelfristig einige Gefahren. Wieso sollen sich Deutsche am Arbeitsplatz aus patriotischen Gründen besonders einsetzen, wenn sie als sprachliche Parias behandelt werden? Warum sollen einheimische Produkte gekauft werden, deren Namen und Werbebotschaften erstens nicht verstanden werden und zweitens den Eindruck erwecken, aus allen möglichen Weltregionen, nur nicht aus Deutschland zu stammen? Weshalb soll man sich für ein staatliches Gemeinwesen einsetzen, das mit der Verdrängung der eigenen Sprache die letzten Verbindungen zu den geistigen und kulturellen Wurzeln kappt?

Für ein gesundes Nationalbewußtsein sind allgemein anerkannte geistige Werte vonnöten, auf die wir stolz sein können. Allein ökonomische Kennzahlen können keinen Patriotismus begründen. Alle Bemühungen um die Aufklärung darüber, daß ein gemeinschaftsstiftender Patriotismus ein erfolgsträchtiger Standortfaktor ist, sind zum Scheitern verurteilt, wenn die deutsche Sprache ausgeklammert, ja womöglich noch weiter demontiert wird.

Friedrich Ludwig Jahn hatte als 1848-Kämpfer wohl kaum an Standortfaktoren gedacht, als er mahnte: "Ein Volk, das seine eigene Sprache verlernt, gibt sein Stimmrecht in der Menschheit auf und ist zur stummen Rolle auf der Völkerbühne verwiesen."

Foto: Neue Werbung bei C&A: "Fashion for living" hat ausgedient

 

Prof. Dr. Hans-Manfred Niedetzky ist Vorsitzender des Vereins für Sprachpflege. Der VfS ist Herausgeber der vierteljährlich in Erlangen erscheinenden Zeitung "Deutsche Sprachwelt" (Internet: www.deutsche-sprachwelt.de ).


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