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39/04 17. September 2004
Satire: Die Zeitschrift "Titanic" geht in die Politik Umringt von Fernsehkameras sind Mitarbeiter des Satiremagazins Titanic in der
vergangenen Woche tatsächlich zur Registrierung der von ihnen initiierten
"Partei" beim Bundeswahlleiter vorstellig geworden. Damit es besonders schräg
aussieht, haben sie dabei nicht nur eine Sackkarre zur Anlieferung der als
notwendig erachteten Unterlagen vor sich her geschoben, sondern waren sogar
einheitlich in mausgraue Anzüge gekleidet. Da werden die Beschäftigten der
Wiesbadener Behörde verdutzt geschaut haben. So eine sie ihrem grauen Alltag
entreißende Gaudi erleben sie ansonsten nur auf den Prunksitzungen der
närrischen Zeit. Die ersten Voraussetzungen dafür - auch Hitler hat ja einmal ganz klein angefangen - sind bereits geschaffen. 1.200 Mitglieder sollen schon geworben worden sein, die Homepage kündet von der angeblichen Existenz zahlloser Untergliederungen auf lokaler Ebene, und Martin Sonneborn spricht in der Doppelfunktion als Vorsitzender der "Partei" und Chefredakteur ihres "Organs" namens Titanic davon, daß man bei den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen im kommenden Jahr antreten wolle, notfalls sogar mit Oskar Lafontaine in den eigenen Reihen. Die behauptete Absicht, im alten Grenzgebiet als Vorgeschmack auf die Zukunft
schon einmal ein Stück Probemauer zu errichten, rundet das Feuerwerk der guten
Laune ab. Die Titanic zeichnet sich heute halt in erster Linie dadurch aus, daß
sie eine zündende Idee mit der Liebe zum Detail gehörig auszuwälzen weiß. Aufregend ist das alles also nicht. Eher ein Alarmzeichen. Anlässe für eine Sinnkrise in der Titanic-Redaktion gibt es nämlich zuhauf. Der kürzliche Tod Chlodwig Poths, der vor Augen führte, daß die Gründergeneration der bundesrepublikanischen Satire keine ebenbürtigen Nachfolger gefunden hat. Das Aufscheinen alter Titanic-Koryphäen (Hans Zippert, Achim Greser, Heribert Lenz) als Paradiesvögel in der zahlungskräftigen Qualitätspresse des liberalkonservativen Establishments. Das neuerliche Erscheinen des Traditionstitels Pardon mit seinem strikten Retro-Kurs, der die von der "Neuen Frankfurter Schule" längst geräumte Nische des Sprachwitzes erfolgreich zu besetzen droht. Vielleicht auch das anstehende 25jährige Jubiläum, das durch die historische Reminiszenz den Blick für den durchlittenen Substanzverlust schärft. Da liegt die Versuchung nahe, einmal aus dem engen Korsett des Print-Journalismus auszubrechen und sich als Comedian zu versuchen. Um hierbei zu reüssieren, bräuchte man jedoch nicht allein eine andere Begabung, sondern vor allem ein anderes Medium, Fernsehen eben. Einen Vorteil hätte das für die ausgebrannten Heiterkeitsexperten der Titanic: Sie müßten ihre Gags nicht mehr selber schreiben. Foto: Deutsche Teilung als Ziel: Martin Sonneborn (r.) und Parteifreunde |