© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/04 01. Oktober 2004

Pfeifen im Walde
CDU/CSU: Nach den letzten Wahlergebnissen in Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen weiß Angela Merkel, daß der Weg zur Macht nicht einfach wird
Paul Rosen

Die Bäume wachsen bekanntlich nicht in den Himmel. Diese Erfahrung mußten Kanzler Gerhard Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering am Abend der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen machen. Besonders Müntefering hatte die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen zur Trendwende erklärt und den Wiederaufstieg der SPD aus dem tiefen Tal der Tränen erklärt. Das konnte trotz der Stimmenverluste nur gelingen, weil in Brandenburg die SPD-Führung erhalten blieb und die Sozialdemokraten im bisher von der CDU allein regierten Sachsen künftig in der Regierung sitzen werden.

In Nordrhein-Westfalen gab es nichts mehr herumzudeuten. Mit rund 31,5 Prozent sank die SPD auf einen Negativrekord. Der "Münte-Effekt" ist damit nicht eingetreten, so sehr die SPD-Führung ihn noch beschwören mag. Kleine Hoffnungsschimmer für die Sozialdemokraten zeigen sich immerhin im Ruhrgebiet, wo sie teilweise sehr erfolgreiche Oberbürgermeister in die Stichwahl zwang. Aber letztendlich hat CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer recht, daß die politische Landkarte von Nordrhein-Westfalen "flächendeckend schwarz" bleibt.

Die Frage ist nur, ob dies der CDU von Nutzen ist und ihre Chancen bei den kommenden Wahlen verbessert. Immerhin verloren die Christdemokraten an Rhein und Ruhr rund sieben Prozentpunkte und setzten damit ihren bereits bei den letzten Wahlen sichtbaren Verlusttrend fort. Auch wenn die CDU-Führung und die meisten Wahlforscher behaupten, daß das Ergebnis von regionalen Besonderheiten geprägt ist, so fällt doch auf, daß sich die Werte von Union und FDP fast exakt mit den derzeitigen bundesweiten Umfragen decken. Das heißt, es gibt höchstens eine hauchdünne bürgerliche Mehrheit in Deutschland. Die Situation ist aber zu instabil, als daß CDU-Chefin Angela Merkel bereits darauf vertrauen könnte, im Schlafwagen bis 2006 an die Macht zu reisen. Daß sich nach den Kommunalwahlen alle Parteien unverzüglich zu Siegern erklärten, hat weniger einen realen Hintergrund, sondern erinnert stark an das Pfeifen im Walde.

Für Merkel beginnt jetzt die schwierige Zeit

Aber eines machen die letzten Umfragen auch klar. Die Sozialdemokraten befinden sich trotz der Proteste gegen Hartz IV wieder in einem leichten Aufwind. Das hat Gründe. Längst erscheint die CDU als die Partei, die den Bürgern viel tiefer in die Tasche greifen will als die Sozialdemokraten. Im CDU-Präsidium sollen erste Stimmen bereits davor gewarnt haben, Hartz VI oder VII zu machen. Das Kopfpauschalen-Modell der CDU zur Reform der Krankenversicherung wird von fast 90 Prozent der Bevölkerung abgelehnt. Zur Verwirklichung der CDU-Reformen wäre eine Mehrwertsteuererhöhung um mehrere Prozentpunkte erforderlich, was besonders Arbeitnehmer und Rentner treffen würde. Der Streit mit der CSU, die es versteht, ihre absoluten Mehrheiten in Bayern zu pflegen, bescherte der Union einen schlagzeilenträchtigen Sommer. Aber ein gemeinsames Konzept hat sie immer noch nicht.

Für die CDU-Chefin beginnt die eigentlich schwierige Zeit erst jetzt. Merkels Bilanz ist alles andere als erfreulich. Bei den letzten Wahlen hagelte es allenthalben Verluste. Die Oppositionsarbeit im Bundestag ist schwieriger als geglaubt. Bei den wichtigen Haushaltsdebatten gelang es weder Merkel noch ihren Mitstreitern, gegen die Regierung Punkte zu machen. Das ist um so verwunderlicher, da Schröder keine gute Bilanz vorzuweisen hat. Die Arbeitslosigkeit bleibt auf Rekordniveau, das Wirtschaftswachstum ist mit erwarteten 1,8 Prozent nur mäßig, dafür ist die Neuverschuldung auf Rekordhöhe. Die rot-grüne Regierung punktet mit der Außenpolitik: Deutschland soll einen Sitz im UN-Sicherheitsrat erhalten. Das ist eigentlich überflüssig, weil die Bundesrepublik bestenfalls eine Mittelmacht im Sinkflug ist. Dennoch soll den Wählern damit das Gefühl gegeben werden: Wir sind wieder wer.

Merkel muß sich mit dieser Bilanz auf dem Bundesparteitag Anfang Dezember in Düsseldorf ihren Delegierten stellen und wiederwählen lassen. An der Wiederwahl der Rostockerin bestehen natürlich keine Zweifel, aber ob sie ein Ergebnis erhält, das ihren Anspruch auf die Kanzlerkandidatur manifestiert, bleibt zweifelhaft. Zuvor wird sie einen Kompromiß mit der CSU zur Gesundheitsreform einzugehen haben. Das kann natürlich nur ein Modell "Kopfpauschale einschließlich einiger Forderungen der CSU" sein, so daß die gefundene Lösung allenfalls ein miserabler Kompromiß sein wird - wie immer, wenn in der Union die fundamentalen Gegensätze der neoliberal gewordenen CDU und der sozialer ausgerichteten CSU aufeinanderprallen. Die CDU ahnt noch nicht einmal, daß der Verzicht auf konservative Politiker wie Martin Hohmann und der Verzicht auf konservative Positionen zugleich einen Verlust an sozialer Kompetenz bedeuten.

Das knappe NRW-Kommunal-Ergebnis und die Verluste für das bürgerliche Lager bei den vorherigen Landtagswahlen lassen die Sozialdemokraten hoffen, bei den nächsten beiden wichtigen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein im Februar 2005 und in Nordrhein-Westfalen im Mai wenigstens nicht komplett zu verlieren.

Die Schwäche der SPD mit eigener Stärke verwechselt

Eine Machtübernahme von CDU und FDP in beiden Bundesländern wäre für Müntefering und Schröder eine Katastrophe. Im Bundesrat hätte die Union dann eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Schröder könnte in diesem Fall einpacken, weil der Bundesrat dann jedes Gesetz des Bundestages blockieren könnte. Und Müntefering müßte eventuell schon vor der Bundestagswahl 2006 eine Große Koalition mit der Union eingehen.

Doch erscheint es unwahrscheinlich, daß die Union die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gewinnt. Die CDU hat die Schwäche der SPD mit eigener Stärke verwechselt und vorübergehend gute Umfragen als Beweis für eigene gute Politik gehalten.

Wenn der schlechte Trend für die CDU anhält, könnte sich die K-Frage im nächsten Jahr ganz neu stellen. Darauf wartet Stoiber - es ist seine letzte Chance. Auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch dürfte seine Hoffnung noch nicht ganz begraben haben. Der 46jährige bestreitet zwar öffentlich alle Ambitionen, kann seinen Ehrgeiz aber nur mit Mühe verbergen.

Und auch einen weiteren Namen sollte man sich merken. Von Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff, seit zehn Jahren auch CDU-Landeschef, heißt es in den Reihen der Union seit längerem, er könne sich vorstellen, die CDU-Führung zu übernehmen. Tatsächlich könnte der 45jährige Merkel durchaus gefährlich werden, vorausgesetzt, er verständigt sich mit Stoiber, vor allem aber mit Koch. Die beiden kennen sich immerhin seit mehr als einem Vierteljahrhundert.


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