© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/04 22. Oktober 2004

Das System Merkel wankt
Unionsparteien: Der CDU-Vorsitzenden gleitet langsam das Ruder aus den Händen / Konkurrenten wie Wulff und Koch lauern auf ihre Chancen
Paul Rosen

Intrigen, Rücktritte, Amtsverzicht und Streit um den Kurs: Die CDU versinkt in einer tiefen Krise. Wenn SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter sagt, das zeige, "daß diese Partei nicht regierungsfähig ist", dann dürfte ihm selbst in der CDU kaum jemand widersprechen. Parteichefin Angela Merkel, die Schönwettervorsitzende, kann das Ruder nicht mehr halten. Wenn die Partei die Krise nicht bald überwindet, könnte ihr langfristig das Schicksal der italienischen Christdemokraten drohen: Die spielen in der römischen Politik keine Rolle mehr.

Daß das System Merkel an seine Grenzen stoßen würde, war eigentlich keine Überraschung. Zu radikal war der Kurswechsel auf dem Leipziger Parteitag vor fast einem Jahr. Merkel, die der beschaulichen Partei das modernste Programm Europas geben wollte, hörte auf die falschen Ratgeber. Die CDU beschloß in einer Art Rauschzustand ein Programm, das ihre Wähler das Fürchten lehrte, sobald sie die Einzelheiten erfuhren. Das Ringen um die von Merkel vertretene Kopfpauschale machte weiten Teilen des bürgerlichen Lagers deutlich, daß die CDU mit noch mehr Gier an das Geld der Bürger will als die Sozialdemokraten. Deren Kanzler Gerhard Schröder hat die rigorosen Einschnitte mit Hartz IV beendet. Die Agenda 2010 ist abgearbeitet. Seitdem verlegt sich der Kanzler auf die Außenpolitik.

Es wäre zu einfach, die jüngsten Wahlniederlagen der CDU in Sachsen, Brandenburg und in vielen nordrhein-westfälischen Städten nur auf den Streit mit der CSU zurückzuführen. Deren Chef Edmund Stoiber will 2006 die Wahlen gewinnen - vor allem in Bayern. Und das geht nach seiner Einschätzung nicht mit Merkel. Daher kam sein Wort von den "Leichtmatrosen" Merkel und Guido Westerwelle, denen er nicht zutraue, 2006 gegen das Gespann Gerhard Schröder und Joseph Fischer zu bestehen.

Natürlich geht es beim Streit um die Kopfpauschale nur vordergründig um das Programm. In Wirklichkeit wird um die Macht gekämpft. Mit jedem neuen Argument aus Bayern gegen den nicht durchgerechneten und praxisuntauglichen CDU-Plan wurde Merkels Autorität weiter geschwächt. Die Parteichefin stand vor einem Dilemma. Der Parteitag in Düsseldorf, auf dem sie sich zur Wiederwahl zu stellen hat, rückt immer näher. Die CDU-Chefin hat keine Wahlerfolge aufzuweisen. Auch die Bilanz im Bundestag ist schlecht. In allen wichtigen Debatten wurde die CDU kaum wahrgenommen. Schröder, Fischer, Finanzminister Hans Eichel und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement spülten die Union regelrecht weg - und das trotz der miserablen Regierungsbilanzen.

So kämpft Merkel verbissen gegen die CSU an. Sie hoffte, Stoiber zum Rückzug zu zwingen und sich als große Reformerin darstellen zu können. Doch Politik ist nicht planbar und wie das Leben voller Überraschungen. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos kam plötzlich mit der Idee einer Unterschriftensammlung gegen den EU-Beitritt der Türkei. Die CDU-Chefin hängte sich an, bekam in der eigenen Partei jedoch so viel Widerspruch, daß sie das Unternehmen nach wenigen Tagen wieder abblasen mußte und selbst schweren Schaden nahm, weil ihre geringe Autorität deutlich wurde.

Doch es sollte noch schlimmer kommen. Der für Wirtschaft und Finanzen zuständige stellvertretende Fraktions- und CDU-Vorsitzende Friedrich Merz teilte der "lieben Angela" mit, daß er seine Ämter niederzulegen gedenke. Daß Merz sich tatsächlich aus der Politik zurückziehen will, glaubt in Berlin kein Mensch. Es gilt als ausgemachte Sache, daß der nach der Bundestagswahl 2002 von Merkel abgelöste damalige Fraktionschef Merz Rache an Merkel nehmen will. Schlagartig wurde deutlich, daß die CDU nicht in der Lage ist, den 48jährigen Sauerländer zu ersetzen.

Das dürfte Sinn und Zweck der Aktion von Merz gewesen sein. Er selbst dürfte keine Chance gesehen haben, gegen die die Fraktion beherrschende Vorsitzende anzukommen, und will lieber außerhalb der Führung auf eine günstige Gelegenheit zur Rückkehr warten. Das System Merkel besteht darin, daß zahllose ihr treu ergeben Politiker aus der zweiten Reihe und Dutzende von Mitarbeiten ein Informationsnetzwerk aufgebaut haben, das dazu führt, daß die Vorsitzende selbst über kleinste Dinge schnellstens unterrichtet wird.

Die Volkspartei CDU hat keine Köpfe mehr

Schon schlug das System Merkel zurück. Mitten in den Aufruhr um Merz platzte die Nachricht des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus, er könne nicht ausschließen, daß eine Intrige gegen Merkel im Gange sei. Daran war natürlich nichts dran. Merz ist ein Einzelkämpfer. Andere Ministerpräsidenten, etwa der Niedersachse Christian Wulff oder der Hesse Roland Koch, warten auf ihre Chance, tun aber im Moment nichts. Althaus dürfte die Botschaft jedoch mindestens im Sinne, vermutlich sogar im Auftrag seiner Parteivorsitzenden plaziert haben. Das Gerede von Intrigen, Komplotten und Verschwörungen schließt die eigenen Reihen. Und Merkel braucht auf dem Parteitag in Düsseldorf dringend ein gutes Wahlergebnis. Es ist ihre letzte Wahl vor der Nominierung des Kanzlerkandidaten der Union. Und die Kanzlerkandidatur bleibt ihr großes Ziel.

Aber die Dinge liefen so schlecht weiter, wie sie begannen. Bei der Suche nach einem Nachfolger für Merz erlitt die CDU-Chefin Schiffbruch. Wolfgang Schäuble war von ihr öffentlich gefragt worden in der Erwartung, er werde eine Ablehnung nicht wagen. Doch Schäuble, immer noch beleidigt wegen des üblen Umgangs mit seiner Person während der Nominierungsphase des Bundespräsidenten-Kandidaten, gab Merkel einen Korb. Jetzt war die CDU-Chefin erst recht blamiert.

Die Nachfolge von Merz in der Fraktion sollen mit Michael Meister und Ronald Pofalla zwei Kandidaten aus der zweiten Reihe übernehmen, die außerhalb ihrer Heimatwahlkreise kaum bekannt sind. Sie sollen die Gegenspieler von Eichel und Clement sein. Ein Trauerspiel zeichnet sich ab. Das zeigt auch die Dimension der Krise: Die Volkspartei CDU hat keine Köpfe mehr. Und das Volk läuft ebenfalls bereits weg.

Foto: Sorgenvolle Miene der CDU-Chefin Angela Merkel: Die Schönwettervorsitzende muß um ihre Führungsposition kämpfen


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