© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/04 15. Oktober 2004

Barbarisch
Eine neue US-Debatte um "legale" Spätabtreibungen
Alois Oblinger

Das Gesetz zum Verbot von Spätabtreibungen, das der Senat der Vereinigten Staaten am 21. Oktober 2003 verabschiedet hat (JF 47/03), soll verfassungswidrig sein. So urteilte im September Bundesrichter Richard Kopf im Bundesstaat Nebraska. Das ist nun schon der dritte Richterspruch dieser Art. Bereits im Juni und August dieses Jahres kamen ein Richter aus New York und eine Richterin aus San Francisco zu demselben Urteil.

Es wird erwartet, daß gegen dieses Urteil wie schon gegen die beiden vorausgegangenen Berufung eingelegt wird. Deutliche Kritik wurde schon von der katholischen Kirche geäußert. Cathy Cleaver-Ruse, Sprecherin des Sekretariats für "Pro Life"-Aktivitäten der US-Bischöfe, sprach von einem "gefühllosen Urteil". Umfragen zufolge lehnt selbst ein Großteil der Abtreibungsbefürworter Spätabtreibungen ab.

Richter Richard Casey aus New York gesteht ein, daß diese Form der Abtreibung nach der 22. Schwangerschaftswoche "brutal, barbarisch und unzivilisiert" sei, doch fehle in dem verabschiedeten Gesetz ein Passus, der die Gesundheit der Mutter ausreichend schütze.

Bei dieser Form der Abtreibung wird das Kind durch Absaugen des Gehirns getötet, manchmal sogar nachdem der Kopf des Kindes bei der Geburt bereits ausgetreten ist. Sie wird daher auch als Partial birth abortion ("Abtreibung durch teilweise Geburt") bezeichnet. Diese Methode darf nach dem neuen Gesetz nur noch angewandt werden, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist.

Bei dem besagten Gesetz handelt es sich um die erste bundesweite Einschränkung des Abtreibungsrechts in den USA seit dem 22. Januar 1973. Damals legalisierte der Oberste Gerichtshof der USA mit 7:2 Stimmen erstmals Schwangerschaftsabbrüche.

Gegen das schon seit acht Jahren geplante Gesetz hatte der damalige US-Präsident Bill Clinton zweimal sein Veto eingelegt, bis es dann 2003 in der Amtszeit von George W. Bush mit großer Mehrheit verabschiedet wurde. Anfang April 2004 unterzeichnete Bush dann auch ein Gesetz, das ungeborene Kinder bei Gewalt gegen ihre Mütter als eigenständige Opfer schützt.

In den USA werden nach offiziellen Statistiken jährlich 1,3 Millionen Kinder abgetrieben, darunter mehrere tausend nach der 22. Schwangerschaftswoche. Zu diesem Zeitpunkt gelten Embryos bereits als lebensfähig.

In Deutschland gehen Experten bei 300.000 Abtreibungen jährlich von mehr als 800 Spätabtreibungen aus. Sie ist nach Paragraph 218 StGB nur statthaft, "um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden".

Allerdings wird diese Gesetzesregelung normalerweise sehr großzügig ausgelegt, so daß bei jeder auch nur wahrscheinlichen Behinderung des Kindes bis zur Geburt abgetrieben werden kann. Es war zu erwarten, daß eine restriktivere Gesetzgebung auf Widerstand stößt. Dennoch fällt auf, daß immer mehr Menschen die Bestialität dieses Geschehens durchschauen.

In den USA ist die Diskussion um Abtreibung und Spätabtreibung durch die Gerichtsurteile neu angeheizt worden. Sie wird daher auch im Präsidentenwahlkampf eine Rolle spielen, denn unter Bush sind inzwischen etwa 400 Gesetze in Kraft getreten, die Abtreibung erschweren oder zu verhindern suchen.

Der demokratische Gegenkandidat John Kerry hingegen lehnt "privat" als Katholik zwar Abtreibungen ab. In seinem Programm heißt es aber: "Schwangerschaftsabbrüche sollen legal und sicher sein, und die Regierung sollte sich aus den Schlafzimmern fernhalten."


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