© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/04 29. Oktober 2004

Frisch gepresst

Flucht und Vertreibung. Daß eine der größten zivilen Tragödien des letzten Jahrhunderts in Europa sich "biologisch lösen" lasse, war eine große Hoffnung all derer, die die massenhafte "Umsiedlung" aus jahrhundertealte Lebensräumen jenseits von Oder, Neiße und Böhmerwald als gerechte Strafe für die Verbrechen des NS-Regime interpretierten und jeder Diskussion über "Erinnerungsräume" einen ewiggestrigen Charakter attestieren. Helga Hirsch, langjährige Zeit-Korrespondentin in Warschau, läßt Opfer von Flucht und Vertreibung der zweiten Generation ausführlich über ihr Schicksal zu Wort kommen, da "nur ein solcher Dialog Stereotype zu durchbrechen vermag". Dabei zielt sie auf den Personenkreis, dessen Bereitschaft bisher gering war, "Menschen zuzuhören, die wir zu unserer 'Gegenseite' zählten". Im Zuge des durch die Geschichtsvermeidung verursachten historischen Ballastes, der gegenwärtig das deutsch-polnische Verhältnis trübt, liest sie praktisch der Selbstgerechtigkeit der eigenen Generation die Leviten und fordert zur Aufarbeitung und zur Auffrischung des "kollektiven Gedächtnisses" auf (Schweres Gepäck. Flucht und Vertreibung als Lebensthema. Edition Körber Stiftung, Hamburg 2004, 254 Seiten, broschiert, 14 Euro).

Sudetenland. Im Gegensatz zu anderen Vertriebenenregionen stellte das Sudentenland praktisch nur einen historischen Wimpernschlag lang ein zusammenhängendes Territorium dar. Über Jahrhunderte hinweg waren politisch die für Reichsverhältnisse sehr großen Gebilde des Königreiches Böhmen und des Herzogtums Mähren prägend. Die hauptsächlich am Rande dieser Region geschlossen siedelnden Deutschen waren unterschiedlicher landsmannschaftlicher Zuordnung: Sachsen, Franken, Bayern, Österreicher und Schlesier. So sprechen die nach dem nördlichen Randgebirge benannten Deutschen ganz unterschiedliche Mundarten - Schlesisch im Altvatergebirge, Sächsisch in Aussig, frankisch inBrüx und Bairisch im Egerland. Als Schicksalsgemeinschaft traten diese ganz unterschiedlichen Deutschen erstmals nach 1918 auf - später, nach der Vertreibung, ist der Begriff dann zum allgemeinen Synonym geworden, obwohl von Brünn aus die Alpen näher als die Sudeten sind (Lothar Höbelt: Landschaft und Politik im Sudentenland. Eckardschrift 173 der Österreichischen Landsmannschaft, Wien 2004, 110 Seiten, broschiert, 7,40 Euro).


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