© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/04 22. Oktober 2004

Michael Glos
Bauernkluger Müllermeister
von Paul Rosen

Während einer Wanderung durch seinen fränkischen Wahlkreis kam Michael Glos zu einem Dorffest, wo das "Sauschätzen" noch nicht aus der Mode gekommen ist. Der CSU-Landesgruppenchef taxierte das Borstenvieh auf satte 120 Kilo, obwohl es nur 100 Kilo hatte. Auf den Einwand, daß er als Müllermeister, in dessen Betrieb auch mehrere hundert Schweine standen, das Gewicht besser kennen müßte, antwortete er verschmitzt: Natürlich hätte er genau schätzen und das Schwein gewinnen können. Aber ein Volksvertreter müsse den Leuten die Freude am Gewinnen lassen. Bäuerliche Klugheit und Erfahrenheit sind Wesensmerkmale des bald 60 Jahre alten Politikers. Früh schon wurde er in die Verantwortung gezwungen. Der Vater starb, als der kleine Michael zehn Jahre alt war. Seitdem mußte er im Betrieb mit anpacken.

Zeit für die Politik fand er ab etwa 1970, als er aus Unzufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik der sozial-liberalen Koalition in die CSU eintrat. Seine politische Karriere verlief wie im Bilderbuch: Stadtrat, Kreistag und seit 1976 ein Bundestagsmandat als Abgeordneter des Wahlkreises Schweinfurt. In Bonn zog es Glos dann gleich in den Haushalts- und Wirtschaftsausschuß des Bundestages.

1993 rückte Glos in die Spitzenliga der CSU auf. Als der Landesgruppenvorsitzende Wolfgang Bötsch ins Kabinett kam, wurde Glos dessen Nachfolger. Es gehört zum Wesen des Müllers, nach allen Seiten mißtrauisch zu sein. Der Bauer mag ihn nicht, weil er zu wenig für das Getreide zahlt. Der Bäcker mag ihn auch nicht, weil er den Müller verdächtigt, für teures Geld schlechtes Mehl zu liefern. Ein Müller steht im permanenten Zweifrontenkrieg.

Bei Glos ist das nicht anders. Er muß CSU-Chef Edmund Stoiber die Treue halten, dessen Statthalter er als Chef der 57 CSU-Bundestagsabgeordneten ist. Und er ist als Erster Stellvertreter von Fraktionschefin Angela Merkel auch der CDU-Seite zu Loyalität verpflichtet. Seine große Sorge ist, daß die 1998 auf Rekordgröße gewachsene Landesgruppe bei der Wahl 2006 stark schrumpfen könnte. Und wenn er versichert, Merkel habe das "Prä" für die Kanzlerkandidatur, so darf man getrost unterstellen, daß Glos anders redet, als er denkt. Er dürfte genau wissen, daß mit einer Kanzlerkandidatin Merkel gerade in Bayern massive Verluste zu befürchten sind.

Um den Franken zu gewinnen, dürfte sich Merkel auf die Seite von Glos geschlagen haben, als dieser eine Unterschriftenaktion gegen den EU-Beitritt der Türkei vorschlug. Solche Vorschläge haben bei Glos Tradition. Schon mehrfach forderte er Volksabstimmungen über den EU-Beitritt der Türkei. Daß Merkel massiver Protest in der CDU entgegenschlug, dürfte Glos wieder recht gewesen sein. Die Schwäche der CDU-Chefin läßt ihn hoffen, daß es 2006 vielleicht doch einen anderen Kanzlerkandidaten gibt. Auch wenn sie in seinen Augen das "Prä" hat, heißt das nicht, daß er sie will.


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