© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/04 22. Oktober 2004

"Big Brother": Containerbewohner Michele brach ein Tabu und erzählte Judenwitze
Ruf nach dem Zensor
Manuel Ochsenreiter

Seit Monaten dümpelt "Big Brother" unbeachtet vor sich hin. Weder Sexbomben noch "Sachsen-Paule" haben es geschafft, Medien oder Zuschauer für diese Reality-Show zu interessieren. Die Moderatoren Ruth Moschner und Oli P. plappern allabendlich unermüdlich auf das schrumpfende Fernsehpublikum ein. Wer was im Container gesagt hat, wer mit wem ins Bett will, und wer sich mal wieder bei einem Spiel - dort "Challenge" genannt - bis auf die Knochen blamiert hat...

In der Nacht zum 3. Oktober soll es dann geschehen sein: Michele, 22, italienischer Kellner, Frauentyp, war es. Er soll drei Judenwitze erzählt haben. Zuvor etwas Frauenfeindliches, danach noch einen Witz über Türken. Das Schlimmste daran: "Big Brother" wird im Bezahlfernsehsender Premiere 24 Stunden live übertragen - und somit hatten theoretisch 50.000 Premiere-Bezieher die Chance, Micheles Späße zu hören. Tatsächlich verfolgten wohl nur einige wenige die nächtliche Übertragung.

Premiere-Chef Georg Kofler feuerte sofort die beiden Redakteure, in deren Dienstzeit die Witze fielen - sie hätten reagieren und auf eine andere Kamera oder das Testbild schalten müssen; auf jeden Fall hätte Michele zensiert werden müssen. Er werde "neue einstellen, die größere Sensibilität an den Tag legen", versprach Kofler der taz. Man habe aber auch den Kandidaten vorher extra gesagt, daß es verboten sei, im Container Judenwitze zu erzählen. "Natürlich gab es eine Schulung", so Kofler.

Die Empörung funktioniert. Der Züricher Medienpsychologe Mario Gmür nennt in der Süddeutschen Zeitung den Feind beim Namen. Die Witze seien "Ausdruck einer rechtspopulistischen Gesinnung. Dem Verhalten der narzißtischen Bewohner haftet eine für den Medienbetrieb typisch exzessive Beliebigkeit an, da können sogar Naziparolen Platz haben" - Michele, der nette, etwas naive Espresso-Papagallo also ein fieser Rechter?

Es ist ein Wunder, daß man sich wundert. Die Macher von "Big Brother" vertreten nach außen hin den Anspruch, "authentische" Bilder zu liefern - quasi ein einjähriges Menschenexperiment. Moralische Bedenken darf man da keine haben. Ist es richtig, Menschen wie Tiere monatelang einzusperren und sie den Zuschauern zu präsentieren - selbst wenn sie es freiwillig tun? Darf man deren Intimsphäre ununterbrochen verletzen? Fragen, die man vorher hätte klären müssen.

Anfangs wurden Tabus gebrochen, die gar keine mehr sind. "Bei Premiere war der Sex-Amok ungekürzt und live zu sehen. So hautnah wurde Sex im TV noch nie gezeigt", feierte die Bild-Zeitung, nachdem die Container-Bewohnerin Jeannine, Animateurin aus Quedlinburg, sturzbetrunken und nicht mehr Herrin ihrer Sinne, eine Orgie initiierte. Nur ein paar Bischöfe verlangten damals schockiert den sofortigen Stopp der Sendung - die Produktionsfirma Endemol höhnte, es sei doch nur "ein Ausdruck positiver Lebensgefühle" und fühlte sich als frecher Tabubrecher. Man könne doch nicht als "Zensor" auftreten, in einer Show, die von Authentizität lebe.

Jetzt, wo tatsächlich durch Michele ein Tabu gebrochen wurde, ist alles ganz anders. Dem Sender Premiere drohen nun sogar 500.000 Euro Strafe. Gegen Michele wird mittlerweile sogar strafrechtlich ermittelt. Er ist inzwischen aus dem "Big Brother"-Container rausgeflogen, aber nicht deswegen, wie Endemol beteuert - er sei von den Zuschauern per Telefonwahl herausgewählt worden. Fraglich ist allerdings, wie authentisch diese Geschichte ist...


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