© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/04 29. Oktober 2004

"Vorbereitungskurse sollten verbindlich sein"
Heiratsimmigration II: Der Soziologe Faruk Sen über die Hintergründe zugewanderter türkischer Ehepartner in Deutschland
Manuel Ochsenreiter

Herr Professor Sen, in den Niederlanden soll die Heiratsimmigration mittels drastischer Maßnahmen eingeschränkt werden. Wie ernsthaft ist das Problem in Deutschland?

Sen: Das Zentrum für Türkeistudien hat über die Heiratsimmigration zwei Untersuchungen durchgeführt, die letzte ist aus dem Jahr 2002. In Deutschland heiraten im Jahr insgesamt über 45.000 Türken, nur 17.000 Ehepartner kamen aus der Türkei. Dieser Anteil sinkt. Er war Ende der neunziger Jahre mit etwa 40.000 erheblich höher - eine Situation, für die ich wenig Verständnis hatte. Junge Türkinnen und Türken flirteten zwar in Deutschland miteinander, heirateten aber Ehepartner aus der Türkei. Mittlerweile stimmt hierzulande diesbezüglich Angebot und Nachfrage: Wir haben in Deutschland 51 Prozent türkische Männer und 49 Prozent türkische Frauen. Das heißt, man braucht sich eigentlich keinen Partner aus der Türkei suchen. Ich finde es daher erfreulich, daß die Zahl zurückgeht.

Weshalb suchen sich Einwanderer der zweiten oder dritten Generation Ehepartner aus dem Herkunftsland der Eltern oder Großeltern?

Sen: Das ist eine unglaubliche Entwicklung. Obwohl junge Türken hier miteinander ausgehen und flirten, haben sie nur wenig Respekt voreinander. Der türkische junge Mann geht davon aus, daß die Türkinnen hier auch mit anderen Männern flirten. Daher wollen sie lieber eine Ehefrau aus der Türkei haben. Die gleiche Aussage kennen wir aber auch von türkischen Mädchen. Denen sind die türkischen Männer in Deutschland oft zu "flippig". Ihrer Meinung nach sind die jungen Männer in der Türkei noch unverdorben. Wenn junge Mädchen unter diesen Voraussetzungen dann in der Türkei Urlaub machen, verlieben sie sich schnell und heiraten. Solche Ehen gehen leider Gottes meistens nicht gut, da die Anpassungsschwierigkeiten für die Ehepartner aus der Türkei zu groß sind. Daher würde ich mich sehr freuen, wenn ihr Anteil noch weiter sinken würde.

Medienberichten und Studien zufolge soll die Lage der zumeist weiblichen Ehepartner meist trostlos sein. Oftmals würden sie von der Außenwelt abgeschottet. Wie kann man eine solche Entwicklung durchbrechen?

Sen: Nur durch Aufklärung. Außerdem: Wenn die Ehepartner aus der Türkei kommen, sollten diese auf jeden Fall Vorbereitungskurse besuchen, damit sie über ihre Rechte aufgeklärt werden und hier nicht unterdrückt werden können. Dies ist wichtig, damit sie keine unangenehmen Überraschungen erleben.

Die Niederländer wollen die Einreise nur mit einer vorhergehenden Prüfung gestatten. Hierbei sollen vor allem die Sprachkenntnisse der künftigen Ehepartner geprüft werden - ist eine solche Regelung auch für Deutschland sinnvoll?

Sen: In jedem Fall finde ich, daß Vorbereitungskurse bereits im Heimatland verbindlich sein sollten.

Welche Rolle spielt die häusliche Gewalt in solchen Ehen, wo ein Partner quasi "importiert" wurde?

Sen: Dieser Aspekt wird wohl aufgebauscht. Familiäre Gewalt ist natürlich vorhanden, allerdings sind die Medienberichte darüber sehr übertrieben. Bei unseren Untersuchungen sowie bei unserem täglichen Kontakt mit türkischen Immigranten haben wir sehr wenig Hinweise auf solche Mißstände erhalten. Zudem muß man sehen, daß die Gruppe der Heiratsimmigranten sehr heterogen ist. Um die 40 Prozent sind Männer, der Bildungshintergrund ist sehr unterschiedlich usw. Das Problem der innerfamiliären Gewalt hängt damit nur sehr bedingt mit der Heiratemigration zusammen.

Wie denkt man eigentlich in der Türkei über Heiratsimmigration nach Deutschland?

Sen: Die Nachfrage hat diesbezüglich sehr nachgelassen. Früher haben sich die Eltern noch sehr gefreut, wenn ihre Tochter oder ihr Sohn eine Ehe in Deutschland führten, aber mittlerweile ist das nicht mehr so.

Weshalb?

Sen: Vor allem wegen der hohen Arbeitslosigkeit, aber auch wegen der hohen Scheidungsrate in Deutschland sind die Türken mittlerweile nicht mehr so glücklich darüber, wenn ihr Kind als Ehemann oder Ehefrau in die Bundesrepublik geht. 

 

Prof. Dr. Faruk Sen, Jahrgang 1948, ist seit 1985 Direktor des Zentrums für Türkeistudien, einem Institut an der Universität Gesamthochschule Essen.

Kontakt: Essener Zentrum für Türkeistudien, Altendorfer Str. 3, 45127 Essen, Tel: 02 01 / 3 19 80, Fax: 02 01 / 3 19 83 33, Internet: www.zft-online.de 

 

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