© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/04 29. Oktober 2004

"Bush ist nicht konservativ"
Scott McConnell, Mitherausgeber von The American Conservative, über die US-Präsidentschaftswahlen und den Paläokonservatismus
Moritz Schwarz

Herr McConnell, die Berichte über Unregelmäßigkeiten bei den angelaufenen amerikanischen Präsidentschaftswahlen erzeugen bei vielen Europäern den Eindruck, in den USA herrschten zunehmend "ukrainische Verhältnisse".

McConnell: Ein ziemlich drastischer Vergleich. Unregelmäßigkeiten kommen in jedem Wahlsystem vor. Der Punkt ist, daß nach den Problemen bei der Wahl 2000 und dem äußerst knappen Ergebnis damals - bei dem in einem Land mit 250 Millionen Menschen am Ende 537 Stimmen entscheidend waren - den "ganz normalen" Ungereimtheiten plötzlich ein extrem hohes Maß an Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Tatsächlich aber sind diese Ungereimtheiten aber so geringfügig, daß sie unter normalen Umständen - also bei Ergebnissen, die einen "sichtbaren" prozentualen Unterschied zwischen den Kandidaten aufweisen - nicht ausreichen, um das Wahlergebnis zu beeinflussen. Weil wir die Wahl aber aufgrund des extremen Kopf-an-Kopf-Rennens wie unter einem Rasterelektronenmikroskop betrachten, erscheinen uns Unebenheiten von Mikroformat wie Gebirgsketten, in denen der unschuldige Wolkenzug der Demokratie nun hängenbleibt.

Wer, tippen Sie, wird das Rennen machen?

McConnell: Im Moment tippe ich auf Bush, aber es besteht die Möglichkeit, daß auch wenn er die Mehrheit der Wählerstimmen bekommt, die Mehrheit der Wahlmänner - wie Sie wissen, funktioniert das US-Wahlsystem indirekt - doch noch für Kerry stimmt. Zwar ist es eine weitverbreitete Meinung, daß Bush kein sehr effizienter Präsident ist, aber bislang haben die USA noch nie ihren Präsidenten während eines Krieges ausgewechselt. Denken Sie nur daran, daß Franklin D. Roosevelt während des Zweiten Weltkrieges sogar eine dritte Amtszeit bekommen hat, obwohl eigentlich nicht mehr als zwei Regierungsperioden erlaubt sind.

Für viele Europäer scheint Kerry der moralischere Mensch zu sein. Er hat sich vom braven Soldaten zum Antikriegsgegner gewandelt, während Bush Anhänger einer religiösen Ausrichtung ist, der die Europäer überwiegend per se Heuchelei unterstellen.

McConnell: Ich respektiere Kerrys Leistungen in Vietnam ebenso wie die religiöse Überzeugung Bushs, die dieser zweifellos ernst meint. Darüber hinaus ist Kerry wohl eher der klassische Typ eines Politikers, das heißt er ist eher opportunistisch orientiert, aber nicht über das normale Maß hinaus. Bush ist das vielleicht deshalb weniger, weil er weniger gewandt, sondern eher simpel, geradlinig strukturiert ist.

Bush wird häufig als einfältig dargestellt.

McConnell: Ich würde eher sagen, er ist zu wenig neugierig, er delegiert zuviel, und das auch noch an die falschen Leute. Da ist ihm Kerry wohl überlegen, aber ein Genie ist Kerry ebensowenig.

Angeblich wird Bush von seinen Beratern dominiert.

McConnell: Er wäre vermutlich schon stark genug, um sich durchzusetzen, wenn er es wollte. Aber Bush vertraut seinen Beratern, die es verstehen, ihn einzuwickeln, und die seine politischen Fähigkeiten brauchen. Man könnte es wohl als eine Art symbiotische Beziehung beschreiben.

Wäre Kerry weniger abhängig von der Beeinflussung durch ideologisch gepolte Berater?

McConnell: Kerry ist ein anderer Typ Mensch, er liest viel, denkt gerne nach, er interessiert sich für unterschiedliche Meinungen und verschiedene Lösungsansätze. Insofern kann man die Frage bejahen, es wäre aber falsch, wenn im Umkehrschluß der Eindruck entsteht, Bush wäre eine Marionette, er hat einfach eine andere Persönlichkeitsstruktur.

In Europa gilt Bush als ultrakonservativ.

McConnell: Ich halte Bush ganz und gar nicht für ein konservatives Naturell. Er ist nicht der Typ, der ein konservatives Bewußtsein für den Wandel der Dinge hat oder der sich konservativer Denktraditionen, wie etwa der Edmund Burkes, bewußt ist. Bush betreibt zudem keine konservative Politik, denken Sie doch nur an seine Einwanderungspolitik! Bush geht davon aus, Amerika ist ein großartiges Land, also laßt alle, die hier Arbeit finden, kommen und daran teilhaben! Daß eine solch naive Einstellung schließlich zum Untergang des Amerikas führt, das er kennt und das die Amerikaner lieben, daran denkt er nicht. Zwar hat er sein Einwanderungsprogramm für die Zeit der Wahl stillgelegt, aber nur, weil es für den Wahlkampf zu unpopulär ist. Bush will Grenzen öffnen, ohne darüber nachzudenken, was das für das Funktionieren der Sozialgemeinschaften und für den Erhalt der Kulturgemeinschaft bedeutet. Die Dinge werden durcheinandergewirbelt und damit gesichtslos, mit all den katastrophalen Folgen, die man überall dort betrachten kann, wo sozialistische Ideen jede Form von Bindung zerstört und nichts als Entsolidarisierung und Kulturverfall zurückgelassen haben.

Bush ist also gesellschaftspolitisch ein Liberaler?

McConnell: Ja, das trifft es wohl. Er ist nicht im geringsten skeptisch, und das ist wohl das Hauptmerkmal der Konservativen. Bush ist zuversichtlich. Mit dieser Zuversicht ist er auch in den Irak einmarschiert. Er ging wohl wirklich davon aus, die Iraker würden sich freuen, daß ihnen die US-Truppen die Freiheiten Amerikas bringen.

Ist sich Bush bewußt, daß er kein Konservativer ist?

McConnell: Darüber denkt Bush vermutlich gar nicht nach. Politische Philosophie interessiert ihn herzlich wenig.

Bushs Regierung gilt allgemein als "neokonservativ".

McConnell: Bush würde sich selbst nicht als neokonservativ bezeichnen, das sind nicht die Dinge, die ihn interessieren.

Dieses Etikett geht bekanntlich auf seine Berater Rumsfeld, Perle und Cheney zurück. Deren nicht-konservative Außenpolitik wird dennoch "neokonservativ" genannt, könnte man dann die nicht-konservative Innenpolitik der Administration ebenfalls so bezeichnen?

McConnell: Eher nein, hier verfolgt die amtierende Regierung zum Beispiel in Steuerfragen eine klassisch rechtsgerichtete, unternehmerfreundliche Politik, in der Bildungs- und Drogenpolitik zum Beispiel dagegen einen sozialliberalen Kurs.

Was ist mit dem Faktor Religion, der für Bush eine so große Rolle spielt und der gemeinhin als Indiz für seinen "Ultrakonservatismus" gilt?

McConnell: Religion spielt bekanntlich traditionell eine große Rolle in den USA. Zwar haben die Gründerväter die Vermischung von Staat und Religion abgelehnt, aber keinesfalls von Gesellschaft und Religion. Die Religion, so wie sie Bush betont, gehört ebensowenig zwangsläufig zur Agenda der Neokonservativen wie zu der der Paläokonservativen, also der eigentlichen, traditionellen Konservativen. Natürlich gibt es aber auch viele Paläokonservative mit stark religiösem Einschlag, die den Glauben unbedingt wieder ins Zentrum des gesellschaftlichen Lebens rücken wollen.

Wo sehen Sie die Unterschiede zwischen "Neokonservativen" und Paläokonservativen?

McConnell: Wie gesagt sind die Neocons progressiv, die Paläokonservativen eher romantisch eingestellt. Während die Neocons zuversichtlich meinen, alles in den Griff zu bekommen, sind die traditionellen Konservativen eher skeptisch veranlagt. Außerdem sind ihnen ethische Werte wie zum Beispiel der Lebensschutz - Stichwort Abtreibung - wichtig, während das die Neocons recht wenig kümmert. Während die Altkonservativen die Globalisierung ablehnen, wollen die Neocons diese unter der Fahne amerikanischer Demokratie vorantreiben. Es ist ein bißchen so die Haltung der französischen Revolutionäre, die auch die ganze Welt beglücken wollte. Die Neocons sind keine Konservativen, sondern in gewisser Weise Linke, Jakobiner. Vereinzelt handelte es sich bei Neokonservativen der ersten Generation ja sogar um ehemalige Kommunisten.

Warum nennen sie sich "konservativ"?

McConnell: Die Neocons entwickelten sich während der sechziger Jahre aus einer Gruppe innerhalb der Demokratischen Partei. Unter dem Eindruck des Radikalismus der damaligen Protestgeneration bewegten sie sich nach rechts. Anti-Kriegsbewegung und Antiamerikanismus gefielen ihnen nicht, da sie linke Werte durch die USA weltweit verbreiten wollten, wie das im Zweiten Weltkrieg geschehen ist. Sie waren gute Kalte Krieger und standen damit - obgleich links - für die Protestlinke rechts und im Lager der Republikaner, wo sie sich folglich ansiedelten. Für sie aber war - anders als für den paläokonservativen Teil der Republikaner - das weltweite Engagement der USA gegen den Kommunismus nicht nur eine temporäre Angelegenheit zur Abwehr dieser Gefahr, sondern Teil einer grundsätzlichen, imperial-demokratischen Mission der USA. Nach dem Ende des Kalten Krieges schlußfolgerten sie ergo nicht: "Der Job ist getan, ziehen wir uns zurück", sondern: "Gehen wir die nächste Aufgabe an!" Nach dem Kommunismus, ist nun der Islamismus dran, wer weiß, wie es danach weitergeht.

Gibt es nicht dennoch auch Übereinstimmungen zwischen "Neo-" und Paläokonservativen?

McConnell: Das allerdings schon, zum Beispiel was die Bejahung des Kapitalismus angeht oder die Skepsis gegenüber sozialistischen Gesellschaftsentwürfen. Beide lehnen sie auch die politisch korrekte Geschichtsdeutung vom weißen Übelmann ab, nach der die nationale Geschichte der USA beziehungsweise die Geschichte des Westens, aus nichts anderem besteht als aus der Ausbeutung von Frauen, Minderheiten und fremden Völkern durch den weißen Mann, der dafür im Sinne einer Art Erbsünde schuldig ist. Aber das sind punktuelle Gemeinsamkeiten.

Ärgert es Sie, daß sich die Neocons "konservativ" nennen?

McConnell: Natürlich ist das schlimm, und Präsident Bush ist ein großes Übel für den Ruf der wirklichen Konservativen.

Wie konnte der Paläokonservatismus, der einstmals Amerikas bürgerliche Rechte dominiert hat, so ins Hintertreffen geraten?

McConnell: Die Neocons waren durch ihre größere politische Agilität, ihre überlegene Vernetzungs- und Organisationsfähigkeit sowie durch ihre Kompetenz für Agitation und Geldbeschaffung, wie sie für die Linke typisch sind, den klassischen Konservativen weit überlegen und haben ihnen daher den Rang abgelaufen.

Wer war nach Ihrer Ansicht der letzte paläokonservative Präsident der USA?

McConnell: Eisenhower, Nixon und auch Reagan waren zumindest näher am Paläokonservatismus dran als Bush. Man muß allerdings verstehen, daß die Trennung in "Neocons" und "Paleocons" keine Sache der Politiker, sondern der Intellektuellen-Szene der Politikberater ist. Ein Politiker sagt in der Regel nicht von sich, daß er Paläo- oder Neokonservativer ist. Auch Bush ist ja kein Neocon, sondern steht sozusagen lediglich unter ihrem Einfluß.

Sind die Paläokonservativen denn bereits endgültig geschlagen?

McConnell: Nein, wenn die Politikprojekte der Neocons auf breiter Front scheitern, kann es bald schon wieder mit ihnen vorbei sein.

Welchen Kandidaten empfiehlt einstweilen "The American Conservative" den Wählern?

McConnell: Im Unterschied zu anderen amerikanischen Zeitungen unterstützen wir nicht einen Kandidaten. Unsere Herausgeber empfehlen jeder ganz unterschiedliche Politiker, zum Beispiel ich Kerry, Pat Buchanan Bush.

Buchanan, ehemaliger Politikberater, Präsidentschaftskandidat und paläokonservativer Vordenker, interviewte in der vorletzten Nummer den unabhängigen Kandidaten Ralph Nader, der 2000 für die Grünen antrat und diesmal von Teilen der Reformpartei unterstützt wird, unter der Überschrift "Nader versucht sich als Rechter".

McConnell: Wir wollten schlicht Nader unseren Lesern nicht vorenthalten, in Amerika spielt die Links-Rechts-Arithmetik nicht die dominierende Rolle. Und es stellte sich heraus, daß Nader zum Beispiel in der Frage der Einwanderung konservativer ist als Bush. Auch sonst gibt es Übereinstimmungen zwischen einem "Linken" wie Nader und den Paläokonservativen, etwa was das Mißtrauen gegenüber Freihandel angeht, die Ablehnung der Globalisierung oder die Kritik am Einfluß der israelischen Lobby in den USA und die Forderung nach einem fairen Frieden im Nahen Osten.

Könnte Buchanan, der 2000 der Kandidat der Refompartei war, diesmal aber nicht antritt, 2008 noch einmal als paläokonservativer Kandidat ins Rennen gehen?

McConnell: Nein, Buchanan hat sich aus der aktiven Politik verabschiedet. 2008 wird der Kandidat der Republikaner aber sicherlich wieder wesentlich offener sein für die Ansichten der Paläokonservativen, da sich bei einem Wahlsieg Bushs in den nächsten vier Jahren zeigen wird, daß die Neocons die USA endgültig in die Sackgasse manövrieren.

Wenn Bush wiedergewählt wird, so die Spekulation, werden die USA den Iran angreifen.

McConnell: Definitiv gibt es Leute in der Administration, die das wollen. Dann wird womöglich - trotz aller Probleme im Irak - wieder das bekannte Szenario zusammenphantasiert, um Bush zu überzeugen: die im Lande ungeliebte Diktatur, die Rivalen, auf die man setzen kann, so eine Art lokale Mudschaheddin, die zusammen mit amerikanischer Luftunterstützung das Land befreien. Ob sich diese Leute tatsächlich durchsetzen werden, ist aber die Frage. Falls ja, hätten wir dann wohl eine Art Super-Irak und zusätzlichen Terrorismus am Hals.

Laut Umfragen ziehen achtzig bis neunzig Prozent der Europäer John Kerry vor, vor allem weil sie sich von ihm eine "Rückkehr zum Multilateralismus" versprechen. Warner halten dagegen, auch unter Kerry würden die USA von ihrem Unilateralismus nicht abrücken, ein Präsident Kerry würde das nur nicht so offensichtlich durchblicken lassen.

McConnell: Das sehe ich anders. Ich glaube, Kerry würde die Europäer durchaus berücksichtigen und ernsthaft versuchen, mit ihnen zusammen Politik zu machen. Allerdings hat die Sache dennoch einen Haken: Die Zeit der Bequemlichkeit für die Europäer wäre dann vorbei. Denn die konfrontative Politik Bushs hat es zum Beispiel Frankreich und Deutschland erst ermöglicht, sich herauszuhalten. Bei Kerry säßen sie plötzlich wieder mit im Boot und müßten folglich auch Verantwortung übernehmen - zum Beispiel bei einer Lösung der Probleme im Irak.

 

Scott McConnell ist Mitherausgeber des führenden paläokonservativen US-Magazins The American Conservative. Der Historiker schrieb außerdem für weitere renommierte Zeitschriften wie Commentary, National Review oder The New Republic. Geboren wurde McConnell 1952 in New York.

The American Conservative: Das erst im September 2000 von dem ehemaligen Präsidentenberater, Politiker und Autor Patrick J. Buchanan sowie dem Journalisten und griechischen Reedereierben Taki Theodoracopulos gegründete zweiwöchentlich erscheinende Magazin ist das Sprachrohr der kleinen Gruppe der Altkonservativen im Umfeld der Republikaner. Es tritt gegen die neokonservative Politik der Regierung Bush und für die Erhaltung des traditionellen Selbstverständnisses der Vereinigten Staaten als Republik, nicht als weltweitem Imperium ein.

Kontakt: P.O. Box 9030, Maple Shade NJ 080529030, Telefon: 001- 856-380-4127, Internet: www.amconmag.com 

 

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