© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/04 22. Oktober 2004

Bilder gegen die Vergänglichkeit
F. Truffaut zum 20. Todestag
Werner Olles

Bertrand Morane, Truffauts "Mann, der die Frauen liebte", ist ein Besessener der Liebe, ein melancholischer, von einer Aura der Einsamkeit umgebener Mann, der mit jenem tiefen Ernst seiner Obsession nachgeht, der allen zwanghaft Handelnden zu eigen ist. Seine Leidenschaft gilt allen Frauen, er weiß an jeder ihre besonderen Vorzüge zu rühmen, könnte aber an einer einzigen auf Dauer keinen Gefallen finden. Wer mit der Rollenverteilung der Geschlechter in Truffaut-Filmen einigermaßen vertraut ist, der wird die Feststellung des Regisseurs zu schätzen wissen: "'Der Mann, der die Frauen liebte' ist ein feministischer Film, auf meine Art".

Schon der junge Truffaut liebte das Kino. Bereits mit vierzehn Jahren verließ er die Schule, jobbte in verschiedenen Berufen, bis er es schließlich bei den Cahiers du Cinéma zum gefürchtetsten Filmkritiker Frankreichs brachte. 1957 drehte er mit "Die Unverschämten" seinen ersten Kurzfilm, doch erst mit "Sie küßten und sie schlugen ihn" gelang ihm der Durchbruch. Die gleichzeitige Geburt der Nouvelle Vague des französischen Kinos war auch der Beginn für diesen einzigartigen Filmzyklus mit Jean-Pierre Léaud in der Rolle des Antoine Doinel, dessen Biographie Truffaut über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren in fünf Filmen erzählt.

Mit "Schießen Sie auf den Pianisten" zeigte Trauffaut, daß auch die Regisseure der Nouvelle Vague mit höchst unterschiedlichen Ansätzen an ihre Arbeit gingen. Der stilistisch und inszenatorisch wundervolle Film erzählt - durchdrungen von schwarzem Humor und liebenswerter Poesie - die Geschichte eines scheuen Kneipenpianisten, der durch seine verkommenen Brüder in eine Gangsteraffäre verstrickt wird. Neben Charles Aznavours großer Darstellungskunst schlägt der Film vor allem durch seine tragikomische Filmdichtung und raffinierten Stilmittel in Bann.

Die zutiefst humane Geisteshaltung ihres Schöpfers spiegelt auch "Die Geschichte der Adéle H.". Nach den Tagebüchern der zweiten Tochter von Victor Hugo schildert Truffaut ihre einseitige Liebe zu einem englischen Husarenleutnant, dem sie heimlich nach Kanada und Barbados nachreist. Nachdem sie sich mehr und mehr von ihrer Umwelt entfremdet, endet sie schließlich in geistiger Umnachtung. 1978 drehte Truffaut mit "Das grüne Zimmer" einen seiner irritierendsten und bewegendsten, aber auch persönlichsten Filme - mit sich selbst in der Hauptrolle. Ein weiteres Mal setzte er gegen den üblichen Bilder-, Informations- und Gefühlsverbrauch Bilder des Bewahrens, des Nichtvergessens, der Ewigkeit und damit des Widerstands gegen Vergänglichkeit. Am 21. Oktober 1984 starb Truffaut in Paris im Alter von nur 52 Jahren.


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