© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/04 01. Oktober 2004

Quo vadis, Klimaschutz?
Umweltpolitik: Die Konfusion in der rot-grünen Energiepolitik nimmt zu / Initiative für neue Kohlekraftwerke
Bernd-Thomas Ramb

Das Thema Umweltpolitik beschränkt sich zur Zeit nur schein-bar auf die Diskussion um die Pfandpflicht für Getränkeverpackungen aller Art und jeglichen Inhalts. Im Hintergrund wird zunehmend heftig über die künftige politische Richtung in der Energiefrage gerungen. Zu den wenigen sichtbaren Spitzen des Problemeisbergs zählt der Streit um den kürzlich angestoßene Versuch der Ruhrkohle AG (RAG), mit staatlicher Unterstützung eine neue Kokskohlenzeche zu errichten. Der Initiator, RAG-Chef Werner Müller, vormals Bundeswirtschaftsminister, erhält für seine Pläne die Unterstützung von SPD-Chef Franz Müntefering - zum Ärger der Grünen.

RAG-Müller begründet sein neues Vorhaben mit alten Argumenten: wachsender Energieverbrauch, zunehmende Importabhängigkeit beim Kohlebedarf. Die Kosten spielen eine untergeordnete Rolle, dafür werden staatliche Subventionen als selbstverständlich erachtet. Damit gesteht die RAG gleichzeitig ein, daß deutsche Kohle erheblich teurer ist als Importkohle - oder sein darf. Der geplante Abbau der Kohlesubvention wird so zum schlechten Scherz aus der Vergangenheit erklärt, als hätte es die jahrzehntelange Diskussion nie gegeben, als wäre die durch die EU verwirklichte Öffnung der Märkte, zum Beispiel für das billige polnische Kohleangebot, eine ignorierbare Größe.

Die Kosten kennzeichnen jedoch nur die eine Seite der Medaille. Neue Kohlekraftwerke bedeuten erhöhten Ausstoß an CO2 und Schadstoffen. Dabei rackert sich die deutsche Wirtschaft gerade ab, über ein ausgeklügeltes Zertifikatssystem ihre ohnedies im internationalen Vergleich extrem niedrigen Emissionen nochmals zu reduzieren. Der Umweltmusterknabe Deutschland überholt sich selbst, während die übrige Welt immer lauter auf den Kyoto-Vertrag zur Schadstoffreduktion pfeift. Mittlerweile bleiben nicht nur die USA und Rußland bei ihrem Nein zu dieser Vereinbarung, auch Länder wie Kanada, die bereits unterschrieben haben, überlegen die Kündigung, bevor zur Tat zu schreiten ist.

Wachstum in China und Indien treibt Energiepreise

Daß der Kyoto-Vertrag zum Klimaschutz nicht das Papier wert ist, auf das er geschrieben wurde, war bereits klar, als die bevölkerungsreichsten Länder der Erde ihre Unterschrift verweigerten: Indien und vor allem China. Dort wird bis zum Jahre 2030 der Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen um 50 Prozent ansteigen. Ab 2020 wird China, das heute auf dem zweiten Platz in der Weltrangliste der Emissionsländer liegt, den Spitzenplatz einnehmen.

Die chinesische Regierung weiß sehr wohl um die Klimabelastung durch die Energiegewinnung aus Kohle, aber "Was sollen wir sonst machen?" lautet der lächelnd resignierende Einwand. Möglichst viel Energie zu möglichst geringen Preisen lautet die energiepolitische Devise auf dem langen Marsch der Volksrepublik China in Richtung Wohlstandswachstum.

Auch Indien denkt da nicht anders und vor allem nicht daran, kostspielige Emissionsfilter nach dem Muster der westlichen Industrieländer einzuführen. Schließlich hätten diese in früheren Jahrhunderten auch ungeniert die Umwelt belastet, um zu ihrem jetzigen Wohlstand zu kommen: gleiches Recht für alle, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten. So verwundert es nicht, daß die Umweltbelastung durch Emissionen weltweit zunimmt. Dieser Entwicklung entziehen sich noch nicht einmal die reichen Industriestaaten. In den USA, dem Staat mit dem größten Energiebedarf, nimmt der Ausstoß an Treibhausgasen zu, und selbst das EU-Zertifikatssystem führt zu keiner Verringerung, sondern eher zu einem weiteren leichten Anstieg der Umweltbelastung.

Nun meint Deutschland, den Trend durch heroische Windkraftanstrengungen wenden zu können. Nach dem Willen der rot-grünen Regierung soll das Energieangebot aus Windanlagen von derzeit 14,3 Gigawatt bis zum Jahre 2020 auf 48,3 Gigawatt ausgebaut werden. Fast die Hälfte, 20,4 Gigawatt, soll dabei "offshore", also aus Windkraftanlagen erzeugt werden, die im Meer installiert sind. Der erste dänische Großversuch dieser Art führte zu einem Desaster. Das Salzwasser und der hohe Wellengang zermürbten binnen kurzer Zeit die Fundamente der Rotormasten und bewirkten einen Totalausfall aller 80 Anlagen.

Doch selbst wenn die Windkrafträder funktionsfähig sind, drehen sie sich nicht immer. Ausfälle in der Stromproduktion durch Windstille und Wartungsarbeiten müssen durch konventionelle Kraftwerke ausgeglichen werden - oder es kommt zu Stromabschaltungen. Nach Berechnungen der Deutschen Energie Agentur (Dena) müssen bei den derzeit landmontierten Windkraftanlagen 92 Prozent ihrer Leistung durch wärmebasierte Energieerzeugung abgesichert werden. Durch die Erweiterung um seemontierte Anlagen steigt der Sicherungsbedarf auf 95 Prozent. Die ohnedies erheblich teurere Energieerzeugung durch Windkraftanlagen - fast dreimal so teuer wie die herkömmliche Energieproduktion - wird somit zusätzlich durch die Bereitstellung konventioneller Kraftwerke, die bei Wind stillgelegt werden, belastet.

Niemand kann behaupten, daß dieser Irrsinn der Bundesregierung, aber auch den anderen Parteien, unbekannt wäre. Die einzig sinnvolle Alternative, die Atomenergie, traut sich jedoch keiner ins Gespräch zu bringen. Der Bruch dieses Tabus wird spätestens dann notwendig sein, wenn die Energiepreise in ungeahnte Höhen schießen und auch dem letzten Bürger klar wird, daß saubere Umwelt unter dem ideologischen Diktum "Aber nicht durch AKWs" zu einem unbezahlbaren Luxusgut führt.


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