© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/04 22. Oktober 2004

Einsatz für das Leben
Lebensrecht I: In Berlin demonstrierten Abtreibungsgegner gegen die Massentötung von Kindern im Mutterleib / Pro Woche werden mehr als 5.000 Kinder abgetrieben
Manuel Ochsenreiter

Im trüben Oktoberregen sind nur Regenschirme und weiße Holzkreuze zu sehen. Etwa 1.000 Menschen haben sich auf dem Berliner Alexanderplatz versammelt, um weitgehend ohne Medienaufmerksamkeit gegen ein "gewaltiges Unrecht", die Tötung von Kindern im Mutterleib, zu protestieren.

Es demonstriert der Bundesverband Lebensrecht (BVL), ein Dachverband mehrerer bundesdeutscher Anti-Abtreibungsorganisationen. "In der Bundesrepublik Deutschland kommt inzwischen jedes dritte gezeugte Kind durch Abtreibung ums Leben", heißt es im Aufruf des BVL. Bundesweit würden pro Werktag etwa 1.000 Kinder abgetrieben, so die Bundesvorsitzende des BVL, die Ärztin Claudia Kaminski. "Jedes Jahr werden in Deutschland auf diese Weise zwei Städte von der Größe der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam entvölkert".

Die weißen Holzkreuze, die die Demonstrationsteilnehmer vor sich hertragen, stehen für die getöteten Kinder an einem einzigen Werktag. "Der Mutterleib muß wieder ein sicherer Ort werden", fordern die Lebensrechtler. Denn momentan gleiche er eher einer "Todeszelle". Trotz ihrer drastischen Vergleiche und ihres engagierten Auftretens fristen Lebensrechtler zumindest in Deutschland medial ein Schattendasein. Einigen erklärten Feministinnen ging selbst die Demonstration zu weit. Sie protestierten mit einem "Mein Bauch gehört mir"-Plakat und bewarfen die Lebensrechtler mit Farbbeuteln - bis die Polizei dem Spuk mit einem Platzverweis für die Gegendemonstranten ein Ende bereitete.

Der BVL versteht sich vor allem als Lebensrechtlerlobby. Immer wieder appelliert die Vereinigung an die Politik, wirksam den Lebensschutz zu gewährleisten - zuletzt in der "Berliner Erklärung". Darin bekundet der BVL sein "Entsetzen darüber, daß selbst Mindestforderungen zur Eindämmung des Skandals der Spätabtreibungen (...) im Bundestag offenbar nach wie vor nicht mehrheitsfähig sind". Sogenannte Spätabtreibungen erfolgen in einem Stadium der Schwangerschaft, in dem das ungeborene Kind bereits außerhalb des Mutterleibes lebensfähig ist. Manche Experten gehen von jährlich über 800 Spätabtreibungen aus, die als "Totgeburten" gezählt werden.

Mitglied im BVL sind die Aktion Lebensrecht für alle (Alfa), der Arbeitskreis Christen und Ökologie in der ÖDP, die Christdemokraten für das Leben (CDL), die Juristen-Vereinigung Lebensrecht, die Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig bewahren (Kaleb), die Lebensrechtsbewegung, der Liberale Gesprächskreis Lebensrecht, der Verein Pro Conscientia aus Heidelberg, die freikirchliche Initiative Pro Vita, die Vereinigung Rahel, das Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen sowie die Kölner Zentralstelle für Sozialethik und Sozialhygiene.

Dem BVL gehe es vor allem um die "Schaffung wirksamer Beiträge zum Bewußtseinswandel zu Wert und Würde menschlichen Lebens in unserer Gesellschaft, insbesondere durch Einflußnahme auf politische und kirchliche Verantwortungsträger sowie Medien" - doch dieser Wandel scheint heute weiter entfernt denn je, obwohl sich die Lebensrechtler in Parteien, Verbänden und Kirchen engagieren.

Längst haben sie darauf reagiert, daß das Thema Abtreibung viele Facetten hat, und sich unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Entgegen der Meinung vieler Kritiker geht es den Organisationen nicht um reines Moralisieren oder gar die Verurteilung von Frauen, sondern darum, notfalls auch aktive Hilfe zu leisten. "Die Hilfe gilt allen, die sie brauchen. Auch in scheinbar ausweglosen Situationen können Frauen 'Ja' zum Kind sagen. Die Alfa öffnet Wege. Dabei wird nicht zwischen geborenen und ungeborenen Menschen unterschieden. Die Alfa unterstützt Frauen - solange dies nötig ist; sie hilft auch Vätern, die zu ihren Kindern stehen", heißt es in der Selbstdarstellung. Für schwangere Frauen in solchen Notsituationen hat die Alfa ein eigenes Notfalltelefon eingerichtet (02 11 / 700 80 00).

Kaleb ist ein christlicher Verein, der sich 1990 kurz nach der Wende in Mitteldeutschland gegründet hat, um dort ebenfalls aktiv und mit konkreten Hilfsangeboten gegen Abtreibungen zu kämpfen. Der Verein Rahel widmet sich einem besonders heiklen und weitgehend tabuisiertem Thema, den Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs. "Viele Frauen bedauern später die Tötung ihrer ungeborenen Kinder und würden sie gerne rückgängig machen. Trauer und Enttäuschung, über sich selbst und andere, erleben die meisten Frauen nach einer Abtreibung", heißt es hierzu in der Selbstdarstellung. Bei Rahel "steht die Frau als zweites Opfer der Abtreibung und ihre Familie im Mittelpunkt des Wirkens". Die Juristenvereinigung Lebensrecht "sorgt sich um Menschenwürde und Menschenrechte Ungeborener wie Schwangerer und bemüht sich um einen gerechten Ausgleich bei Konflikten". Dort bezieht man "Stellung in der rechtspolitischen Diskussion, zu Gesetzentwürfen sowie zu Gesetzen und ihrer Praxis".

Kontakt: Sämtliche Vereine sind über den Bundesverband Lebensrecht erreichbar. Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin, Tel: 0 30 / 44 05 88 66, Fax: 030 / 44 05 88 67, Internet: www.bv-lebensrecht.de 

Foto: Hunderte Lebensschützer mit weißen Holzkreuzen demonstrieren am 16. Oktober in Berlin-Mitte: "Entsetzen darüber, daß selbst Mindestforderungen zur Eindämmung des Skandals der Spätabtreibungen im Bundestag offenbar nach wie vor nicht mehrheitsfähig sind"


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