© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/04 22. Oktober 2004

Routinen des Genozids
Tiere als Verrohungsmerkmale
Werner Olles

Ende des 19. Jahrhunderts begann in den Schlachthöfen von Chicago die fließbandmäßige Schlachtung und Verarbeitung von sogenannten Nutztieren. Der Schriftsteller Upton Beall Sinclair hat über die dort herrschenden Zustände in seinem 1906 erschienenen und großes Aufsehen erregenden Roman "Der Dschungel" berichtet. Folgt man den Thesen des Sozialhistorikers, Holocaust-Forschers und Psychotherapeuten Charles Patterson, dann wurden mit der industriellen Massenschlachtung der Tiere die Voraussetzungen für die automatisierte Vernichtung von Menschen geschaffen, die im 20. Jahrhundert in den Vernichtungslagern der Kommunisten und Nationalsozialisten stattfand.

Dies mag zunächst absurd klingen, weil die im Buch beschriebenen Massenmorde sich sowohl in bezug auf die Opfer als auch hinsichtlich des Zwecks der Tötung natürlich unterschieden, aber Patterson listet die zahlreichen augenfälligen Gemeinsamkeiten akribisch auf: die Isolierung der Opfer; der Transport in Viehwaggons; die Unterbringung in Ställen und Schlachthöfen; die Architektur der Vernichtungslager; die massenhafte Tötung. Der Autor zitiert den ehemaligen Direktor des Frankfurter Zoologischen Gartens und bekannten Tierfilmer Bernhard Grzimek, der im Zusammenhang mit der Massenhaltung von Legehennen völlig berechtigt von "Hühner-KZs" sprach.

Pattersons Zivilisationskritik ist ebenso radikal wie bedrückend. Die Geschichte des ambivalenten Verhältnisses von Mensch und Tier steht dabei im Mittelpunkt seiner Untersuchungen. Daß die Routinen des Genozids nur die Routinen des Massenmords an den wehrlosen Tieren fortführen, zeigt die niemals unterbrochene Linie und Logik einer stetigen Verrohung des Menschen. Was in der Tierzucht erprobt wurde, kehrte in der kollektiven Wahnidee der nationalsozialistischen Eugenik und im Klassenwahn des Kommunismus zurück. Gewidmet ist das Buch dem Literaturnobelpreisträger Isaac Bashevis Singer. Von ihm stammt der erschütternde Satz: "Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka." 

Charles Patterson: "Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka". Über die Ursprünge des industriellen Tötens. Verlag Zweitausendeins. Frankfurt 2OO4. 3O8 Seiten, 16,90 Euro


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