© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/04 26. November 2004

Stunde der Wahrheit
Die Kirchen vor der Herausforderung von Islam und Entchristlichung
Peter Freitag

Die engagierten Bauherren des Potemkinschen Dorfes namens "Multikultur" geraten derzeit argumentativ ins Hintertreffen. Von führenden Politikern sind Aussagen vernahmbar, die vor einigen Jahren noch in die Giftschränke der Toleranzverweigerung verwiesen wurden. Gleiches ist bei den Protagonisten der christlichen Kirchen festzustellen, die bisher nicht müde wurden, den "Dialog der Religionen" zu predigen.

Wolfgang Huber beispielsweise, Bischof der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg und Vorsitzender des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), teilt im aktuellen Focus seine Erkenntnis mit, daß die "interreligiöse Schummelei nicht mehr funktioniert". Nicht mehr? Sie hat noch nie funktioniert, nur ist das offensichtlich erst jetzt dem protestantischen Oberhirten mit dem SPD-Parteibuch aufgefallen. Immerhin. Denn damit ist er vielen seiner Schäfchen eine wesentliche Nasenlänge voraus.

Wenn irgendwo in der Republik ein islamischer Kulturverein den Bau einer Moschee in Angriff nimmt, gehören in der Regel zu den ersten öffentlichen Fürsprechern die ortsansässigen Vertreter der christlichen Konfessionen. Durch ihre Verlautbarungen geistern noch jene Euphemismen vom Islam als einer Religion des Friedens, die in erstaunlichem Kontrast zur Wirklichkeit stehen. Es galt bisher als unschicklich darauf hinzuweisen, daß der Begriff Islam nicht "Frieden" in unserem Sinne, sondern im Sinne von "Hingabe an Allah" bedeutet, oder daß Moslems das Recht und sogar die Pflicht haben, gemäß der taqiya eigene Glaubensinhalte zu verleugnen, wenn sie als Minderheit in einer nicht-islamischen Mehrheitsgesellschaft leben.

Während einst in kirchlichen Einrichtungen über "Gemeinsamkeiten von Moslems und Christen" nachgesonnen wurde, macht sich jetzt Ernüchterung breit. Bischof Huber jedenfalls stellt mit aller Deutlichkeit fest: "Wir haben als Christen keinen Grund zu sagen, wir würden uns zum gleichen Gott wie die Muslime bekennen."

Es mögen nicht nur die gewalttätigen Auswüchse radikaler Moslems, ihre Mord- oder Brandanschläge sein, die einen Umdenkprozeß ausgelöst haben. Die christlichen Kirchen stehen in Deutschland vor einem ganz eigenen Problem, das sich vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit dem Islam nur dringender präsentiert. Seit Jahrzehnten kommen ihnen die Gläubigen abhanden, geraten sie gesellschaftlich immer mehr ins Hintertreffen. Zwar wird allenthalben noch von christlichen Werten gesprochen, eindeutige Glaubensbekenntnisse sind dagegen immer seltener wahrnehmbar. Ohne Bekenntnis ist aber auch kein Wert, keine Norm begründbar. Unser Umgang mit Religion widerspricht dem sonst so strapazierten Begriff der "Nachhaltigkeit". Wer die Gültigkeit christlicher Werte aufrechterhalten will, muß sich um das "Nachwachsen" von Gläubigen kümmern. Genau dies haben die Kirchen vernachlässigt.

Der Islam stößt in Europa in ein Vakuum der Glaubensleere, welches seinen Vertretern geradezu die Argumente für ihre Behauptung, der Westen sei "dekadent", mundgerecht serviert. Wo eine totale Fixierung auf Diesseitigkeit vorherrscht, muß die religiöse Unbedingtheit der Zugewanderten verstörend wirken.

In seiner Laudatio auf den Toleranzpreisträger Johannes Rau sprach Kanzler Schröder von der europäischen Werteordnung, die vom "Gedanken der Aufklärung" geprägt sei. Daß die geistigen und kulturellen Grundlagen Europas allerdings schon lange vor dem 18. Jahrhundert gelegt wurden, scheint Schröder entgangen zu sein. Die "Väter des Grundgesetzes" waren sich dessen sehr wohl bewußt, als sie der strikten Trennung von Kirche und Staat eine Absage erteilten. Der weltanschaulich neutrale, liberale Rechtsstaat, der ohne Zweifel in der Tradition der Aufklärung steht, kann das Fundament, auf dem er basiert, nicht vollständig aus sich selbst heraus begründen.

Aus diesem Grund wiesen die Verfassungsväter den christlichen Kirchen eine hervorgehobene Stellung im Bereich der Erziehung und Bildung ein. Daß konfessioneller Religionsunterricht an staatlichen Schulen erteilt wird, hat seinen Grund im Nutzen, den dies für die inhaltliche Begründung der Wertordnung unseres Gemeinwesens bringt. In dem Maße, wie die praktische Umsetzung in den letzten Jahrzehnten an dieser Aufgabe scheiterte, nimmt jetzt auch die Ratlosigkeit angesichts der islamischen Herausforderung zu. Um eine Kompatibilität zwischen Grundgesetz und Islam herzustellen, so die Erkenntnis des Göttinger Orientalisten Tilman Nagel, müßten "wesentliche Partien des Korans und der Prophetenüberlieferung für nicht mehr gültig erklärt werden".

Daß die Mehrzahl der hier lebenden Moslems dazu nicht bereit ist, braucht nicht betont zu werden. Weil wir über Jahre oder sogar Jahrzehnte daran gewöhnt worden sind, Überliefertes willfährig zur Disposition zu stellen, erschüttert uns die Erkenntnis, daß andere Vergleichbares niemals tun würden.

Die Forderung Bischof Hubers, jetzt die "eigene Verwurzelung im christlichen Glauben zu klären und selbstbewußt öffentlich zu vertreten", erscheint überfällig. Ergänzt um die Feststellung: Was nicht zusammengehört, muß auseinandergehalten werden. An diesem Punkt endet jeder "interreligiöse Dialog".


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