© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/04 22. Oktober 2004

Habit wird Blaumann
von Manuel Ochsenreiter

Gerichte fällen Urteile, um Klarheit zu schaffen. Bei der Kopftuch-Frage scheint dies nicht zu funktionieren. Das Bundesverwaltungsgericht stellte vorige Woche fest, das Verbot religiöser Bekundungen im öffentlichen Raum müsse für alle Religionen gelten - nicht nur für das muslimische Kopftuch.

Auch die Nonnentracht sei eine "Glaubensbekundung", so der ehemalige Verfassungsrichter Bertold Sommer - und damit gehöre sie ebenfalls aus den Schulen verbannt. Das Bundesverfassungsgericht habe darauf hingewiesen, daß die Religionen gleich zu behandeln seien. Der scheinbar rettende Einfall kam der baden-württembergischen Kultusministerin Annette Schavan (CDU), einer der schärfsten Kopftuchgegnerinnen, in letzter Minute: Die Nonnentracht sei keine Glaubens-, sondern Arbeitskleidung. Was clever gemeint war, ist eine Beleidigung für die 27.700 Nonnen in Deutschland. Damit wird ihr Habit zum Blaumann degradiert. Das ist nur ein Vorgeschmack dessen, was noch in dieser Richtung kommen wird. Schnell wird man merken, daß sich eine "Lex Kopftuch" in einem säkularen Staat auch gegen Christen wenden läßt. Dabei ist es bislang nicht einmal klar, ob sich mit einem Kopftuchverbot überhaupt Extremismus bekämpfen läßt. Theoretisch wäre sogar das Gegenteil möglich - das Kopftuch könnte ein politisches Widerstandssymbol werden.

So gibt es bislang zwei Gewinner der Kopftuchgesetze: diejenigen, die Religion insgesamt aus dem öffentlichen Leben verbannen wollen, und diejenigen, die das Kopftuch politisch mißbrauchen.


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