© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/04 03. Dezember 2004

Kolumne
Bescheidenheit
Heinrich Lummer

Es umfaßt zwei Bände im Format 25 zu 17,5 Zentimeter, zählt 2.031 Seiten und wiegt 3,34 Kilogramm. Ein beachtliches Werk! Die Rede ist von den "Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus". Allein für Berlin sind mehr als 500 Erinnerungsstätten ausgewiesen. Dabei sind die sogenannte Topographie des Terrors und das "Stelen-Feld" noch gar nicht mitgezählt. Offenbar sind wir sorgsam umgegangen mit dem Gedenken an unsere Geschichte.

Ganz im Gegenteil! Wenn man etwa an die peinliche Auseinandersetzung um die Finanzierung der Erfassungsstelle Salzgitter denkt, dann war das ein eher abschreckendes Beispiel. Von dem kargen Dasein, das das Museum am Checkpoint Charlie gefristet hat gar nicht zu reden. Dabei war die Initiative einem einzelnen Mann zu verdanken: Rainer Hildebrandt. Und so sehr sich andere Museen staatlicher Förderung erfreuten, das Museum am Checkpoint Charlie freute sich, an der Spitze der Besucherzahlen zu liegen.

Was wäre besser geeignet, an "authentische" Ereignisse zu erinnern, als die Exponate, die im Mauermuseum zur Schau gestellt werden? Und erinnert es nicht gerade an einem "authentischen" Ort an tausendfache Flucht? Im übrigen ist der Ort nicht weniger "authentisch" als das Stelen-Feld für die Opfer der Nazis. Und doch spricht PDS-Kultursenator Thomas Flierl von einer "historisch falschen Verkleidung des Ortes", die den "Anschein der Authentizität" erwecke. Da halte ich es doch lieber mit Bärbel Bohley, die in der Aufstellung der Kreuze eine "schöne Provokation" sieht, auf die die Stadt nun reagieren müsse. Obwohl man fünfzehn Jahre Zeit hatte, gebe es bis heute keinen Ort des "Erinnerns an die Maueropfer".

Was mögen wohl die Gründe sein für soviel Unvermögen? Für die anderen Opfer der Gewalt sind wir beflissen darum bemüht, es allen recht zu machen. In der Tat geht es da um andere Dimensionen des Verbrechens. Aber dürfen wir die am eigenen Volk begangenen würdelos und mit Schweigen übergehen? Da muß doch ein "Typisch deutsch" dahinterstecken.

Der US-Historiker David P. Calleo führt diesen Sachverhalt auf folgende Eigenschaft zurück: "Viele deutsche Autoren scheinen ein perverses Vergnügen daran zu finden, ihrem Volk eine einzigartige Schlechtigkeit zuzuschreiben, die es von der übrigen Menschheit unterscheidet." Darin trifft er sich mit Thomas Mann, der den Deutschen eine "zügellose, sympathielose Herabsetzung des eigenen Landes nebst inbrünstiger, kritikloser Verehrung anderer" bescheinigte. Falsche Bescheidenheit ist hier vollkommen fehl am Platze. Geboten wäre ein wenig mehr Selbstbewußtsein.

 

Heinrich Lummer, Berliner Innensenator a.D., war bis 1998 Bundestagsabgeordneter der CDU.


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