© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/04 12. November 2004

Außerhalb der bisherigen Rechtsprechung
Parteiausschluß: Dokumentation der abweichenden Meinung des Vize-Vorsitzenden des Bundesparteigerichts der CDU im Fall Martin Hohmann
Friedrich-Wilhelm Siebeke

Ich weiche von der Mehrheitsmeinung ab

1. hinsichtlich der Feststellung, daß durch die dem Antrags­gegner vom Bundespräsidium der CDU am 3.11.2003 erteilte Rüge wegen seiner zum Tag der deutschen Einheit am 3.10.03 gehaltenen Rede kein Strafverbrauch eingetreten sei (I),

2. hinsichtlich der Begründung des Parteiausschlusses des Antragsgegners vor allem hinsichtlich der Bejahung eines schweren Schadens der Partei (II).

I.
Strafverbrauch

Der Mehrheitsmeinung, die dem Antragsgegner am 3. Novem­ber 2003 erteilte Rüge bedeute keinen Strafverbrauch (Ne bis in idem), stimme ich nicht zu.

1. Der Antragsgegner hat am 31. Oktober 2003 eine mit der Parteivorsitzenden der CDU, Frau Dr. Angela Merkel ab­gesprochene Presseerklärung mit dem Inhalt abgegeben, er bezeichne weder Juden noch Deutsche als Tätervolk und es sei nicht seine Absicht, Gefühle zu verletzen. In einer weiteren am 1. November abgegebenen Presseerklärung erklärte der Antragsgegner, es sei nicht seine Absicht gewesen, die Einzigartigkeit des Holocaust leugnen bzw. Juden als Tätervolk bezeichnen zu wollen. Darüber hinaus entschuldigte sich der Antragsgegner für den Fall, daß gleichwohl ein derartiger Eindruck entstanden sein sollte. Diese Erklärung war mit dem Vorsitzenden des Antrag­stellers, Roland Koch, abgesprochen und vom Kreisvor­sitzenden der CDU-Fulda Fritz Kramer aufgesetzt worden.

2. In der Sitzung des Präsidiums der CDU am 3. November 2003 wurde in Anwesenheit der Parteivorsitzenden Frau Dr. Merkel und des Generalsekretärs Laurenz Meyer der Fall Hohmann ausführlich diskutiert. Die Versetzung von Herrn Hohmann vom Innen- in den Umweltausschuß wurde be­schlossen. In dem vom Bundesgeschäftsführer der CDU Dr. Willi Hausmann am 20. November über die Sitzung gefer­tigten Vermerk heißt es u.a.:

"Frau Dr. Merkel faßt das Ergebnis der Diskussion wie folgt zusammen:

Das Präsidium verurteilt die Äußerungen, weil sie im Widerspruch zu den Grundwerten der CDU stehen, und erteilt Herrn Hohmann eine scharfe politische Rüge".

Die Rüge wurde von dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU Fraktion Wolfgang Bosbach MdB handschriftlich niedergelegt und mit folgendem Textvorschlag dem Antragsgegner vorgelegt:

"Die Rüge der CDU Bundespartei für meine Rede am 3. Oktober 2003 wird von mir akzeptiert. Ich distanziere mich von den umstrittenen Passagen dieser Rede. Ich habe mich bereits öffentlich entschuldigt. Weitere Erklärungen werde ich nicht mehr abgeben".

Der Antragsgegner hat die Rüge akzeptiert und als Presse­erklärung veröffentlicht.

3. Die Rüge stellt eine Ordnungsmaßnahme nach § 10 Statut der CDU dar. Zu den Ordnungsmaßnahmen zählen Verwarnung, Verweis sowie die Aberkennung von Parteiämtern. Bei dem Ausschluß aus der Partei handelt es sich um die äußerste Ordnungsmaßnahme.

Das Präsidium der CDU (§ 29 CDU-Statut) war entgegen der Mehrheitsmeinung für die Erteilung der Rüge zuständig. Das Präsidium besitzt den Rechtsstatus eines fakultativen Parteiorgans. Die Zuständigkeit folgt aus § 10 Statut der CDU, wonach vom Bundesvorstand Ordnungsmaßnahmen gegen­über Mitgliedern getroffen werden können. Für die Erle­digung der laufenden und der besonders dringlichen Vorstandsgeschäfte bedient sich der Bundesvorstand des Präsidiums als geschäftsführender Vorstand. Diese Befugnis folgt aus § 11 Abs. 4 Parteiengesetz. Hiernach ist das Präsidium Teil des Bundesvorstandes und besitzt den Rechtsstatus eines fakultativen Parteiorgans. Das Präsidium hat daher als Exekutivorgan des Bundesvor­standes gehandelt und rechtswirksam dem Antragsgegner eine Rüge erteilt. In Übereinstimmung hiermit hat Frau Merkel unter Berufung auf das Präsidium als Geschäfts­führenden Vorstand am 11. November in der Fraktions­sitzung von CDU und CSU den Ausschluß des Abgeordneten Martin Hohmann aus der Fraktion beantragt.

(...)

8. Die Mehrheitsmeinung hat offengelassen, ob der Grundsatz "Ne bis in idem" für ein Parteiordnungsverfahren paßt. In seiner Entscheidung vom 25.3.1981, BPG 2/79 hat das Bundesparteigericht jedoch bereits festgestellt: "Parteien gehören ihrer Natur nach zu den Vereinen im Sinne des BGB. Soweit Bestimmungen des Grundgesetzes, des Parteiengesetzes und die Besonder­heiten der politischen Parteien nicht entgegenstehen, gelten die allgemeinen Grundsätze des Vereinsrechts auch für politische Parteien."

Dem entgegenstehende Bestimmungen sind nicht ersichtlich. Es ist daher von den im Vereinsrecht zum Verbot der Doppelbestrafung entwickelten Regeln auch im Parteien­recht auszugehen (Löwisch, Der Ausschluß aus politischen Parteien - Eine Studie anhand der Rechtsprechung des Bundesparteigerichts der CDU - in: 25 Jahre Bundespartei­gericht der CDU 1960-1985, S.19 ff.). Ist hiernach von der zuständigen Vereinsinstanz eine Ordnungsmaßnahme ausge­sprochen worden, so kann zu dem den Gegenstand der Ordnungsmaßnahme bildenden Vorfall nicht nochmals eine Vereinsstrafe verhängt werden.

(...)

10. Das Verhalten des Antragsgegners nach der am 3. November 2003 erfolgten Entgegennahme der Rüge (im Beschluß als "Nachredeverhalten" bezeichnet), hat ent­ge­gen der Mehrheitsmeinung nicht zur Begründung eines weiteren Ausschließungstatbestandes geführt und damit das Verbot der Doppelbestrafung gegenstandslos gemacht. In der dem Antragsgegner als Ergebnis des Präsidiums­beschlusses vorgelegten und von ihm angenommenen Rüge heißt es: "Weitere Erklärungen dazu werde ich nicht mehr abgeben". An diese Zusage hat der Antragsgegner sich trotz Einladungen zu Medienveranstaltungen, darunter zur Christiansen-Sendung, strikt gehalten. Nach dem 3. November hat er zu dem Komplex weder gesprochen noch hierzu Handlungen vorgenommen.

Die Ausstrahlung am 4. November des am 1. November 2003 dem ZDF gegebenen Interviews konnte der Antragsgegner entgegen der Mehr­heits­meinung nicht verhindern. Die entgegengesetzte Auffassung verkennt die Unmöglichkeit, eine gegenüber Medien gemachte Äußerung aus der Welt zu schaffen. Erst recht gilt dies für die Brisanz eines Interviews, welches das ZDF-Team mit den Erklärungen des Antraggegners und mit der, vom Antragsgegner nicht gebilligten, Fotografie des Schreibens des General Günzel in seiner Kamera aufge­zeichnet hatte und das es gewiß der Öffentlichkeit nicht vorenthalten wollte.

Im übrigen enthält das Interview keine Wiederholung der das Ausschließungsverfahren begründenden Tatbestandsmerk­male. Dem Antragsgegner ging es erkennbar um die Ausräumung der aus seiner Rede gezogenen Folgerungen. Daher sagt er eingangs seines Interviews: "Die Entrüstung hat mich schon überrascht. Und zwar deswegen, weil ich das nicht gesagt habe, was mir vorgeworfen wird. Ich habe das Gegenteil gesagt. Wortwörtlich gesagt: Tätervolk sind weder die Juden noch die Deutschen."

11. Nach der Mehrheitsmeinung soll zum Ausschluß des Straf­verbrauchs auch die Weigerung des Antragsgegners, seine am 3. Oktober gehaltene Rede zu widerrufen, führen. Bei einem generellen, uneingeschränkten Widerruf der Rede hätte indessen der Antragsgegner Tatsachen­angaben, deren Richtigkeit auch vom Antragsteller nicht bezweifelt wird, als unrichtig kennzeichnen müssen, so etwa die Zusammensetzung des siebenköpfigen revolutio­nären Politbüros der Bolschewiki. Von den angreifbaren Passagen seiner Rede hat der Antragsgegner sich in drei Presseerklärungen distanziert und zwar ausdrücklich mit den jeweils von Führungskräften der Partei mit ihm abgesprochenen oder ihm vorgegebenen für die Öffentlich­keit bestimmten Texten.

(...)

13. Die Beschlußmehrheit hält dem Ne bis in idem-Argument des Antragsgegners entgegen, daß "durch die Rüge und die vom Antragsgegner behauptete Äußerung der Bundesvor­sitzenden in einem Fernsehinterview kein Vertrauenstat­bestand in der Weise entstanden ist, daß eine weiterge­hende Reaktion der Partei, insbesondere ein Parteiaus­schlußverfahren, unzulässig ist". Vertrauenstatbestände könnten, so die weitere Argumentation der Mehrheits­meinung, nur von zuständigen Beschlußorganen gesetzt werden, Äußerungen der Parteivorsitzenden sowie des Ministerpräsidenten Koch könnten die zuständigen Beschlußorgane der Partei nicht binden.

Diese Argumentationskette geht aus mehreren Gründen fehl:

Die Rüge wurde von einem Beschlußorgan der CDU, dem Präsidium als Geschäftsführenden Vorstand ausgesprochen (§ 11 Abs 4 PartG).

- Die Äußerung der Bundesvorsitzenden am 5. November im ZDF Interview "Wir haben gehandelt und Konsequenzen bei einer Wiederholung angekündigt" wird nicht nur, so der Beschluß, vom Antragsgegner behauptet, sie ist vom Bundesparteigericht als zutreffend festge­stellt worden.

Wenn die Beschlußmehrheit meint, daß die Partei zunächst bemüht war, "auf politischem Wege" den Schaden zu begrenzen, so ist zu beachten, daß es sich bei sämtlichen Ordnungsmaßnahmen, zu denen auch ein Parteiausschluß gehört, um auf politischem Wege beruhende Maßnahmen handelt. Über politischem Wege hinausgehende Sanktionen stehen einer Partei nicht zu. Die vom Präsidium erteilte Rüge konnte daher kein Vorstadium zu weitergehenden Ordnungsmaßnahmen bilden.

- Von den Führungskräften der Partei sind eine Reihe von Handlungen vorgenommen worden, die bei dem Antrags­gegner den begründeten Eindruck erwecken mußten, daß er durch die Erfüllung der ihm angetragenen Handlungen den Anforderungen der Parteiführung in ausreichendem Maße Folge geleistet hat.

Anzuführen sind zunächst die drei vom Antragsgegner am Freitag, dem 31. Oktober, Sonnabend, dem 1. und Montag dem 3. November, abgegebenen Presseerklärungen. Die Erklärung vom 31. Oktober erfolgte nach Absprache mit Frau Merkel, die Erklärung vom 1. November wurde von dem Kreisvorsitzenden der CDU-Fulda, Fritz Kramer, in Absprache mit dem Vorsitzenden des Antragstellers, Ministerpräsident Roland Koch, niedergeschrieben und die Erklärung vom 3. November aufgrund des Präsidiums­beschlusses formuliert und von Herrn Bosbach handschriftlich dem Antragsgegner vorgelegt. Sämtliche Texte sind somit dem Antragsgegner jeweils von Führungskräften der Partei vorgegeben worden. Sie können daher nicht, so aber der Mehrheitsbeschluß, als "farblose Erklärungen" bewertet werden.

Weiter ist anzuführen die im Bild am 4. November zitierte Erklärung von Wolfgang Bosbach

"Wenn so etwas noch einmal passiert, droht Herrn Hohmann der Ausschluß sowohl aus der Partei als auch aus der Fraktion"

sowie die ebenfalls am 4. November im hessischen Landtag erfolgte Ablehnung des Antrages der oppositionellen FDP, SPD und Grünen, eine "Mißbilligung" Hohmanns zu beschließen. Die Erklärung des Ministerpräsidenten Koch am Sonntag, dem 9. November, in der Frankfurter Westend-Synagoge ist zwar durch eine deutliche Distanzierung von der Äußerung des Antragsgegners gekennzeichnet. Alle diese Äußerungen haben jedoch bei dem Antragsgegner den berechtigten Eindruck hinterlassen können, daß er von der Partei­führung scharf gerügt worden ist, dies damit aber auch sein Bewenden habe.

Dieser Vertrauenstatbestand ist folglich von maßgeblichen Führungskräften der Partei gesetzt worden.

14. Die ab Sonntag, den 9. November, in der Parteiführung eingetretene Änderung der Beurteilung der Rede des Antragsgegners und die hieraus gezogene Konsequenz eines Ausschlusses aus der Partei hat eine eigene Entwicklung begründet, mit der der Antragsgegner nicht zu rechnen brauchte und auch nicht rechnen mußte. Das Recht zur Ergreifung weiterer Sanktionen war verbraucht.

Überdies sagt die Mehrheitsmeinung nicht, welche Hand­lungen oder Ereignisse nach Ausspruch der "scharfen politischen Rüge" eine weitere Sanktion in Form der schärfsten einer Partei möglichen Ahndungshandlung erforderlich gemacht hätten.

II.
zum Parteiausschluß

1. Die Mehrheitsmeinung hat nicht ausreichend berücksich­tigt, daß der Parteiausschluß eines dem Bundestag ange­hörenden Abgeordneten durch eine besondere Komplexität gekennzeichnet ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besitzen die Parteien den Status von Verfassungsorganen. Der Antragsgegner ist als Mitglied des Deutschen Bundestages Inhaber einer heraus­gehobenen Stellung in einem Verfassungsorgan. Unter dem Blickpunkt der Stellung eines als Vertreter des ganzen Volkes handelnden und nur seinem Gewissen unterworfenen Abgeordneten (Art. 38 GG) hätte daher die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen Vorwürfe eine besondere Würdigung und Bewertung erfordert, so namentlich hinsichtlich des Verhältnisses der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) zur Parteidisziplin und zur innerparteilichen Demokratie (Art. 21 GG). Hinzu kommt die Bewertung der dem politi­schen Meinungskampf zuzuordnenden Äußerungen, weiter die Frage der für eine Volkspartei bestehenden Bandbreite, die Grundwerte der CDU und ihre Wechselwirkung unterein­ander sowie zu den staatlich vorgegebenen Grundwerten.

2. Ein Parteiausschluß hat in der Regel den Verlust der Teilhabe an der politischen Willensbildung zur Folge. Löwisch a.a.O weist darauf hin, daß auch die Auswirkungen auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung nicht zu unterschätzen seien. Das gilt insonderheit für den Antragsgegner, der nach einer Aussage des Bundes­ministers Schily nicht mehr in das vor Übernahme des Abgeordnetenmandats von ihm aufgegebene Beamtenverhältnis übernommen werden soll. Der als "politische Hinrichtung" bezeichnete Parteiausschluß käme daher für den Antrags­gegner auch eine wirtschaftliche Entsprechung hinzu. Nach alldem sollte ein Parteiausschluß in der Skala möglicher Parteisanktionen die ultima ratio bilden. Der Gesetzgeber hat zu dem Kriterium des Schadens das zusätzliche Merkmal der Schwere des Schadens in § 10 Abs. 4 PartG hinzugefügt. Die hochgradige Unbestimmtheit der Gesetzesvorschrift verlangt nach dem Referenten des Parteiengesetzes, Karl-Heinz Seifert, eine zurückhaltende Auslegung.

3. Die Komplexität des vom Bundesparteigericht entschiedenen Falles wird dadurch erweitert, daß sich der Ausschluß­antrag gegen einen "Parteibürger" richtet, der zu ihren Grundwerten steht und sich trotz der gegen ihn von der Parteiführung gerichteten Angriffe weiterhin zu ihren Grundlagen bekennt, so auch durch die Stimmabgabe bei der Wahl des Bundespräsidenten, wodurch ein zweiter Wahlgang vermieden worden ist. Der stellvertretende Fraktions­vorsitzende Wolfgang Bosbach hat in einem am 14. November 2003 im Deutschlandradio ausgestrahlten Interview auf den Vorhalt, daß Hohmann Unrecht geschehen sei und man in Deutschland nicht mehr die Wahrheit sagen dürfe, erwidert:

"Wir werden von zwei Seiten in die Mangel genommen. Die Einen haben sich darüber be­klagt, daß wir den Kollegen Hohmann nicht sofort aus der Partei und der Fraktion ausge­schlossen haben. Die Anderen beklagen sich, daß wir überhaupt ein Ausschlußverfahren betreiben - mit der Argumentation, daß er nichts Falsches gesagt habe - oder dürfe man in Deutschland nicht mehr die Wahrheit sagen? Diese Argumentation ist nur in einem sehr begrenztem Umfange nachvollziehbar, denn er hat ja gerade nicht die historische Tatsachen erwähnt, sondern er hat Schlüsse daraus gezogen, die schlichtweg falsch sind."

Das Argument der falschen Schlußfolgerung bildet den Kern des gegen den Antragsgegner erhobenen Vorwurfs. Es stellt sich indessen die Frage, ob eine Partei, die als pluralistische Volkspartei aufgrund ihrer großen Band­breite auf eine breitgefächerte innerparteiliche Meinungsvielfalt angelegt ist, aus einer auch im Hinblick auf die Einzigartigkeit der Schreckenstaten des national­sozialistischen Regimes in der Tat politisch instinktlos zu nennenden Schlußfolgerung eines auf dem politischen Glatteis arg zu Fall gekommenen Parteibürgers berechtigt ist, ihn von jeglicher weiteren Mitwirkung an der politischen Willens­bildung auszuschließen. Hier war nach der deutlichen Distanzierung der Parteiführung mit der Erteilung einer scharfen politischen Rüge und der Abwägung mit den Verdiensten des Antragsgegners ausreichend Genüge getan.

Dem Antragsgegner ist als fest auf dem Boden der CDU stehender christlicher Politiker der Ausweg eines Wechsels zu einer anderen Partei verwehrt; ebenfalls die Gründung einer eigenen Partei, dies im Gegensatz zu dem seinerzeit mit einer Partei-Ausschließung bedrohten CDU-Bundestags­abgeordneten Herbert Gruhl. Wolfgang Bosbach hat in dem angeführten Interview den Antragsgegner als einen Konservativen gekennzeichnet, der ein Wertkonserva­tiver sei. Der Antragsgegner ist daher ein Politiker, der nur in der CDU seine politische Heimat und damit eine öffentliche Wirkungsstätte finden kann.

Wolfgang Bosbach hat weiter darauf hingewiesen, daß Hohmann kein Antisemit sei, in der Fraktion sei er mit der Berichterstattung zu den Themen "Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und dem Zentralrat der Juden in Deutschland" sowie zu dem Thema "Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter" betreut gewesen; er habe sich als Bürgermeister sehr intensiv um die Pflege und den Erhalt des Jüdischen Friedhofs in seiner Gemeinde gekümmert. Diese von Bosbach aufgeführten Fakten zeigen, daß es sich bei der inkriminierten Rede um eine beklagenswerte einmalige Fehlleistung handelt. Die Auslegung der Rede durch die Mehrheitsmeinung "daß sie als Konnotation unterschwellige oder auch offene antisemitische Ressen­timents der Zuhörerschaft bedienen soll" steht daher zu dem von Bosbach aufgezeigten Gesamtverhalten des Antragsgegners in deutlichem Widerspruch.

4. Das Vorliegen eines schweren Schadens durch die zum Tag der deutschen Einheit vom Antragsgegner am 3. Oktober 2003 gehaltenen Rede wird von der Mehrheitsmeinung nur knapp begründet (S. 33).

- Zunächst wird angeführt, daß durch die Rede eines als Bundestagsabgeordneten herausgehobenen Parteimitglieds Zweifel an der Grundsatztreue der CDU erweckt worden seien. Es stellt sich indessen die Frage, ob in bezug auf die Grundsatztreue eines Mandatsträgers bestehende Zweifel der Gesamtpartei zugerechnet werden können. Dies besonders dann, wenn offenbleibt, ob überhaupt ein derartiger Zweifel besteht.

- Dem weiter zur Begründung des Vorwurfes der Schaden­zu­fügung angeführten Argument, daß die Partei durch das Unterbleiben eines Parteiausschlusses antisemitische Tendenzen in ihren Reihen dulde, ist entgegenzuhalten, daß bei einem Fehlverhalten selbst eines herausge­hobenen Parteimitgliedes durchaus die Möglichkeit besteht, Schaden von der Gesamtpartei durch eine deutliche Distanzierung abzuwenden. Unter diesem Blickpunkt stellt der Parteiausschluß des Antrags­gegners eine Übermaßreaktion dar und ist, wie Tausende Zuschriften von Parteimitgliedern belegen, auch in weiten Teilen der Partei so empfunden worden. In der Geschichte der Christlich Demokratischen Union ist jedenfalls noch kein Parteiausschluß bei den Parteimitgliedern wie auch in der Öffentlichkeit auf eine derart breite Ablehnung gestoßen.

- Fehl geht die weitere Begründung, daß der Partei durch die Rede des Antragsgegners eine Diskussion aufge­drängt worden sei. Durch die deutliche Distanzierung von der einer mißverständlichen Auslegung zugänglichen Rede des Antragsgegners und den Ausspruch einer politischen Rüge ist die CDU dieser Diskussion nachdrücklich entgegengetreten.

- Das Argument, die Rede habe tiefgreifende Streitig­keiten in der Partei ausgelöst und dadurch den Parteifrieden gestört, spricht eher für die Verneinung als die Bejahung eines Schadens. Bezeugt doch gerade das Austragen von Meinungsverschiedenheiten (in bezug auf die Rede vom 3. Oktober 2003 durch das Wiederauf­leben des in den neunziger Jahren ausgetragenen Histo-riker­streits) einen lebendigen innerparteilichen Willens­bildungsprozeß. Der programmatische Rahmen, in dem ein innerparteilicher Diskussionsprozeß ausgetragen wird, darf nicht mittels weit ausgelegter oder gar überdehnter Rechtsbegriffe wie "Grundsätze", "Ordnung" oder "Schaden" zu einem Disziplinierungsmittel der Parteiführung verwendet werden.

- Soweit die Mehrheitsmeinung durch die Rede vom 3. Oktober ausgelöste Loyalitätskonflikte zwischen Partei­mitgliedern als Grund für den Parteiausschluß anführt, übersieht die Mehrheit die ohnehin bestehenden zahlreichen innerparteilichen Auseinandersetzungen. Derartige Auseinandersetzungen sind bei bestehenden sachlichen oder auch persönlichen Interessengegen­sätzen unvermeidbar. Sie mögen zwar dem Außenbild einer Partei abträglich sein, können jedoch nicht den Rechtsbegriff des schweren Schadens im Sinne des § 11 Abs. 4 PartG erfüllen.

- Der von der Mehrheitsmeinung zur weiteren Begründung des der Partei zugefügten schweren Schadens angeführte Medienwirbel beruht auf der vom Antragsgegner nicht zu vertretenden am 30. Oktober ausgestrahlten Falschmel­dung "CDU-Abgeordneter nennt Juden Tätervolk" und zum anderen darauf, daß nach der sofortigen Herausnahme der Rede aus dem Internet der vollständige Redetext in den nächsten Tagen zunächst nicht zu erhalten war. Wollte man eine durch ein Parteimitglied ausgelöste Medienkampagne jeweils als einen der Partei zugefügten schweren Schaden werten, dann würden Parteiausschluß­verfahren häufig zu verzeichnen sein. Erinnert sei hier nur an die Medienkampagnen Filbinger, Jenninger, Barschel, Heitmann und Kohl.

- Schließlich beruft sich die Mehrheitsmeinung zur Begründung des Schadenvorwurfes auf Angriffe, die die Partei dem Verdacht ausgesetzt haben, die Verbreitung antisemitischer Klischees in ihren Reihen zu dulden. Die Mehrheitsmeinung bezeichnet es als absurd, daß der den Ausschluß Hohmanns fordernde Personenkreis durch linke Medien in die Irre geführt worden sei. Als Beispiele für diesen Personenkreis werden der Kardinal Lehmann sowie der Bischof Huber angeführt. Der gerade zum Ratsvorsitzenden der EKD gewählte Bischof Wolfgang Huber hatte den Ausschluß des Antragsgegners aus der Unionsfraktion mit der Begründung gefordert, daß es sich bei der Rede Hohmanns um einen "Antisemitismus übelster Sorte" handle. Huber war vor seiner Berufung in den Bischofsstand der berlin-brandenburgischen Kirche stellvertretender Vorsitzender eines SPD-Orts­vereins in Heidelberg und Bewerber um ein SPD-Bundestagsmandat im Wahlkreis Heidelberg-Schwetzingen. Diese Ämter hatte er im Hinblick auf seine Berufung aufgegeben. Der weiter für die antisemitische Tendenz der Hohmann-Rede von der Mehrheitsmeinung genannte Kardinal Lehmann hatte hingegen eine inhaltliche Auseinandersetzung gefordert.

(...)

6. Außer acht gelassen hat die Mehrheitsmeinung das wohl wichtigste Kriterium für die Prüfung, ob einer Partei durch das Verhalten eines Mitgliedes ein Schaden entstanden ist, nämlich die Frage, ob die Wahlchancen der Partei gemindert wurden, ein Verlust an Wählerstimmen eingetreten ist. Die im Juni 2004 durchgeführte Europawahl hat der CDU im Gegensatz zur SPD keinen nennenswerten Verlust gebracht (- 2,8 zu -9,2 %). Zu verweisen ist weiter auf die vom Antragsgegner vorgetragenen, vom Fernsehsender n-tv im November 2003 vorgenommenen Umfrageergebnisse, wonach jeweils 91 % der Befragten sich gegen eine Mandatsniederlegung sowie gegen einen Parteiausschluß ausgesprochen haben. Wenn diese Befragungen auch nicht als repräsentativ bezeichnet werden können, so verschaffen sie doch ein Stimmungsbild über die Aufnahme der Ausschlußhandlungen im Wahlvolk mit dem Ergebnis, daß bei dem Wählerverhalten als wichtigen Indikator für die CDU durch die Rede Hohmanns kein Schaden eingetreten ist.

Der dem Antragsgegner angelastete Schadenvorwurf wird sogar in sein Gegenteil verkehrt durch den vom Mitglied des Fraktionsvorstandes Veronika Bellmann, MdB, gegen die Parteiführung unter Zustimmung von Fraktionskollegen erhobenen Vorhalt, daß der Ausschluß des Antragsgegners aus der CDU eine der Ursachen für die in den Wahlen am 19. September 2004 in Brandenburg und Sachsen von der CDU zu verzeichnenden Verluste sei (FAZ v. 22.9.04). Der Hinweis des Antragsgegners auf diesen Vorhalt ist bei der Entscheidungsfindung von der Mehrheit des Bundespartei­gerichts nicht berücksichtigt worden.

7. Der Ausschluß des Antragsgegners und die hierfür gegebene Begründung ist auch bei vielen Parteibürgern auf Wider­spruch gestoßen. So sind im CDU-Kreisverband Fulda im Zusammenhang mit dem Fall Hohmann ca. 250 Partei­mit­glieder aus der CDU ausgetreten. In welch großem Umfang CDU-Mitglieder sich gegen den Parteiausschluß Hohmanns wenden, wird weiter belegt durch den großen Anteil von Zuschriften an den Initiator der Aktion "Kritische Solidarität mit Hohmann" Fritz Schenk. In diesen Zuschriften wird häufig unter Hinweis auf die eigene CDU-Mitgliedschaft gegen den Parteiausschluß Hohmanns protestiert (veröffentlicht in Fritz Schenk, Der Fall Hohmann, S.229 ff). Bei der Prüfung der Frage, ob der Antragsgegner der CDU einen schweren Schaden zugefügt habe, hätten weiterhin die tausende von Anrufen und Zuschriften (Briefe, Faxe, E-Mails) an die Partei­führung von der Entscheidungsmehrheit bei der Prüfung des Ausschlußtatbestandes nicht übergangen werden dürfen. Stellen doch diese Anrufe und Zuschriften ein Aufbegehren eines nicht unbeachtlichen Teils der Parteibasis gegen eine Entscheidung der Parteiführung dar, ein Ereignis, das in diesem Umfang in der bisherigen Parteigeschichte noch nicht zu verzeichnen war.

(...)

9. Der Antragsgegner hat vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 14. November in bezug auf seine inkriminierte Rede gesagt: "Das tut mir ausgesprochen leid. Hätte ich die Folgen geahnt, ich hätte diese Rede nie gehalten."

Übereinstimmend hiermit hat er in der mündlichen Ver­handlung vom 19. Oktober 2004 vorgebracht, daß die Kampagne gegen seine Rede durch die am 30. Oktober ausgestrahlte Meldung "CDU-Abgeordneter nennt Juden 'Tätervolk'" ausgelöst wurde und er diese Folge seiner Rede nicht voraussehen konnte.

Bedenken bestehen daher gegen die von der Mehrheit getroffene Feststellung, daß das Landesparteigericht zutreffend ein Verschulden des Antragsgegners festge­stellt habe, wobei Fahrlässigkeit genüge. Auch wenn man mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesparteigerichts davon ausgeht, daß für einen Parteiausschluß bereits ein fahrlässiges Verhalten ausreicht, so halte ich den Fahrlässigkeitsvorwurf der Mehrheitsentscheidung nicht für ausreichend begründet. Der bloße Hinweis, daß der Antragsgegner dadurch seine Sorgfaltspflichten als prominentes Parteimitglied grob verletzt habe, daß er als Bundestagsabgeordneter und Volljurist hätte erkennen können, daß er einseitige und antisemitische Literatur kritiklos in seiner Rede übernommen habe, vermag ein fahrlässiges Verhalten nicht zu begründen. Das gilt selbst dann, wenn man bei einer Gesamtbetrachtung der Rede die Feststellung, daß der Antragsgegner einseitige und antisemitische Literatur kritiklos übernommen habe, für begründet erachtet.

Risse, a.a.O. S. 112 weist darauf hin, daß zwischen dem Verstoß gegen Satzung, Grundsätze oder Ordnung und dem schweren Schaden Kausalität bestehen muß. Das ergebe sich aus dem Wort "damit" in § 10 IV PartG. Es müsse daher Ursächlichkeit zwischen einem Ereignis, vorliegend die Rede vom 3. Oktober, und dem eingetretenen Schaden, vorliegend der Medienwirbel, bestehen. Die Erstreckung des auf eine irreführende Schlagzeile verkürzten Aussage­gehalts der Rede auf die eingetretenen Folgen, den Medienwirbel, wird man dem Antragsgegner nicht zum Vorwurf machen können. Er brauchte nicht damit zu rechnen, daß seine eingehenden Darlegungen in einer isolierten Falschmeldung der deutschen Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht wird. Fahrlässigkeit wird daher aus meiner Sicht dem Antragsgegner zu Unrecht von der Mehrheit angelastet.

10. Der Antragsgegner hat in seiner Rede das Wort "Tätervolk" nicht behauptend angewendet und gesagt "Die Deutschen sind ein Tätervolk" oder "Die Juden sind ein Tätervolk". Entscheidend für die Zielrichtung seiner Rede war das Resümee: "Daher sind weder die Deutschen noch die Juden ein Tätervolk." Der Antragsgegner hat somit das Gegenteil von dem gesagt, was ihm in den Medienmeldungen unter­stellt worden ist. Der Antragsgegner wollte, was allerdings nur durch ein sorgfältiges Zuhören oder Lesen zu erkennen war, mit seiner Rede aufzeigen, daß die unter den beiden Totalitarismen begangenen Massenmorde den gottlosen, von religiösen Bindungen gelösten Tätern anzulasten sind.

Dem Antragsgegner ist indessen vorzuwerfen, daß durch die Breite der Schilderung der Beteiligung von Juden an der bolschewistischen Revolution und den damit verbundenen Verbrechen der Eindruck einer antisemitischen Tendenz seiner Rede hervorgerufen wurde.

11. Im Hinblick auf die deutsche Geschichte und ihre Verstrickung in die damit unauflösbar verbundenen nationalsozialistischen Greuel war die Rede tadelnswert. Dieser Tadel ist von der Parteiführung mehrfach ausge­sprochen und vom Antragsgegner auch akzeptiert worden. Der Antragsgegner hat sich von seinem Fehlverhalten deutlich distanziert und sich wiederholt in für die Öffentlichkeit bestimmten Erklärungen entschuldigt. Die von der Mehrheit gezogene Konsequenz eines Ausschlusses eines in der Partei verwurzelten Wertkonservativen steht indessen, wie aufgezeigt, außerhalb der bisherigen Rechtsprechung des Bundesparteigerichts und ist als eine Übermaßreaktion zu werten.

Friedrich-Wilhelm Siebeke, 06.11.2004

 

Der vollständige Text findet sich im Internet unter www.kritische-solidaritaet.de 


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