© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/04 15. Oktober 2004

Mehr als ein Protegé der USA
Afghanistan: Der Wahlsieg von Übergangspräsident Karsai stand von Anfang an fest / Absprachen und Scheinkandidaten
Alexander Griesbach

Morddrohungen seitens der islamistischen Taliban, die das Land von 1996 bis 2001 beherrschten, und auch leicht abwaschbare Tinte zur Wählerregistrierung konnten nicht verhindern, daß in Afghanistan erstmals die freie Wahl eines Präsidenten stattfand. Viele Afghanen, sowohl Männer als auch Frauen, nahmen die Gelegenheit zur Stimmabgabe wahr. Über zehn Millionen Afghanen haben sich für die Wahl registrieren lassen, was schätzungsweise 90 Prozent der Wahlberechtigten entspricht. Einige hunderttausend wählten sogar in ihren Asyllagern im benachbarten Pakistan, wo immer noch etwa 1,5 Millionen Afghanen leben.

Viele gingen womöglich mehrmals wählen, weil sich eine unbekannte Zahl von Wählern mehrere Wahlausweise besorgt haben soll. Auch die Markierung mit der Tinte nach der Stimmabgabe, mit der mehrfaches Wählen unterbunden werden sollte, funktionierte nicht überall. Sie ließ sich - absichtlich? - leicht wieder abwischen.

Vierzehn der achtzehn Kandidaten, von denen die Mehrzahl nur regional bekannt war, forderten daher mit einem gewissen Recht den Abbruch der Wahl, was die Wahlkommission ablehnte. Mit ersten Ergebnissen kann allerdings erst im Laufe der nächsten Woche gerechnet werden. Fest stand allerdings bereits schon vorher, daß der "Übergangspräsident" von US-Gnaden, nämlich der Paschtune und (1992) Kurzzeit-Vizeaußenminister Hamid Karsai vom Stamme der Popalzai, das Rennen machen würde.

Ob und inwieweit dessen Wahl rechtmäßig zustande gekommen ist, spielt aus US-Sicht offenbar keine große Rolle. Hauptsache, die demokratische Fassade bleibt gewahrt. Karsais Konkurrenten warfen diesem vor allem Versagen vor und plädierten für einen starken Führer, den das Land benötige, um den Wiederaufbau voranzutreiben und ein Mindestmaß an nationaler Sicherheit herstellen zu können. Natürlich befanden sich unter den Kandidaten auch einige Islamisten, die aber nicht einmal Außenseiterchancen hatten.

In Karsai nur einen Protegé der USA sehen zu wollen, griffe allerdings zu kurz. Zum einen sympathisierte er selbst jahrelang mit den Gotteskriegern der Taliban. Karsai versteht es auch, sich durch eine geschickte Politik die Gunst der verschiedenen Volksgruppen zu sichern. So nominierte er zum Beispiel den Tadschiken Ahmad Zia Masud als seinen ersten Stellvertreter, einen Bruder des einem Mordanschlag zum Opfer gefallenen Ahmad Schah Masud.

Als zweiten Stellvertreter brachte er Karim Chalili ins Spiel, einen Schiiten mongolischer Herkunft (in Afghanistan Hazara genannt). Was hinter diesen Schachzügen steckt, liegt auf der Hand: Karsai will sich hiermit die Stimmen der Tadschiken und Hazara sichern.

Viele Tadschiken haben aber im Vorfeld der Wahl für den aus dem Panjshir-Tal stammenden Junis Kanuni plädiert, der bereits einmal Innen- und später Erziehungsminister war und sich unter den afghanischen Tadschiken einer gewissen Beliebtheit erfreut. Kanuni war enger Verbündeter von Ahmad Schah Masud und während der achtziger Jahre der Verbindungsmann zwischen der Jami'at-i Islami (Partei der Islamischen Versammlung/Gesellschaft Afghanistan) und dem pakistanischen ISI (Inter Services Intelligence), der sie mit Geld, Waffen, Munition versorgte. Als Masud entschied, die Shura-i qumandanan (Kommandorat) zu schaffen, ernannte er Kanuni zu seinem Sprecher; ab 1987 hatte er diese Funktion inne, auch während der folgenden Interims- und Dauer-Regierungen.

Mudschaheddin-Führer auf Karsais Seite gezogen

Seit Anfang des Jahres 2001 war Kanuni nach Angaben der Agentur Reuters "Leiter verschiedener offizieller Missionen nach Europa und speziell nach Rom, um sich mit bedeutenden Exilanten und Exil-Gruppen zu treffen, um über Möglichkeiten eines stärkeren Widerstandes gegen das Taliban-Regime respektive die 'Aggression Pakistans' zu diskutieren".

Auf der Afghanistan-Konferenz im November/Dezember 2001 auf dem Bonner Petersberg trat er als Verhandlungsführer der "Vereinigten Front" (United Front) auf, die er laut Reuters nicht länger als "Nordallianz" bezeichnet wissen wollte, da sie "mittlerweile auch in fast allen anderen Regionen Afghanistans" herrsche.

Für viele Veteranen des Kampfes gegen die sowjetische Besetzung ist US-Favorit Karsai vor allem ein "Knecht" der Amerikaner, den zu wählen eine "Sünde" darstelle. Aus diesem Lager erhielt Karsai aber unerhoffte Fürsprache, wie Ahmad Taheri in einem Hintergrundbeitrag für die FAZ (9. Oktober) berichtete.

Karsai-Gegner Burhanuddin Rabbani, von 1993 bis 1996 Staatspräsident von Afghanistan, vollzog in den letzten Wochen eine Kehrtwende und trommelte für die Wahl Karsais. Als Grund für seinen Wandel gab Rabbani, der 1996 vor den Taliban aus Kabul floh, laut Taheri an, daß Karsai angeblich alle Bedingungen der Mudschaheddin-Führer akzeptiert habe und diese an der Macht beteiligen wolle. Rabbani soll der "Vorsitz des künftigen Parlamentes" versprochen worden sein. Auf ähnliche Art und Weise hat Karsai offensichtlich auch andere Mudschaheddin-Führer auf seine Seite gezogen. Sie dürfen im Falle der Wahl Karsais, an der nicht zu zweifeln ist, wohl auf entsprechende Posten hoffen.

Gerhard Schröder hat sich im übrigen bei seinem Besuch am Montag in Afghanistan nicht gerade beliebt bei den Konkurrenten Karsais gemacht. Mehrere Präsidentschaftskandidaten kritisierten den Bundeskanzler-Besuch in Kabul als "Parteinahme für Übergangspräsident Hamid Karsai". Der Kandidat Mir Mohamed Mahfuz Nedahi sieht die Visite zwei Tage nach der Wahl als klares Zeichen, daß "Deutschland schon vor dem für Ende Oktober erwarteten Ergebnis von einem Sieg Karsais" ausgehe. "Deutschland unterstützt damit zu hundert Prozent die US-Politik", warnte Nedahi in der Nacht auf Montag.

Kanuni hat mittlerweile angekündigt, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl nach der geplanten Prüfung durch eine unabhängige UN-Kommission doch akzeptieren zu wollen: "Um den Willen von Millionen von Afghanen und unsere nationalen Interessen zu respektieren, werde ich das Resultat der Wahl nach der Untersuchung anerkennen." Er werde dann auch zur Wahl gehen. Am Samstag hatte Kanuni sich aus Protest gegen Unregelmäßigkeiten geweigert, abzustimmen. Auch die 15 Gegenkandidaten Hamid Karsais fordern nun nicht mehr eine Wiederholung der Wahl, sondern lediglich eine gründliche Untersuchung. Diese muß allerdings abgeschlossen werden, bevor das Endergebnis am 30. Oktober verkündet wird.


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