© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/04 17. September 2004

Vorhof zur Hölle
Das berüchtigte DDR-Frauengefängnis Hoheneck soll in ein Erlebnishotel umgewandelt werden
Thorsten Thaler

Burg Hoheneck in Stollberg im Erzgebirge. Zu DDR-Zeiten galt das ehemalige Jagdschloß und spätere Amtshaus, in dem bereits 1861/62 das "Königlich-Sächsische Weiberzuchthaus" eingerichtet wurde, als das berüchtigtste Frauengefängnis. Über vier Jahrzehnte hinweg waren dort neben Kriminellen auch Tausende von politischen Gefangenen inhaftiert; Frauen und Mädchen, die wegen angeblicher Meinungsdelikte ("antisowjetische" bzw. "staatsfeindliche Hetze") oder versuchter Republikflucht eingesperrt wurden; allesamt Opfer politischer Denunziation und der Willkürherrschaft im SED-Staat.

Zeitweise saßen 1.600 Inhaftierte in Hoheneck, der Anteil der aus politischen Gründen Verurteilten lag bei bis zu 40 Prozent. Mindestens 70 Frauen kamen nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) während der Haft bzw. an deren unmittelbaren Folgen ums Leben, darunter mindestens drei Kinder. Nach der Wiedervereinigung diente Burg Hoheneck zunächst weiter als Haftanstalt, bis sie im April 2001 endgültig geschlossen wurde.
Im vergangenen Jahr erwarb die in Chemnitz ansässige Unternehmensberatung Artemis GmbH das vorübergehend leerstehende Areal. Deren Geschäftsführer ist der aus dem Saarland stammende Unternehmer Bernhard Freiberger. Der neue Eigentümer will auf dem Gelände ein Hotel und Tagungszentrum betreiben, eine "Event-Arena" für Theateraufführungen, Musicals und Konzerte.

Bereits vor einigen Monaten hat die Artemis GmbH begonnen, Führungen inklusive Nachtprogramm durch das ehemalige Zuchthaus zu veranstalten. Das Interesse daran ist offenbar groß, etwa 17.000 Besucher haben nach Angaben Freibergers das Angebot bisher genutzt. Die letzten Führungen fanden am vergangenen Wochenende statt; wer wollte, konnte einen Schlafsack mitbringen und für 5 Euro "spontan" in den Zellen übernachten. Ursprünglich wollte Freiberger daraus ein einträgliches Geschäft machen. Ab September sollten reguläre Übernachtungen möglich sein, für 100 Euro inklusive Showprogramm, Frühstück - und echtem "Jailhouse-Feeling". Übernachtungsgäste sollten "das Gefängnisgefühl eines Insassen auf Hoheneck in originalen Zellen" erleben können.
Gegen dieses Vorhaben regte sich auf breiter Front Widerspruch von ehemaligen Häftlingen und aus den Reihen der SED-Opferverbände. "Welchen Aufschrei der Empörung würde es wohl geben, wenn etwa im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen oder Buchenwald jemand auf den Gedanken käme, dort ein solch makabres Schauspiel zu veranstalten", fragte die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft am 10. August in einem Offenen Brief an Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU).

In die gleiche Richtung zielte auch Karl Hafen, Geschäftsführender Vorsitzender der IGFM. "Niemand käme auf den Gedanken, einem Ort, in dem Nazi-Unrecht geschehen ist, einen Wiedererlebniswert zuzugestehen, aber in der DDR-Nostalgie ist wohl alles möglich", erklärte Hafen. Die Vermarktung des ehemaligen Frauenzuchthauses sei "unerhört und unanständig".

Als "bislang unerreichten Gipfel der Geschmacklosigkeit" kritisierte die Geschäftsführerin der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Anne Kaminsky, den Versuch, den Schrecken der Haftanstalt Hohen-eck für ein Hotel zu kommerzialisieren. Dies sei "eine unerträgliche Provokation" für Menschen, die unter der Diktatur in der SBZ/DDR gelitten haben, verfolgt und oft für viele Jahre inhaftiert worden sind, erklärte Kaminsky.

Protest kam auch von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. "Mit dem an Taktlosigkeit kaum zu überbietenden Vorhaben werden das Leiden der ehemaligen Gefangenen banalisiert und ihre Gefühle mit Füßen getreten." Die menschenunwürdigen Zustände in dem damaligen DDR-Frauenknast würden "auf unerträgliche Weise verharmlost", hieß es in einer Stellungnahme der Gedenkstätten-Stiftung.

Wenig Verständnis für die Pläne dürfte auch der heute in Schweden lebende Schriftsteller Ulrich Schacht aufbringen. Er hat eine ganz besondere Beziehung zu Hoheneck, wurde er doch dort am 9. März 1951 geboren. Seine Mutter Wendelgard Trampota, geborene Schacht, war im November 1950, im fünften Monat schwanger, von einem Sowjetischen Militärtribunal wegen Vorbereitung zur Republikflucht und "Verleitung zum Landeshochverrat" zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt worden. In der "Tauwetterperiode" nach Stalins Tod wurde sie im Rahmen einer Amnestie im Januar 1954 entlassen und konnte zu ihrer Familie nach Wismar zurückkehren.

Den Ort seiner Geburt hat Ulrich Schacht bald als Verpflichtung empfunden, sich mit dem Schicksal der Hoheneckerinnen zu beschäftigen. 1973 wurde er selbst wegen "staatsfeindlicher Hetze" verhaftet und zu sieben Jahren Haft verurteilt. Drei Jahre später in die Bundesrepublik entlassen, studierte er in Hamburg und arbeitete als Kulturredakteur der Welt und der Welt am Sonntag. 1984 gab Schacht zum ersten Mal die "Hohenecker Protokolle" heraus. Darin dokumentierte er Aussagen zur Geschichte der politischen Verfolgung von Frauen in der DDR.

Der Band, der jetzt in einer erweiterten Neuauflage vorliegt, enthält die Erlebnisberichte von elf Frauen (darunter Schachts Mutter), die allesamt aus politischen Gründen im Zuchthaus Hoheneck eingesperrt waren. Wer die Aufzeichnungen liest, bekommt eine Ahnung davon vermittelt, warum Hoheneck völlig zu Recht als "einer der zentralen Schreckensorte in der Geschichte der politischen Verfolgung in Deutschland" (Schacht) gilt. Was dieser Ort für die Betroffenen bedeutet hat, schreibt Schacht in seinem Vorwort, dürfe nicht dem Vergessen anheimfallen. Es müsse gesammelt, rekonstruiert, bewahrt werden, "sind doch die nichterinnerten politischen Leiden der Vergangenheit nicht bloß vergessene, sie sind auch zukünftige".

Und so läßt Schacht die Frauen erzählen. Von dem konfliktträchtigen Verhältnis zwischen kriminellen und politischen Gefangenen; von der mangelnden Verpflegung, den hygienischen Mißständen und der Enge in den Zellen; von Zwangsarbeit und dem ebenso ruppigen wie willkürlichen Verhalten der Aufseherinnen und "Erzieherinnen", den Drangsalierungen, Peinigungen und erlittenen Erniedrigungen; von psychischer Folter. Es muß der Vorhof zur Hölle gewesen sein.
Freilich finden sich in den erschütternden Aufzeichnungen vereinzelt auch Passagen, die vom Mut und Widerstandswillen der inhaftierten Frauen künden. Herzberührend, wie Wendelgard Trampota eine Begebenheit während des Gottesdienstes am Reformationstag 1951 schildert. Obwohl das Hauptlied dieses Tages, "Ein feste Burg ist unser Gott", eingeplant war, wurde es nicht gesungen. Als der Gottesdienst zu Ende ging, verabredeten sich die inhaftierten Frauen, nach seinem Ende aufzustehen, aber nicht hinauszugehen, sondern dieses Lied zu singen.

"Und so geschah es", schreibt die Mutter Schachts weiter. "Die Orgel schwieg, der Segen war gesprochen, der Gottesdienst zu Ende. Wir erhoben uns, das Wachpersonal schloß bereits die Türen auf - aber wir gingen nicht! Statt dessen erscholl, ohne Orgel, aus gut eintausend Kehlen: 'Ein feste Burg ist unser Gott, / ein gute Wehr und Waffen. / Er hilft uns frei aus aller Not, / die uns jetzt hat betroffen'."

Die Demonstration der inneren Stärke verfehlte ihre Wirkung nicht. Wendelgard Trampota erinnert sich: "Das Wachpersonal war so schockiert, daß es nicht einmal eingriff. Und die dritte Strophe - 'Und wenn die Welt voll Teufel wär / und wollt uns gar verschlingen, / so fürchten wir uns nicht zu sehr, / es soll uns doch gelingen' - wurde mit einer so elementaren Kraft gesungen, daß die Aufseherinnen zum Teil regelrecht erblaßten, sich umdrehten und aus dem Fenster starrten."
An den Widerstandsgeist dieser Frauen, ihre Zivilcourage, sollte nicht nur in Publikationen, Ausstellungen und Sonntagsreden erinnert werden. Auch die künftige Nutzung der Burg Hoheneck muß dem in angemessener und würdiger Weise Rechnung tragen.

Ulrich Schacht (Hg.): Hohenecker Protokolle. Aussagen zur Geschichte der politischen Verfolgung von Frauen in der DDR. Forum Verlag Leipzig, erw. Nachauflage 2004, brosch. 264 Seiten, 12,80 Euro

Foto: Gefängniszelle: Ab September waren reguläre Übernachtungen geplant, für 100 Euro inklusive Showprogramm, Frühstück und "Jailhouse-Feeling"

Foto: Ehemalige Häftlinge in Hoheneck, Eigentümer Freiberger


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