© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/04 08. Oktober 2004

"Sei er uns allen ein Vorbild"
Vatikan: Der Papst hat den österreichischen Kaiser Karl I. seliggesprochen / Streit um seine Rolle im Ersten Weltkrieg
Alexander Barti

Johannes Paul II. hat letzten Sonntag vor etwa 15.000 Pilgern auf dem Petersplatz in Rom fünf Seligsprechungen zelebriert: die der deutschen Ordensfrau Anna Katharina Emmerick (1774-1824, "Seherin von Dülmen"), die der italienischen Missionarin Maria Ludovica de Angelis (1880-1962), die des französischen Trappistenpater Joseph-Marie Cassant (1878-1903) und die des französischen Ordensgründers Abt Pierre Vigne (1670-1740).

Am meisten Aufsehen hat jedoch die Seligsprechung des letzten österreichischen Kaisers Karl I. (1887-1922) erregt. Der Papst würdigte ihn als "Freund des Friedens". Der "Staatsmann und Christ Karl aus dem Hause Österreich" habe sich der täglichen Herausforderung gestellt, "in allem Gottes Willen zu suchen, zu erkennen und danach zu handeln". In den Augen Karls I. sei der Krieg etwas "Entsetzliches" gewesen. "Mitten in den Stürmen des Ersten Weltkriegs an die Regierung gelangt, versuchte er die Regierungsinitiative meines Vorgängers Benedikt XV. aufzugreifen", sagte der Papst. "Sein ernstes Bestreben war es, der Berufung des Christen zur Heiligkeit auch in seinem politischen Handeln zu folgen." Wichtig sei ihm der "Gedanke der sozialen Liebe" gewesen. "Sei er uns allen ein Vorbild, besonders denen, die heute in Europa politische Verantwortung tragen", wünschte Johannes Paul II.

Gemäß dem dafür vorgesehenen Ritual bat der Bischof der portugiesischen Atlantikinsel Madeira - Karl starb dort und liegt noch heute dort begraben - den Papst, die sogenannte Promulgationsformel zu sprechen. Als Gedenktag für Karl legte der Vatikan den 21. Oktober fest. An diesem Datum im Jahr 1911 hatte der damalige Erzherzog Zita von Bourbon-Parma geheiratet.

Ein Urenkel Karls I. übergab ein Stück aus der Rippe Karls, die ihm 1972 entnommen wurde, als der Sarkophag mit seinem Leichnam in der Wallfahrtskirche Nossa Senhora do Monte auf Madeira gemäß den Vorschriften der vatikanischen Kongregation für Heiligsprechungen geöffnet wurde. Das Rippenstück ist nunmehr eine Reliquie, die ebenfalls von den Gläubigen verehrt werden darf. Bei dem Ritus waren neben Vertretern des europäischen Hochadels etwa 300 Mitglieder des Hauses Habsburg anwesend, darunter auch sein Oberhaupt Otto von Habsburg, der 1922, kaum zehnjährig, am Sterbebett seines Vaters Karl gekniet hatte.

Die Seligsprechung (Beatifikation) ist in der katholischen Kirche die Vorstufe zur und Voraussetzung für die Heiligsprechung (Kanonisation). Die Seligkeit ist nach der katholischen Lehre der Zustand der Gerechten im Jenseits, die frei von Sünden gestorben sind. Voraussetzung ist der Märtyrertod oder ein Wunder. Erst nach einer genauen Prüfung des Lebens der Person kann die Beatifikation erfolgen.

In zwei Bänden und auf 2.650 Seiten ist das Leben Karls I. in der sogenannten Positio ausführlich dargestellt. Sie enthält darüber hinaus Karls Schriften und die Dokumentation der Zeugenaussagen aller lebenden Menschen, die ihn gekannt haben. Sie ist größtenteils auf italienisch und französisch abgefaßt und wurde 1994 beendet. Als Wunder, welches 2003 anerkannt wurde, gilt die Anrufung Karls im Jahre 1960 durch die polnische Ordensschwester Maria Zita Gradowska.

Die Schwester leitete ein Krankenhaus in Brasilien und hatte lange Jahre innere Blutungen in den Beinen; trotz Operationen bildeten sich offene Geschwüre. Zunächst lehnte die Kranke die Empfehlung einer Mitschwester ab, sich um die Fürbitte Karls zu bemühen. Als sie in ihrer Verzweiflung schließlich doch zu ihm betete, soll sie am Tag darauf vollständig geheilt gewesen sein.

Im Vorfeld der Seligsprechung von Karl I. wurde seine Rolle als Monarch während der Zeit des Ersten Weltkriegs sehr kontrovers diskutiert. Konkret wirft man ihm vor, 1917 den Einsatz von Giftgasgranaten gegen italienische Stellungen geduldet zu haben. Nach der 11. Isonzoschlacht bildeten die Truppen der 2. Italienischen Armee einen schier uneinnehmbaren Sperriegel durch die Sohle des Isonzo-Tales. Die teils in den Fels eingehauenen und teils mit Beton überdeckten Stellungen galten als uneinnehmbar. Doch die Oberste Heeresleitung schien eine "Wunderwaffe" gefunden zu haben: Giftgas. Am 24. Oktober 1917 um zwei Uhr früh begann die 12. Isonzoschlacht.

Heute schätzt man, daß etwa 100.000 Gasgranaten verschossen wurden. Mit brutaler Wirkung, mindestens 40.000 Italiener starben einen oft qualvollen Tod. Deutschen und k.u.k.-Truppen gelang es aber, den gesamten Frontabschnitt aufzurollen. Unter ihnen befand sich auch der junge deutsche Leutnant Erwin Rommel, der hier seine ersten Meriten verdiente. Doch war Karl I. tatsächlich für den Gaseinsatz verantwortlich?

Der österreichische Vatikan-Botschafter Walter Greinert verteidigte die Seligsprechung Kaiser Karl I. Er habe den Krieg "geerbt", erklärte Greinert gegenüber Radio Vatikan. "Damals war der Gaskrieg nicht wie später in den zwanziger Jahren durch die Haager-Konvention verboten. Alle Seiten haben den Gaskrieg eingesetzt. Auf der anderen Seite hat er bereits eine oberste Kriegsleitung vorgefunden. Diese oberste Kriegsleitung ist praktisch einseitig vom deutschen Kaiser Wilhelm, von Feldmarschall Hindenburg und von General Ludendorff gebildet worden".

Etwas differenzierter sieht der Wiener Historiker Wolfdieter Bihl die Rolle des Kaisers. Karl sei nicht nur formell Oberbefehlshaber der k.u.k.-Streitkräfte, sondern auch aktiver Armeekommandant gewesen. Allerdings habe der Habsburger den Einsatz von tödlichem Giftgas weder empfohlen noch gefördert. Müßig sei es auch, den "bösen Deutschen" die Verantwortung zu übertragen, denn auch die österreichisch-ungarischen Truppen hätten Giftgas eingesetzt. Unzweifelhaft sind seine zahlreichen Friedensbemühungen, die ihm nicht nur von Berlin als Schwäche ausgelegt wurden.

Nach seiner erzwungenen Abdankung 1918 versuchte er noch zweimal in Ungarn, welches im Gegensatz zur österreichischen Reichshälfte eine Monarchie geblieben war, wieder den Thron zu besteigen. Die Restaurationsversuche waren schlecht vorbereitet. Beidesmal brach er das Unterfangen ab, als sich von seiten des ungarischen Reichsverwesers Miklós von Horthy (zuvor letzter Oberbefehlshaber der k.u.k.-Kriegsmarine) Widerstand regte. Einen Bürgerkrieg oder den Einmarsch der Entente wollte Karl, der in Ungarn 1916 als Karl IV. gekrönt worden war, unbedingt vermeiden.

In Österreich sorgte die Seligsprechung für innenpolitischen Wirbel. Bundespräsident Heinz Fischer (SPÖ) reiste nicht nach Rom, weil er "kein Katholik" sei. Sein offizieller Vertreter, Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP), mußte vorher und nachher beteuern, daß er nicht als "Legitimist", sondern als überzeugter Republikaner zum Vatikan fuhr. In Ungarn hingegen nahm man von dem Ereignis kaum Notiz - offizieller Vertreter des Landes war Parlamentspräsidentin Katalin Szili. Aber deswegen zweifelte niemand an der Verfassungstreue der ungarischen Sozialistin.

Bilder von Karl I. und Anna Katharina Emmerick an der Peterskirche in Rom: Staatsmann und Christ


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen