© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/04 17. September 2004

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Demontage
Karl Heinzen

Die Bundesrepublik ist, so legt das Grundgesetz nahe, ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat. Alle drei Facetten stehen in einem inneren Zusammenhang. Für die Politik ergeben sich daraus praktische Konsequenzen. Wer die Leistungen des Sozialstaates zurückschraubt und damit die materielle Sicherheit des Bürgers reduziert, muß ihm auch ein gutes Stück Rechtsschutz entziehen. Ansonsten könnte sich nämlich nicht bloß eine gewisse Asymmetrie zwischen den verschiedenen Beziehungsebenen des Einzelnen zu seinem Gemeinwesen einstellen, sondern vor allem eine unzeitgemäß plebsfreundliche Justiz ein rigides Sparen am Bürgerwohl zu korrigieren versuchen.

Die Justizminister der Länder haben nun Vorschläge auf den Tisch gelegt, wie einer solchen Fehlentwicklung zu wehren wäre. So regen sie zum Beispiel an, die Ebene der Amtsgerichte abzuschaffen. Dies hätte den Vorteil, daß so mancher Mittellose es sich in Zukunft gründlich überlegen würde, ob er tatsächlich den Rechtsweg beschreiten soll, da er ohne juristischen Beistand nicht mehr auskäme und damit ein zusätzliches Kostenrisiko einzukalkulieren wäre. Jene, denen dies noch nicht Abschreckung genug darstellte, soll ferner eine Art "Praxisgebühr", die unabhängig von dem Ausgang des Verfahrens zu tragen sein würde, zum Nachdenken bringen, ob man denn wirklich so kleinlich sein muß, wegen jeder Lappalie gleich vor Gericht zu ziehen.
Nicht mehr in die politische Landschaft passende Urteile würde zudem eine Zusammenlegung der Arbeitsgerichte mit den Landgerichten deutlich zu verringern helfen, da man auf ehrenamtliche, womöglich sogar gewerkschaftsnahe Richter verzichten könnte und somit weniger sachfremde und insbesondere soziale Motive in die Urteilsfindung einfließen würden.

Zu kritisieren ist an diesem Reformpaket jedoch, daß es zwar den Umbau des Gemeinwesens nach neoliberalen Maximen flankiert, selber aber noch nicht wirklich neoliberal ist. Diese Ehrenbezeichnung würde es nämlich erst dann verdienen, wenn es das längst fragwürdig gewordene Justizmonopol des Staates aufzuheben trachtete und auf eine Privatisierung der Gerichte sowie die Implementierung einer Konkurrenz zwischen diesen zielte. Warum soll der Standortwettbewerb auf die Verwaltungen der Länder und Kommunen beschränkt sein, ausgerechnet das Justizwesen aber ausklammern? Die Bürger müßten doch wohl mündig genug sein, sich selbst die Gerichte auszusuchen, von denen sie sich, eventuell unter Leistung adäquater Zahlungen, die Durchsetzung ihrer Interessen versprechen können.
Vor allem aber ist der Vorstoß der Justizminister als unvollständig zu beanstanden. Wer sozialstaatliche Prinzipien antastet, muß eine vergleichbare Demontage nicht nur auf dem Gebiet des Rechtsstaates, sondern auch auf jenem der Demokratie unternehmen. Sonst könnten die Bürger noch auf die Idee kommen, sich ausgerechnet auf dem Umweg über die Wahlen zur Wehr zu setzen.


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