© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/04 22. Oktober 2004

Wer spart, ist der Dumme
von Eike Erdel

Mit Hartz IV werden Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt zum Arbeitslosengeld II, die Arbeitslosenhilfe wird dabei deutlich gesenkt. Sozialversicherungspflich-tige Beschäftigte beziehen zunächst für maximal zwölf Monate Arbeitslosengeld, das jetzt Arbeitslosengeld I heißt. Personen, die älter als 55 Jahre sind, haben bis zu 18 Monate Anspruch auf diese Leistung. Bis zum 31. Januar 2006 gibt es eine Übergangsregelung, nach der sich die Ansprüche auf Arbeitslosengeld I nach der bisher geltenden Fassung richten, das heißt für diejenigen, die die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld I bis dahin erfüllen, gibt es keine Änderungen. Wer nach dieser Frist arbeitslos wird oder für den die Übergangsregelung nicht gilt, muß um seine Ersparnisse fürchten.

Die Bundesregierung betont zwar immer wieder, daß die Freibeträge für Vermögen in dem neuen Arbeitslosengeld II höher sind als in der bisher gezahlten Arbeitslosenhilfe und deutlich höher als bei der bisherigen Sozialhilfe. Gerade aber ältere Arbeitslose, die ihr ganzes Leben gearbeitet und in die Arbeitslosenversicherung bezahlt haben, sind die Dummen, wenn sie ihr Geld gespart oder in Immobilien angelegt haben. Besonders fragwürdig sind die Regelungen von Hartz IV im neuen Sozialgesetzbuch II zum Wohneigentum und zur Erbenhaftung.

Zwar legt Paragraph 12 Absatz 3 Nr. 4 des neuen Sozialgesetzbuches II fest, daß ein selbst genutztes Hausgrund-stück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung nicht als Vermögen angerechnet werden, fraglich bleibt aber, was angemessen ist. Dies hängt im Einzelfall von den konkreten Umständen ab und wird von den örtlichen Arbeitsagenturen oder den Kommunen entschieden. Zu berücksichtigen sind die Anzahl der im Haus lebenden Personen, die Lebensumstände und das regionale Preisniveau. Die Obergrenze für eine Eigentumswohnung soll im Regelfall bei 120 Quadratmetern, für ein Haus bei 130 Quadratmetern liegen. Bei größeren Immobilien kann dann ein Verkauf des Hauses in jedem Fall in Frage kommen. Für eine Einzelperson ist schon eine Eigentumswohnung von 45 bis 50 Quadratmeter angemessen. Für zwei Personen sind 60 Quadratmeter noch angemessen, bei drei Personen sind es 75 und bei vier Personen 90 Quadratmeter. Für jedes weitere Familienmitglied sind dann noch zehn Quadratmeter zusätzlich angemessen. Werden diese Werte überschritten, entscheidet die örtliche Arbeitsagentur, ob das Eigentum womöglich als anrechenbares Vermögen gewertet werden muß. Dann kann der Arbeitslose verpflichtet sein, seine Immobilie zu verkaufen, um mit dem Erlös seinen Unterhalt zu bestreiten. In Ausnahmefällen soll eine Verwertung aber dann nicht in Betracht kommen, wenn sie offensichtlich unwirtschaftlich wäre.

Grundsätzlich müssen auch Immobilien im Ausland angegeben werden. Ob es zu einer Verwertung des Objekts kommt, wird im Einzelfall geprüft. Es kann bezweifelt werden, daß die Richtigkeit der Angaben ausländischer Hilfsempfänger hinsichtlich der Existenz von Grundeigentum im Ausland praktisch überprüfbar ist. Damit sind die vielen türkischen Gastarbeiter, die häufig von dem in Deutschland verdienten Geld Immobilien in der Türkei erworben haben, gegenüber deutschen Arbeitslosen faktisch im Vorteil.

Gerade ältere

Arbeitslose, die ihr ganzes Leben gearbeitet und in die Arbeitslosenversicherung bezahlt haben, sind die Dummen. Besonders fragwürdig sind die Regelungen von Hartz IV zum Wohneigentum und zum Erbrecht.

Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Regelung mit der Eigentumsgarantie aus Artikel 14 Grundgesetz vereinbar ist. Mit dieser Bestandsgarantie wird die öffentliche Gewalt verpflichtet, in Eigentumspositionen nur unter besonderen Voraussetzungen einzugreifen. Zu dem durch das Grundrecht geschützten Eigentum gehört auch das Grundeigentum. Mit der Neuregelung hat der Gesetzgeber allerdings keinen direkten Zugriff auf das Grundeigentum normiert, sondern nur deren Anrechnung als Vermögen. Besitzt der Langzeitarbeitslose also nach Auffassung der Arbeitsagentur eine zu große Immobilie, dann verliert er den Anspruch auf das Arbeitslosengeld II. Damit ist er dann allerdings faktisch gezwungen, sein Wohnungseigentum zu verkaufen. Bevor man aber die Frage beantwortet, ob diese Neuregelung mit der Eigentumsgarantie vereinbar ist, ist zu klären, ob sich nicht schon ein grundsätzlicher Anspruch auf Arbeitslosengeld aus dem Grundgesetz ableiten läßt.

Aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes lassen sich regelmäßig keine individuellen Rechte ableiten. Allerdings sind Ausnahmen möglich: So besteht ein Anspruch auf die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein. Solange aber ein Arbeitsloser noch Immobilien besitzt, kann er selbst für diese Mindestvoraussetzungen sorgen. Aus dem Sozialstaatsprinzip bestehen daher keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Neuregelung.

Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß auch Ansprüche gegenüber der Arbeitslosenversicherung als Eigentum durch Artikel 14 geschützt werden. Mit der Entscheidung aus dem Jahre 1986 (1 BvL 39/83) wurde ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt, das Versicherten nachträglich durch Verlängerung der Anwartschaftszeit die Ansprüche auf Arbeitslosengeld entzog, die bereits die frühere gesetzliche Anwartschaftszeit erfüllt hatten.

Es kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht darauf an, ob der Berechtigte individuell mehr oder weniger auf den Bezug des Arbeitslosengeldes angewiesen ist. Es geht vielmehr um die objektive Feststellung, ob eine öffentlichrechtliche Leistung ihrer Zielsetzung nach der Existenzsicherung des Berechtigten zu dienen bestimmt ist. Für die verfassungsrechtliche Einordnung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld als Eigentum sei es unerheblich, ob der Versicherte noch über weitere Möglichkeiten zur Existenzsicherung verfügt. Aufgrund der langen Tradition der mit dem angegriffenen Gesetz abgeschafften Regelung hat das Bundesverfassungsgericht das Vertrauen des Betroffenen auf die Beibehaltung der bisherigen Regelung höher bewertet als das Interesse des Staates an Einsparungen. Die Karlsruher Richter betonten in der Entscheidung ausdrücklich, daß das Arbeitslosengeld auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung des Versicherten beruht.

In einer jüngeren Entscheidung aus dem Jahre 2001 ist das Bundesverfassungsgericht von einigen dieser Grundsätze wieder abgerückt (1 BvR 2402/97). Nach dieser Entscheidung verfolgte der Gesetzgeber mit der Anpassung der Sozialausgaben an eine geänderte Haushaltslage wichtige Gemeinwohlinteressen. Die Bestandsinteressen des Beschwerdeführers müßten dagegen zurückstehen. Allerdings hat hier der Beschwerdeführer nur kurze Zeit Beiträge in die Arbeitslosenversicherung gezahlt.

Es ist unwahrscheinlich, daß das Bundesverfassungsgericht von dieser neuen Linie grundsätzlich abweichen wird, zumal es eine Übergangsregelung gibt, nach der sich die Ansprüche auf Arbeitslosengeld I nach der bisher geltenden Fassung richten. Insbesondere erfordert die derzeitige Haushaltslage auch dringend Einsparungen. Es entfällt ja auch nicht grundsätzlich der Anspruch auf staatliche Hilfe, vielmehr werden diese Hilfen nur erheblich gekürzt. Im Grundsatz ist das Gesetz daher mit dem Grundgesetz vereinbar.

Anders sieht es aber bei den betroffenen Haus- und Wohnungseigentümern aus. Nur wer gegebenenfalls sein Wohneigentum aufgibt, erhält einen Zahlungsanspruch. Hier ist das grundgesetzlich geschützte Eigentum doppelt betroffen. Zwar wird das Arbeitslosengeld II aus Steuergeldern finanziert, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß der Arbeitslose zuvor unter Umständen ein langes Berufsleben lang in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt hat und darauf vertraut hat, daß er bei Arbeitslosigkeit abgesichert ist. Die Rechtsposition dieser Versicherten ist so verfestigt, daß sie bei Eintritt längerer Arbeitslosigkeit fest damit rechnen können, Arbeitslosengeld zu beziehen, ohne dafür ihr Wohnungseigentum aufgeben zu müssen. Inwieweit die Aufopferung der eigenen Immobilien dem Einzelnen zumutbar ist, wird von der Dauer der Einzahlung in die Arbeitslosenversicherung abhängen. Eine allgemeingültige Aussage läßt sich da nicht treffen. Diese Regelung ist damit in der derzeitigen Form verfassungswidrig, zumindest aber in dem oben genannten Sinn von den Behörden und Gerichten verfassungskonform einschränkend auszulegen.

Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken erheben sich dagegen gegen die neueingeführte Erbenhaftung. Nach Paragraph 35 Abs. 2 des neuen Sozialgesetzbuches II ist der Erbe eines Empfängers von Arbeitslosengeld II zum Ersatz der Leistungen verpflichtet, soweit diese innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Tod des Arbeitslosengeldempfängers erbracht worden sind und 1.700 Euro übersteigen.

Erbt der Lebenspartner des Verstorbenen, steht ihm ein Freibetrag von 15.500 Euro zu. Verwandte, die den Hilfsempfänger bis zu dessen Tod gepflegt haben, können diesen Freibetrag ebenfalls geltend machen. Auch soweit die Inanspruchnahme des Erben nach der Besonderheit des Einzelfalls eine besondere Härte bedeuten würde, soll das Geld nicht zurückverlangt werden. Die Erben werden allerdings nicht mit dem eigenen Vermögen in Anspruch genommen, betroffen ist nur das Vermögen des Erblassers. Die Ersatzpflicht ist auf den Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls begrenzt. Zum Nachlaß gehört das gesamte Vermögen des Verstorbenen. Der Staat hat drei Jahre nach dem Tod des Leistungsbeziehers Zeit, um seinen Anspruch geltend zu machen.

Konkret bedeutet dies, daß ein Ar-beitslosengeldempfänger, der sein unter den oben genannten Kriterien als angemessen anerkanntes Wohnhaus bewohnte, dieses nicht unbedingt an die nächste Generation weitervererben kann. Stirbt der Hilfsempfänger und will der Erbe das Haus übernehmen, muß er das Arbeitslosengeld der letzten zehn Jahre bis auf den geringen Freibetrag aus eigener Tasche in Höhe des geerbten Vermögens erstatten. Hat der Erblasser mehr Arbeitslosengeld II bekommen, als das Wohnhaus wert ist, kauft der Erbe die Immobilie praktisch neu. Hat er weniger bezogen, als das Wohnhaus wert ist, kann das Haus versteigert werden.

Begründet wird die Regelung damit, daß der Staat die Möglichkeit haben soll, vom Erben die Leistungen zurückzufordern, die der Leistungsempfänger erhalten hat, weil Teile seines Vermögens geschützt und folglich nicht angerechnet wurden. Diese neuen Regelungen zur Erbenhaftung sind dem Sozial-hilferecht entlehnt, mit diesem aber nur schwer vergleichbar. Der Arbeitslosen-hilfeempfänger hat zuvor Leistungen in die Arbeitslosenversicherung gezahlt, um unter anderem im Falle der Arbeitslosigkeit finanziell abgesichert zu sein. Der Sozialhilfeempfänger hat solche Leistungen nicht erbracht. Schwer nachvollziehbar ist es, warum noch der Erblasser geschützt war, die Erben aber nicht mehr.

Stirbt ein Arbeitslosengeldempfänger, der ein angemessenes Wohnhaus besaß, und will der Erbe das Haus übernehmen, muß er das Arbeitslosengeld der letzten zehn Jahre bis auf einen geringen Freibetrag erstatten.

Eine solche Regelung ist verfassungsrechtlich bedenklich. Artikel 14 Grundgesetz enthält neben der Eigentums- auch die Erbrechtsgarantie. Das Erbrecht hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Funktion, das Privateigentum als Grundlage der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung mit dem Tod des Eigentümers nicht untergehen zu lassen, sondern seinen Fortbestand im Wege der Rechtsnachfolge zu sichern. Die Erbrechtsgarantie ergänzt insoweit die Eigentumsgarantie und bildet zusammen mit dieser die Grundlage für die im Grundgesetz vorgegebene private Vermögensordnung.

Auf die durch die Erbrechtsgarantie im Grundgesetz verbürgte erbrechtliche Lage kann sich nicht nur der Erblasser berufen. Auch der dadurch begünstigte Erbe genießt insoweit den Schutz des Grundrechts und kann ihn, jedenfalls vom Eintritt des Erbfalls an, geltend machen. Andernfalls würde der Grund-rechtsschutz mit dem Tod des Erblassers erlöschen und damit weitgehend entwertet werden.

Nach Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz bestimmt der Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Erbrechts. Dies eröffnet ihm eine weitreichende Gestaltungsbefugnis. So darf auch der Erbschaftserwerb besteuert werden, wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen nicht übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse nicht grundlegend beeinträchtigen. Der Gesetzgeber muß bei der näheren Ausgestaltung des Erbrechts den grundlegenden Gehalt der verfassungsrechtlichen Gewährleistung wahren. Er darf von Elementen des Erbrechts, die Bestandteile der verfassungsrechtlichen Gewährleistung sind, nur in Verfolgung eines verfassungsrechtlich legitimen Zwecks und nur unter Wahrung des Verhältnis-mäßigkeitsgrundsatzes abweichen.

Diesen Grundsätzen werden die Regelungen von Hartz IV zur Erbenhaftung nicht gerecht. Die gesamte Erbschaft kann unter Umständen vom Staat konfisziert werden. Denn mit der Entscheidung des Gesetzgebers, daß das Vermögen des Arbeitslosen in Höhe eines gewissen Freibetrages unangetastet bleibt und daß er ein angemessenes Hausgrundstück oder eine angemessene Eigentumswohnung behalten darf, bleiben diese Vermögensgegenstände im Eigentum des Hilfsempfängers. Man hat auch von einer Rückzahlungspflicht des Hilfsempfängers für die empfangenen Leistungen bei einer späteren Wiederbeschäftigung verzichtet.

Eine solche Rückzahlungspflicht bestand noch in Form der bis 1962 geltenden Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht von 1924, die dann durch das Bundessozialhilfegesetz abgelöst worden ist, das auch schon keine Rück-zahlungspflicht des Hilfsempfängers vorsah. Mit der vergleichbaren Erbenhaftung im Bundessozialhilfegesetz hatte sich das Bundesverfassungsgericht, soweit ersichtlich, noch nicht beschäftigt. Die Verwaltungsgerichte haben darin keine Verletzung von Artikel 14 Grundgesetz gesehen.

Schon die Entscheidungen zum Bun-dessozialhilfegesetz sind verfassungsrechtlich bedenklich. Denn damit wird das Grundrecht des Erblassers, sein Vermögen zu vererben, völlig beseitigt, obwohl es bis zu seinem Tod unangefochten sein Eigentum war.

Die Erbenhaftung ist faktisch eine postume Enteignung des Erblassers. Zumindest im Zusammenhang mit den geleisteten Einzahlungen in die Arbeitslosenversicherung und dem dadurch erworbenen Vertrauensschutz ist die Erbenhaftung von Hartz IV nicht mehr mit der Erbrechtsgarantie des Grundgesetzes vereinbar.

Das verantwortungsbewußte Aufbauen einer Existenz auch im Hinblick auf die nächsten Generationen wird durch die Erbenhaftung im neuen So-zialgesetzbuch II bestraft. Belohnt wird derjenige, der nie Geld gespart hatte und es immer mit vollen Händen ausgegeben hat.

 

Eike Erdel ist Rechtsanwalt im hessischen Homberg. In der JF 40/04 schrieb er zuletzt über die finanziellen Ansprüche Polens an Deutschland.


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