© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/04 08. Oktober 2004

Frisch gepresst

Folter. In vielen historischen Filmen oder Büchern über das "finstere" Mittelalter wird immer wieder das Klischee des dunklen Folterkellers bemüht, aus dessen Mauern der der Hexerei "überführte" Delinquent den direkten Weg auf den Scheiterhaufen nimmt. Doch beides - die Hexenverfolgung wie Folter - war in Deutschland vor 1300 weitgehend unbedeutend. Erst im Laufe des 14. Jahrhundert und erst recht mit der bald darauf einsetzenden Inquisition erschienen beide aus aufgeklärten Augen wahrhaft dunklen Phänomene flächendeckend in Europa. Dieter Baldauf, pensionierter Rechtsdezernent aus Regensburg, stellt in seiner Untersuchung dar, wie die Folter zum offiziellen Mittel der Rechtsfindung wurde. Trotz ihrer Unmenschlichkeit zeugt die Folter als Instrument nicht des Strafrechtes, sondern des Strafprozeßrechtes - wie die heutige Untersuchungshaft - von einer modernen Rechtsauffassung, die sich zu Beginn der Frühen Neuzeit entwickelte und bis in die friderizianische Epoche Bestand hatte. Diese Rechtsauffassung geht erstmals mit der "peinlichen Gerichtsordnung" den Weg, die tatbezogene Wahrheitsfindung dem Leumund des Angeklagten oder dem "Gottesurteil" überzuordnen. Obwohl Baldauf diese juristische Bewertung präzise nachzeichnet, unterliegt auch er oft dem Trug, diese frühneuzeitliche Erscheinung als "mittelalterlich" historisch falsch zu periodisieren (Die Folter. Eine deutsche Rechtsgeschichte. Böhlau Verlag, Köln 2004, 235 Seiten, gebunden, 24,90 Euro).

 

Norbert Blüm. "In Istanbul und an den Touristenstränden zeigt der türkische Staat sein freundliches, Europa zugewandtes Gesicht. Doch im Osten, in den Bergen der Grenzregion zu Syrien und dem Irak kommt eine despotische, chaotisch-korrupte Fratze zum Vorschein", schreibt der langjährige Unionsminister für Arbeit und Soziales in seinem neuesten Buch. Und angesichts dessen, was er auf einer Reise an "Schikanen in Kurdistan" erlebt hat, kommt er zu dem Schluß: "So kann die Türkei nicht nach Europa kommen, solange Europa ein Begriff für Zivilisation ist." Empört darüber, daß seine Kritik an der Politik von Ariel Scharon bei seinem Israel-Besuch mit Polemik beantwortet wurde, entgegnet der Ex-CDU-Vize: "Sollen mit Hilfe der Verbrechen der Nazis nachträglich Denk- und Frageverbote befestigt werden?" Fast im Stil Jürgen Möllemanns zieht er aus einem Palästina-Besuch den Schluß: "Scharon bekämpfe ich nicht mit allen Mittel, aber mit ganzer Kraft." Lesenswert ist auch, mit welch treffenden Beispielen der auf dem letzten CDU-Parteitag Ausgepfiffene den Sozialstaat gegen neoliberalen "Modernisierungsfetischismus" verteidigt, den er selbst bei den deutschen Kirchenoberen nachweist. Der "Jargon von Wichtigtuern" ist ihm ebenso ein Graus: "Die Putzfrau wurde zur Raumpflegerin. Über die Arbeitsverhältnisse sagt das wenig aus, und ihr karger Lohn wird dadurch nicht höher" (Das Defilee der hohen Rösser. Herder Verlag, Freiburg 2004, 255 Seiten, gebunden, 19,90 Euro).


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