© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/04 19. November 2004

"An der Wiege eines unabhängigen flämischen Staates"
Interview: Der Vorsitzende von Vlaams Belang, Frank Vanhecke, über die Auflösung des Vlaams Blok und die Zukunft Belgiens
Irmhild Boßdorf.

Herr Vanhecke, am 9. November hat das höchste belgische Gericht ein Urteil eines Gerichts in Gent bestätigt, wonach der Vlaams Blok, die zweitstärkste flämische Partei, Auffassungen vertrete, die gegen geltende Anti-Rassismus-Gesetze verstoßen. Welche praktischen Auswirkungen hat der Richterspruch des "Hof van Cassatie" auf Ihre Partei?

Vanhecke: Am 14. November wurde der Vlaams Blok aufgelöst. Unmittelbar danach wurde eine neue Partei aus der Taufe gehoben: Vlaams Belang (Flämische Sache). Diese Partei hat dieselben Menschen und dasselbe Programm. Unsere Widersacher sollten sich also keinen Illusionen hingeben: Das Vlaams-Blok-Programm von 2003 und 2004 wird auch das Programm von Vlaams Belang sein.

Wenn man auf die belgische Justiz schaut und beispielsweise an das langjährige Verfahren und die Skandale rund um den Kinderschänder Marc Dutroux oder jetzt an die Verurteilung Ihrer Partei denkt, könnte man Zweifel am belgischen Rechtsstaat hegen. Ist das berechtigt?

Vanhecke: Der Vlaams Blok konnte nur deshalb verurteilt werden, weil die traditionellen Parteien in den vergangenen Jahren immer wieder Gesetzes- und Verfassungsänderungen durchgesetzt haben, um den Vlaams Blok außerhalb des Gesetzes zu stellen. Sie können also sicher verstehen, daß ich keine hohe Meinung von der belgischen Justiz habe. Eigentlich wurden mit dem Urteil auch all jene Flamen, die es leid sind, jeden Tag aufs neue vom belgischen Staat belogen und betrogen zu werden, zu vulgären Kriminellen gestempelt, denn vergessen wir doch nicht, daß der Prozeß auch und in erster Linie dazu diente, uns mundtot zu machen.

Gab es denn in Belgien auch kritische Stimmen gegen die Verurteilung des Vlaams Blok?

Vanhecke: Die Reaktionen der traditionellen Parteien waren rundweg scheinheilig. Es war ohne Zweifel ein Prozeß der belgischen politischen Kaste gegen die flämische Oppositionspartei. Wichtiger war es für uns aber, daß wir im Juni von den flämischen Wählern freigesprochen wurden. Sie folgten unserem Aufruf, bei den Regionalwahlen in Flandern ihre Stimme für die freie Meinungsäußerung abzugeben. Wir haben mehr als eine Million Stimmen bekommen, das waren 24,1 Prozent.

Haben Sie keine Angst, mit der Neugründung von Vlaams Belang auch bisherige Wähler zu verlieren?

Vanhecke: Nein, im Gegenteil. Wir bewahren Ruhe und packen diese neue Herausforderung an. Wir sind organisatorisch und politisch auf alles vorbereitet und können uns noch immer auf den selbstlosen Einsatz von Tausenden von Mitgliedern stützen. In den kommenden Tagen und Wochen werden wir im großen Stil werben, um die neue Partei bekannt zu machen.

Der Mord an dem Filmregisseur Theo van Gogh hat die Niederlande erschüttert. Wird das auch Auswirkungen auf Belgien haben?

Vanhecke: Van Gogh wurde in den Niederlanden wegen seiner Überzeugung, seiner Kritik am Islam, ermordet. Obendrein war der Täter jemand, der von diesem Land seine Staatsangehörigkeit bekommen hatte. In Belgien haben die verschiedensten Parteien den Mord verurteilt. Aber gerade diese haben es doch zu verantworten, daß sich Fundamentalisten hier ungestört ausbreiten konnten. Weil der Staat nie Forderungen an die Immigranten gestellt hat, ist ein Klima entstanden, in dem offenbar alles erlaubt ist. Eine Studie aus dem Jahr 2001 belegt, daß mindestens 30 Moscheen in Belgien Geld für den internationalen Dschihad einsammeln und junge Moslems für den bewaffneten Kampf rekrutiert werden. Die politisch Verantwortlichen weigern sich aber, daraus irgendeine Konsequenz zu ziehen. Für mich ist der Mord ein erneuter Anlaß, um die Immigrationspolitik auch bei uns drastisch zu ändern. Der schädliche Schmusekurs muß endlich beendet werden. Der Kerngedanke unserer Ausländerpolitik ist und bleibt "anpassen oder zurückkehren".

Vlaams Belang tritt mit einem vor zwei Wochen modifizierten Programm an. Sehen Sie Chancen, daß damit der "cordon sanitaire", die politische Ausgrenzung des Vlaams Blok durch Christdemokraten, Liberale, Sozialisten und Grüne im Parlament, durchbrochen werden kann?

Vanhecke: Der sogenannte cordon sanitaire ist in erster Linie ein Problem der anderen Parteien, vor allem der Christdemokraten und der Liberalen. Sie sind immer wieder gezwungen, mit linken Parteien zu koalieren. Das schadet ihrer Glaubwürdigkeit. Natürlich kann man nach dem demokratischen Charakter dieses Cordon fragen, denn mehr als eine Million Wähler werden in der Regierungspolitik nicht berücksichtigt. Es geht sogar so weit, daß Mitglieder, Sympathisanten und Wähler des Vlaams Blok gesellschaftlich isoliert, daß sie aus Gewerkschaften, sozialen und kulturellen Organisation ausgeschlossen und durch die Medien kriminalisiert werden.

In Antwerpen ist Ihre Partei schon stärkste politische Kraft, in Flandern seit diesem Jahr hinter den Christdemokraten zweitstärkste. Was würden Sie bei einer - angesichts der Wahlerfolge nicht mehr völlig ausgeschlossenen - Regierungsbeteiligung als erstes durchsetzen wollen?

Vanhecke: Die Kernpunkte unseres Programms sind die flämische Selbständigkeit, eine strengere Einwanderungspolitik, die Kriminalitätsbekämpfung und eine familienfreundliche Politik. Ohne deren Berücksichtigung käme eine Mitregierung für uns nicht in Frage.

Eine Teilung Belgiens in Flandern und Wallonien nach einem "tschechoslowakischen Modell" fordert nicht mehr nur der Vlaams Blok/Belang. Welche Chancen bestehen für eine flämische Unabhängigkeit innerhalb der EU?

Vanhecke: Die 1992 beschlossene und schon am 1. Januar 1993 erfolgte Teilung der Tschechoslowakischen Föderativen Republik in die Tschechische Republik und die Slowakei beweist, daß es auf eine friedliche, demokratisch legitimierte und international anerkannte Weise möglich ist, einen Staat aufzulösen und zur Unabhängigkeit zu gelangen. Immer mehr Flamen erkennen, daß die belgische Konstruktion schädlich für das Wohl Flanderns ist. Auch bei den traditionellen Parteien reift diese Erkenntnis: Unlängst sprachen sich sogar einige liberale Wortführer für die flämische Unabhängigkeit aus. Seit dem Entstehen unserer Partei fordern wir ein eigenständiges Flandern mit der Hauptstadt Brüssel. Diese würde ihren zweisprachigen Status behalten - wir werben dort sogar auf französisch. Mit unseren sechs Millionen Einwohnern und der international ausgerichteten Ökonomie könnten wir uns einreihen bei den kleinen, aber modernen, demokratischen und effizienten Staaten wie Dänemark, Finnland, Schweden, Österreich, Norwegen oder die Schweiz. Ich bin davon überzeugt, daß Vlaams Belang früher oder später - und zwar eher früher als später - an der Wiege eines unabhängigen flämischen Staates stehen wird. 

 

Frank Vanhecke wurde am 30. Mai 1959 in Brügge geboren. Seine politische Laufbahn begann in der Jugendorganisation der flämisch-nationalen Volksunie. 1978 wurde er Mitglied der neugegründeten Partei Vlaams Blok. 1994 wurde er ins EU-Parlament gewählt. 1996 wurde er als Nachfolger von Karel Dillen Parteivorsitzender des Vlaams Blok, seit 2004 ist er Chef von Vlaams Belang.

 

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