© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/04 05. November 2004

Mehr Druck auf Europa
Vier weitere Jahre Bush bringen zumindest etwas Berechenbarkeit für alle Seiten
Alexander Griesbach

Die Wahlschlacht in den USA ist geschlagen, und der Sieger heißt - George W. Bush. Denkbar knapp setzte er sich im teuersten Wahlkampf in der Geschichte der USA gegen seinen demokratischen Herausforderer John Kerry durch. Zwar wird das endgültige Wahlergebnis in dem diesmal ausschlaggebenden US-Bundesstaat Ohio erst in einigen Tagen erwartet, doch zeichnete sich am Mittwoch deutlich ab, daß Bush der Sieg nicht mehr zu nehmen sein würde. Und diesmal erzielte er nicht nur die Wahlmänner-, sondern auch die Stimmenmehrheit in den USA.

Die letzten Tage vor der Wahl waren durch das Thema nationale Sicherheit bestimmt. Eine Video-Botschaft von US-Feind Nummer eins, Osama bin Laden, in der er sich erstmals direkt zu den Anschlägen vom 11. September 2001 bekannt haben soll, könnte letztlich den Ausschlag für Bush insbesondere in den hart umkämpften Staaten wie Florida oder Ohio gegeben haben.

Tatsächlich enthält das besagte Video weder ein eindeutiges Bekenntnis, daß Bin Laden hinter den Anschlägen steckt, noch dürfte es zur Aufklärung beitragen. Dennoch kam die Botschaft des Vielzweckterroristen Bush gerade recht. Dieser behauptete postwendend, er sei die richtige Wahl für alle, die "glauben, daß Amerika den Krieg gegen den Terror mit aller Macht führen sollte". Im Fall eines Wahlsieges werde er, so kündigte Bush an, sehr schnell konkrete Schritte zu diesem Zweck einleiten. Dies glaubte offensichtlich auch eine Mehrzahl der Wähler, die Bush auf diesem Gebiet wohl eine größere Kompetenz zubilligt als Kerry.

Die Welt hat sich seit dem Amtsantritt von George W. Bush zweifelsohne geändert und dürfte sich in dessen neuer Amtsperiode weiter verändern. Bush war es, der den Präventivkrieg mit dem Argument der vorbeugenden Terrorbekämpfung wieder salonfähig gemacht hat. Zumindest mit Blick auf den Irak-Krieg ist dieses Argument obsolet geworden.

Welche Intentionen die Regierung Bush wirklich getrieben haben, einen Krieg gegen das marode System von Saddam Hussein vom Zaun zu brechen, darüber kann nur gemutmaßt werden. Möglicherweise spielte das Argument, daß US-Truppen aus Saudi-Arabien nur dann abgezogen werden könnten, wenn Saddam beseitigt sei, eine zentrale Rolle. Die für viele gläubige Muslime anstößige Präsenz von US-Soldaten im saudischen Wüstenstaat treibt Bin Laden mehr und mehr zu allem entschlossene Muslime zu, die den terroristischen Krieg gegen die USA aufzunehmen bereit sind. Sollte dies in den Überlegungen der Regierung Bush wirklich eine Rolle gespielt haben, dann ist das Ergebnis des Irak-Krieges, den ja auch Bush-Herausforderer Kerry befürwortet hat, schlicht eine Katastrophe.

Nicht nur die völkerrechtswidrige Besetzung des Iraks hat das Renommee der Supermacht USA geschädigt. Auch die Bilder aus dem Gefängnis Abu Ghraib lasten als Stigma auf deren Ansehen in der arabischen Welt, weil sie mit dem angeblichen Ziel der Amerikaner, den Irakern "Freiheit" bringen zu wollen, nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Am Selbstbewußtsein des dezidiert "antiintellektuellen" Bush hat dies alles wenig gekratzt, denn, so sein Argument: Seit dem 11. September 2001 sei halt "alles anders".

Heute wissen wir, daß dieses inzwischen fast mythische Datum bestenfalls eine Art Katalysatorfunktion hatte. Es gibt hinreichend glaubwürdige Stimmen, die darauf verweisen, daß Bush bereits bei Amtsantritt eine Wiederaufnahme des Kriegs gegen den Irak ins Auge gefaßt hat. Selbst die Invasion Afghanistans, offiziell mit den Verbindungen der Taliban zu al-Qaida begründet, kann auch anders gedeutet werden. Die geostrategische Bedeutung, die Zentralasien und insbesondere Afghanistan zum Beispiel von Zbigniew Brzezinkski, der grauen Eminenz der US-Außenpolitik, zugeschrieben wird, läßt auch andere Motive für den US-Einsatz in Afghanistan vermuten.

Aus europäischer Sicht sollte man sich deshalb darauf einstellen, daß die Sicherung und der Ausbau der Hegemoniestellung der USA auch Bushs zweite Amtsperiode bestimmen wird. Dieses Ziel verfolgten bereits sein Vater sowie dessen Nachfolger Bill Clinton. Oft genug wurde in den "Nationalen Sicherheitsstrategien" verkündet, daß es Ziel der US-Politik sei, jeden anderen Staat daran zu hindern, die Vormachtstellung der USA in der Welt herauszufordern. Diese "Strategien" haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Beherrschung des Nahen Ostens und Zentralasiens mit ihren gigantischen Öl- und Erdgasreserven für die USA von zentraler Bedeutung ist.

Dabei geht es nicht nur um den Zugang zu diesen Ressourcen, den sich die USA langfristig sichern wollen. Prospektiv wird vor dem Hintergrund sich erschöpfender Öl- und Erdgasreserven die Frage, wer über die Verteilung dieser Reserven zu bestimmen hat, für die USA immer wichtiger werden. Daß diese hier gegenüber potentiellen Konkurrenten ein Machtmittel in die Hände zu bekommen versuchen, dürfte inzwischen auch unbelehrbaren "transatlantischen" Parteigängern klar sein. Daß ein Präsident John Kerry hier eine andere Politik verfolgt hätte, ist Wunschdenken.

Auch Kerry hat oft genug deutlich gemacht, daß seine eigene Regierung nicht vor Alleingängen zurückschrecken würde, falls sie diese als nötig erachte. Dies gilt erst recht für den hemdsärmeligen Bush, der sich durch europäische Bedenkenträger kaum von seinen Zielen abbringen lassen dürfte. Eine andere Frage ist, ob Bush seine geostrategischen Ziele in Zukunft wird finanzieren können.

Die USA leihen sich zur Zeit 500 Milliarden Dollar und mehr im Jahr. Diese Summe ist notwendig, damit das riesige Leistungsbilanzdefizit der USA gedeckt werden kann. Dieses Defizit kann sich durchaus zu einer veritablen Krise auswachsen. Mit Blick auf diese Zeitbombe schrieb Peter G. Peterson, Vorsitzender des Council on Foreign Relations, vor kurzem in Foreign Affairs: "Kaum einer der politisch Verantwortlichen, die ich befragt habe, seien es nun Finanzhändler oder Ökonomen, glaubt, daß das US-Leistungsbilanzdefizit auf dem jetzigen Niveau länger als fünf Jahre durchgehalten werden kann." Der frühere Finanzminister Robert Rubin spreche, so Peterson, von einem "Tag der ernsthaften Abrechnung". Auslöser für eine Krise könnten ein Terroranschlag, ein schlechter Tag an der Wall Street oder auch rückläufige Beschäftigtenzahlen sein. Die enormen Kosten der militärischen Operationen der Regierung Bush lasten als zusätzliches Gewicht auf der nationalen Wirtschaft. Damit zeichnet sich bereits heute ab, daß der Druck auf Europa, insbesondere aber auf Deutschland, sich in irgendeiner Form im Irak und anderswo zu beteiligen, weiter zunehmen wird.


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