© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/04 29. Oktober 2004

Oliver Brüstle
Im Kreuzfeuer
von Dirk Zahn

Er und seine Familie mußten unter Polizeischutz gestellt werden: Der Bonner Mediziner und Neurowissenschaftler Oliver Brüstle hatte in jenen Tagen des Jahres 2001 unverhoffte Publizität erlangt, die bis heute anhält. So klagt Greenpeace aktuell gegen ein von Brüstle seit 1999 gehaltenes Patent zur Verwendung von Stammzellen für die Reparatur von Gehirngewebe. 2001 hatten ihn hingegen Embryonenschützer heftig angegriffen, weil er einen Antrag auf Förderung eines Forschungsprojekts an die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gestellt hatte. Ziel des Projektes war eine Untersuchung an embryonalen Stammzellen, die dafür nach Deutschland importiert werden sollten.

In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, durch den Import solle das Verbot des Züchtens von Embryonen zu Forschungszwecken ausgehebelt werden. Die DFG fühlte sich durch Politiker des Bundestages so unter Druck gesetzt, daß sie den Antrag Brüstles immer wieder aufschob, obwohl er dem Gesetz nicht zuwiderlief. Sie verlangte vom Bundestag eine Konkretisierung der Vorschriften für den grenzüberschreitenden Embryonenschutz, um sich nicht der Gefahr politischer Sanktionen auszusetzen. Diese Konkretisierung erfolgte im Sommer 2002 durch das "Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen", es sieht faktisch die Anwendung des deutschen Embryonenschutzes auch im Ausland vor, wurde in der Öffentlichkeit jedoch als das Gegenteil empfunden, was Brüstles Ruf erheblichen Schaden zugefügt hat. Für Greenpeace repräsentiert er den rücksichtslosen Wissenschaftsunternehmer. Diese Charakterisierung trifft den Forscher aber ganz und gar nicht.

Brüstle ist ein begabter, fleißiger, aber auch wendiger Wissenschaftler, der die Bodenhaftung jedoch nicht verloren hat. 1962 im schwäbischen Biberach geboren, studierte er Medizin in Ulm und in Chapel Hill, Nord-Carolina. Für einen ambitionierten deutschen Naturwissenschaftler ist es heute unerläßlich, Erfahrungen in den Vereinigten Staaten zu sammeln. Außer an den Universitäten von Zürich und Nürnberg-Erlangen arbeitete Brüstle am renommierten National Institute of Health (NIH) im amerikanischen Bethesda. Nach Deutschland zurückgekehrt, erhielt er 2000 den Benningsen-Förder-Preis und im Jahr 2002 die Berufung auf den Lehrstuhl für rekonstruktive Neurobiologie in Bonn, der mit finanzieller Unterstützung der Hertie-Stiftung eingerichtet worden ist.

Brüstle hat sich dabei aber nicht an den Erfolg verkauft, was sich auch daran ablesen läßt, daß er schließlich viel Zeit und Energie aufwendete, um eine Familie mit vier Kindern aufzubauen. Auch für sensationelle Heilsversprechen ist er im Gegensatz zu manchen anderen Bioforschern nicht zu haben. Er weist stets darauf hin, daß die medizinische Anwendung seiner Forschung noch in weiter Ferne liegt. 


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