© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/04 15. Oktober 2004

Spagat für die Macht
Deutsch-Türkisches Forum in der Union: Der kleine Verband türkischstämmiger CDU-Mitglieder um den Nachwuchspolitiker Bülent Arslan gewinnt immer mehr Einfluß
Manuel Ochsenreiter

Am 16. September fiel der Startschuß für eine ganz besondere Mitgliederwerbekampagne. Das Deutsch-Türkische Forum (DTF), ein Arbeitskreis von türkischstämmigen CDU-Parteimitgliedern, braucht dringend mehr Leute. Dafür hagelt es "attraktive Prämien", wie das DTF auf seiner Internetseite verspricht, wahlweise einen DVD-Spieler, eine Kaffeemaschine oder einen Handstaubsauger. Für besonders eifrige Werber winken eine Reise nach Istanbul, ein Abendessen oder ein "Buch mit deutsch-türkischem Bezug".

Bülent Arslan ist der Motor des Vereins. Der ehrgeizige 29jährige Unternehmensberater will aus dem Verein, der zur Zeit mit etwa 400 Mitgliedern kleiner ist als ein durchschnittlicher CDU-Stadtverband, seine eigene Hausmacht bauen. Dazu steht demnächst die Gründung der Deutsch-Türkischen Union (DTU) als anerkannter CDU-Arbeitskreis an. Dabei ist es illusorisch, daß das neue DTU es jemals zahlenmäßig mit den anderen anerkannten Arbeitskreisen der Partei auch nur annähernd aufnehmen kann. Allein die Frauenunion hat 150.000 Mitglieder, die Seniorenunion 75.000.

Parteiinterner Widerstand gegen Arslans Plan regt sich nicht. Anderen Gruppen innerhalb der Union erging es da schon anders. Den 1985 gegründeten Christdemokraten für das Leben (CDL) bleibt der Status bis heute versagt - trotz etwa 4.000 Mitgliedern sowie mehreren Unions-Bundestagsabgeordneten in ihren Reihen. Heiner Geißler wußte dies seinerzeit zu verhindern, als er die Union "modernisieren" wollte. Auch das Christlich-Konservative Deutschland-Forum (CKDF) scheiterte Mitte der neunziger Jahre an dem Vorhaben, sich als Unions-Arbeitskreis anerkennen zu lassen.

Am 2. Oktober wurden die organisatorischen Weichen für Arslans Projekt DTU gestellt. So lud er türkischstämmige oder sympathisierende Unionsmitglieder aus Nordrhein-Westfalen, Hessen, Berlin, Saarland, Hamburg und Baden-Württemberg zu einem Koordinierungstreffen nach Sankt Augustin.

Vor allem die gegenwärtige, heftig geführte Debatte um einen EU-Beitritt der Türkei nutzt Arslan als Podium. Kaum ein Tag vergeht, an dem er sich nicht in irgendeinem Medium zu Wort meldet und die offizielle Parteilinie, die nach wie vor einem Beitritt grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, kritisiert. Der in der Türkei geborene und 1997 eingebürgerte Nachwuchspolitiker dosiert seine Andeutungen dabei sehr genau. So etwa auch, wenn er in diesen Tagen gegen die angekündigte Unterschriften-Aktion der CDU/CSU gegen einen möglichen türkischen EU-Beitritt ankämpft. Dies sei kein geeigneter Umgang mit "außenpolitischen Themen", läßt Arslan die Mitteldeutsche Zeitung in einem Interview wissen. "Frau Merkel hat erklärt, die CDU werde verantwortungsvoll mit dem Thema umgehen. Es geht um einen Vorschlag der CSU. Da kann eine CDU-Vorsitzende schlecht widersprechen", nimmt er Merkel in Schutz. Zu ihr hat er einen ganz besonderen Draht, was vielen in der Union nicht geheuer ist. Auf ihrem Türkei-Trip im Februar posiert Bülent Arslan neben ihr wie ein Fremdenführer. Arslan zeigt in eine Richtung, Merkel blickt dorthin - Bilder mit Symbolwert.

So konkret Arslans organisatorische Pläne für sein Projekt sind, so widersprüchlich und beliebig sind seine programmatischen Aussagen. Einerseits weist er stets auf die "konservativen Türken" in Deutschland hin, die die Union wählten, andererseits sucht er seine parteiinternen Bündnispartner vor allem unter den linken CDU-Mitgliedern, wie beispielsweise den nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Jürgen Rüttgers.

Rüttgers wird indes auch von der Lesben- und Schwulen Union (LSU) - wiederum einer Mitgliederinitiative innerhalb der Union, die die Anerkennung als Arbeitskreis anstrebt - umgarnt. In einer Pressemitteilung feiert die LSU Rüttgers als "einen Landesvorsitzenden, der die Auffassung vertritt, daß die Politik den Menschen nicht vorschreiben darf, wie sie zu leben haben". Der CDU-Landesverband NRW würde sich "vorsichtig öffnen für die Belange der Schwulen und Lesben". Vor allem Bülent Arslans wertkonservativer türkischer Klientel dürfte eine solche Entwicklung nicht behagen.

Auch sonst ist es schwer, eine stringente programmatische Linie am DTF zu finden. Von allem ist ein bißchen dabei. Zwar lehne das Forum die "generelle" doppelte Staatsbürgerschaft ab, aber die "emotionalen, verwandtschaftlichen und materiellen Bindungen an die Türkei" müßten respektiert und geschützt werden. Die deutsche Staatsbürgerschaft wird von Arslan zu einem "integrationsfördernden Instrument" degradiert.

Ebenso indifferent ist die Haltung des DTF zur Frage, welche Rolle der Islam spielen soll. In den Leitsätzen für eine "christlich-demokratische Islampolitik für Deutschland" spricht sich das DTF für das "türkische Islam-Modell" aus. "Darunter verstehen wir einen aufgeklärten, von traditionellen Lasten befreiten Islam auf der Basis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung", heißt es im DTF-Papier. Die muslimische Religionsgemeinschaft müsse herzu in Deutschland als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden, "um die Interessen der in Deutschland lebenden Muslime angemessen zu vertreten". Ein ähnliches Modell gibt es bereits in Österreich. Dies könne aber nur auf Grundlage "eines breiten Konsenses der großen islamischen Dachverbände" geschehen, heißt es beim DTF. Ergänzend fordert die Türken-Union auch die "Kooperation mit muslimischen Organisationen". "Auch der Kontakt zu anderen Gesellschaftsgruppen muß gepflegt werden. Mit Gruppierungen, die durch ihr Wirken die Integration nicht immer fördern, sollte ein kritischer Dialog geführt werden", heißt es kryptisch im Islam-Thesenpapier des DTF.

Kompromißlos für einen EU-Beitritt der Türkei

Daß damit eigentlich nur die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) gemeint sein kann, wird mit keinem Wort im Papier erwähnt. Denn die IGMG, die derzeit über etwa 26.500 Mitglieder verfügt, stellt innerhalb der türkisch-islamischen Zuwanderergemeinschaft einen nicht zu übersehenden Machtfaktor dar. Der Verfassungsschutz warnt eindringlich vor der Organisation. Versicherungen von IGMG-Funktionären, "die Wertordnung des Grundgesetzes vollinhaltlich anzuerkennen, ist mit Skepsis zu begegnen", heißt es im Bericht des Verfassungsschutzes. Außer Frage steht, daß die IGMG erhebliche Probleme mit der homosexuellenfreundlichen Politik der NRW-CDU haben dürfte, in deren Landesvorstand Arslan seit 1999 sitzt.

Nur die Frage des EU-Türkeibeitritts erfordert keinen programmarischen Spagat von Bülent Arslan und seinen Mitstreitern. "Die Türkei gehört in die EU", sagt Arslan. "Die grundsätzliche Ablehnung eines Beitritts aus kulturellen Gründen, die am stärksten aus der CSU zu hören ist, halten wir für falsch" - dann, so Arslan, müßte man doch "alle Muslime in ihre Herkunftsländer zurückschicken". Von internen Debatten um dieses Thema ist nichts zu hören - dabei gibt es auch türkischstämmige Unionsmitglieder, die eine türkische EU-Mitgliedschaft ablehnen. Der Berliner Vorsitzende des JU-Kreisverbandes und DTF-Mitglied Timur Husein vertritt beispielsweise eine solche Auffassung - dennoch tritt das DTF nach außen hin in dieser wichtigen Frage, die momentan zumindest der Parteilinie voll widerspricht, einheitlich auf.

Arslan kann aber auch ungemütlich werden - vor allem, wenn er seine Karriere in der Union behindert sieht. Bei den Bundestagswahlen 2002 fiel der Deutschtürke im Wahlkreis Hagen mit Pauken und Trompeten durch. Um ihn hatte es öffentlichen Streit gegeben, weil die Parteidelegierten in Hagen nicht bereit waren, ihn zu ihrem Direktkandidaten zu wählen. Arslan war dann der erste Listen-Kandidat in der Geschichte der NRW-Union, der nicht zugleich in einem Wahlkreis direkt kandidierte.

Als dann später der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche in einem anderen Zusammenhang in einem Interview äußerte, Muslimen faule eher die Hand ab, als daß sie die Union wählten, holte Arslan zum großen Schlag aus, beschimpfte ihn erregt als "ahnungslosen Hinterwäldler" und forderte den sofortigen Parteiausschluß. Rüttgers sekundierte seinem Freund Arslan und nannte Nitzsches Ausführungen öffentlich "inakzeptabel".

Daß ihm sein nächster Coup, die Gründung der DTU, gelingen wird, bezweifelt niemand. Dann bewegt sich Arslan trotz der wenigen Mitglieder auf Augenhöhe mit den anderen Arbeitskreisvorsitzenden der Union. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, alle türkischstämmigen CDU/CSU-Mitglieder mit Werbegeschenken in seine Gruppe zu locken, wird sie mit etwa 2.000 Mitgliedern schwächer sein als die anderen Arbeitskreise. Doch Arslan hat bereits gezeigt, daß seine Hausmacht in der CDU nicht in der Zahl der Mitglieder des DTF begründet ist, sondern ausschließlich in seiner medialen Präsenz.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen