© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/04 15. Oktober 2004

Ablenkung vom Niedergang
CDU/CSU: Mit seinem Vorschlag, Unterschriften gegen einen EU-Beitritt der Türkei zu sammeln, will Michael Glos nur provozieren
Paul Rosen

Eigentlich pflegt Michael Glos mit Ankündigungen, die die politische Landschaft erschüttern, bis zur Klausurtagung in Kreuth im Januar zu warten. Damit sichert der CSU-Ladesgruppenvorsitzende dem Treffen seiner Bundestagsabgeordneten in den verschneiten Bergen Oberbayern die gebührende Aufmerksamkeit. Daß er fast ein Vierteljahr vor Kreuth mit dem Vorschlag einer bundesweiten Unterschriftensammlung gegen einen EU-Beitritt der Türkei auf den Markt geht, hat gute Gründe: Glos will vom Niedergang der Union ablenken, und dafür wird ein zündendes Thema gebraucht.

Das Thema Unterschriftensammlung ist gerade für linke Kreise ein Reizthema. Unvergessen ist die ebenfalls von der CSU gekommene Idee, eine Unterschriftensammlung gegen die von der rot-grünen Koalition 1999 geplante doppelte Staatsbürgerschaft zu sammeln. Der damalige hessische CDU-Landeschef Roland Koch schloß sich der Aktion an und gewann in der Folge ganz knapp die Landtagswahlen gegen die rot-grüne Koalition in Wiesbaden.

Diese Erfahrungen wirken nach und erklären die zum Teil bösartigen Reaktionen aus dem rot-grünen Regierungslager. Der Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft konnten aber auch Zigtausende von Unterschriften nicht verhindern.

Die Merkel-CDU bleibt ein farbloses Gebilde

Glos treibt eine andere Sorge um. Seit Anfang des Jahres ist die Union in den bundesweiten Umfragen von knapp 50 Prozent auf 40 Prozent gefallen. Die Landtagswahlen im Saarland und in Thüringen wurden zwar noch mit weniger Stimmen als früher gewonnen, aber in Sachsen und Brandenburg verstärkte sich der Abwärtstrend massiv. Und bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen mußte die CDU auch Verluste einstecken. Ursache dürften nicht nur die Uneinigkeit des bürgerliche Lagers über die Zukunft der Gesetzlichen Krankenversicherung gewesen sein, sondern auch das Bild, das die CDU in der Öffentlichkeit ausstrahlt. Vielen Stammwählern erscheint sie als eine größere FDP mit marktradikalen Themen, wenig sozialem und schon gar keinem konservativen Profil. Die Merkel-CDU ist trotz aller angeblich wegweisenden Parteibeschlüsse ein farbloses Gebilde geblieben.

Die CSU hatte sich nicht in die Gefahr begeben, Teile ihrer Wählerschichten durch programmatische Ausreißer zu verlieren. Sowohl konservative als auch soziale Positionen sind in der Partei weiterhin präsent. Dabei hat auch die CSU mehrfach radikale Reformen des Arbeitsmarktes angeregt. In den jüngsten Umfragen in Bayern liegt sie konstant bei 59 Prozent. Doch von dem Abwärtsstrudel, in den die CDU gerade hineingezogen wird, dürfte auch sie auf Dauer kaum verschont bleiben. Das weiß ein erfahrener Fahrensmann wie Glos, der im übrigen eine Scharnierfunktionen zwischen den Parteien hat. Als Landesgruppenvorsitzender der bayerischen Abgeordneten ist der fränkische Müllermeister einer der höchsten Repräsentanten der CSU. Zugleich ist Glos jedoch in der Fraktion der erste Stellvertreter der Vorsitzenden Merkel. Es kann gut sein, daß er diese Gesamtverantwortung im Sinn hatte, als er mit seinem Vorschlag einer Unterschriftenaktion kam.

Seine Rechnung ist jedenfalls aufgegangen. Das Thema Unterschriftensammlung lenkte wenigstens etwas vom ewigen Streit um die Gesundheitsreform ab. CSU-Chef Edmund Stoiber ist zwar bereit, mit der Schwesterpartei eine gemeinsame Position zu vereinbaren, aber er besteht auf Einhaltung sozialer Grundsätze, nach denen Besserverdiener auch in Zukunft mehr bezahlen sollen. Das Kopfpauschalmodell der CDU, beschlossen im Reformrausch des Leipziger Parteitages, sieht dagegen einen Einheitsbeitrag von 180 Euro im Monat für alle vor - egal, wieviel sie verdienen. Für den sozialen Ausgleich, den Geringverdiener erhalten sollen, möchte die CDU die Staatskasse hernehmen. Aber die ist leer, und außerdem plant CDU-Vize Friedrich Merz eine radikale Steuerreform mit Absenkung des Spitzensteuersatzes auf 36 Prozent. Das paßt nicht zusammen. Doch bis dieser Erkenntnisprozeß auch in der CDU reift und für Chefin Merkel ein gesichtswahrendes Konsensmodell gefunden ist, dürfte noch einige Zeit vergehen. Die möchte Glos überbrücken.

Unfreiwillig wurden dabei aber sofort wieder die tiefen Gegensätze in der CDU deutlich, während die Bayern die übliche Solidarität mit den eigenen Leuten zeigten. Stoiber stellte sich auf die Seite von Glos, die bayerische Landtagsfraktion stimmte ebenso zu wie die Gruppe der CSU-Abgeordneten im Europaparlament. Immerhin war die Idee von Glos so neu nicht: Er hatte bereits im Frühjahr vorgeschlagen, die Europawahl zu einer Volksabstimmung über den Türkei-Beitritt zu machen. Und Stoiber fordert seit längerem eine Volksabstimmung über die Frage, ob die Türkei der EU beitreten soll. Diese Volksabstimmung könnte jedoch je nach Fortschritt der Beitrittsverhandlungen mit der EU noch Jahre dauern, eine Unterschriftensammlung dagegen sofort beginnen.

Angst vor dem Druck der öffentlichen Meinung

Koch schlug sich eingedenk guter eigener Erfahrungen sofort auf die Seite der Bayern, auch Merkel mit ihrem Gespür für taktische Winkelzüge befürwortete die Aktion. Aber wie schon bei der Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft brachen die Gegensätze in der CDU wieder auf. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Volker Rühe, sprach sich dagegen aus, den früheren CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz beschlich ein "mulmiges Gefühl". Auch der Spitzenkandidat der Partei in Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen, sprach sich ganz schnell gegen eine Unterschriftensammlung aus.

Carstensen fürchtet den Druck der veröffentlichten Meinung, begibt sich aber durch sein schnelles Nein der Möglichkeit, ein zündendes Thema im Wahlkampf einzusetzen. Auch aus der nordrhein-westfälischen CDU, die im nächsten Jahr eine Landtagswahl mit ungewissem Ausgang vor sich hat, kamen mehr kritische als zustimmende Äußerungen. Und so demonstriert die CDU wieder einmal, daß sie nicht kampagnenfähig ist. Bei so viel Ablehnung in eigenen Reihen braucht sie mit dem Sammeln von Unterschriften gar nicht mehr beginnen.


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