© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/04 03. Dezember 2004

Ein amerikanisch-polnisches Projekt?
Ukraine II: Die Streit um Wahlfälschungen und die künftige Macht im Lande ist auch ein Stellvertreterkonflikt zwischen Washington und Moskau
Wolfgang Seiffert

In Anbetracht der massiven Betrugsvorwürfe von beiden Seiten ist es die realistischste Lösung, die Wahl für ungültig zu erklären", schlug der ukrainische Parlamentspräsident Wolodimir Litwin vor - die Mehrheit folgte ihm. Er verband dies aber damit, durch eine Verfassungsänderung eine Kompetenzverlagerung vom Präsidenten auf den Premier vorzunehmen und den Präsidenten vom Parlament wählen zu lassen. So würde es zu keiner neuen Direktwahl kommen. Zudem bringen sich hier Institutionen und Personen selbst ins Machtspiel ein - allen voran Litwin.

Das gleiche gilt auch für die Erklärung des amtierenden Präsidenten Leonid Kutschma: "Laßt uns eine neue Wahl abhalten". Auch das ist kein Plädoyer für eine Wiederholung der Stichwahl vom 21. November mit dem Kandidaten Viktor Janukowitsch - aber Kutschma schlug eine entsprechende Verfassungsvereinbarung vor, die vom Parlament verabschiedet werden müßte. Manches deutet daraufhin, daß der neue Kandidat Sergej Tigipko heißen könnte, der als Wahlkampfleiter Janukowitschs und als Chef der Zentralbank mit der Erklärung zurücktrat, er wolle ganz in die Politik gehen.

Hintergrund dieser widersprüchlichen Positionen ist die Tatsache, daß der Vermittlungsversuch, an dem Kutschma, beide Kandidaten, die EU, Polen, Rußland und Litauen beteiligt waren, gescheitert ist. Trotz der Vereinbarung, auf den Einsatz von Gewalt zu verzichten, setzte Oppositionskandidat Viktor Juschtschenko seine provokative Strategie fort. Er verlangte ultimativ die Entlassung von Premier Janukowitsch - erst durch Kutschma, dann durch Mißtrauensvotum im Parlament.

Er unternahm aber nichts, um wenigstens durch Gesten eine Entspannung zu erreichen. Im Osten und Südosten des Landes wuchs die Wut über diese Situation und führte zu Forderungen nach Autonomie - bis zur Spaltung der Ukraine, die Polens Präsident Alexander Kwasniewski für realistisch hält, "vor allem wenn sie von einer ausländischen Macht gefördert wird".

Vor diesem Hintergrund begannen die Verhandlungen über Klagen von Juschtschenko-Anhängern gegen Wahlfälschungen vor dem Obersten Gericht. Welche Erwartungen auch immer an die Entscheidung der 21 Richter der Zivilkammer geknüpft werden: Das Gericht kann nur im Rahmen seiner Kompetenz entscheiden. Es kann nicht die ganze Stichwahl für ungültig erklären, es kann immer nur für jeweils einen Wahlbezirk feststellen, daß die Wahl ungültig sei. Damit bliebe das endgültige Wahlergebnis vorerst offen - eine Ungültigkeitserklärung wäre das aber nicht.

Den eigentlichen Hintergrund der gegenwärtigen Krise bildet aber die Tatsache, daß die USA (ohne Abstimmung mit der EU) die Gelegenheit sahen und nutzten, die Ukraine politisch von Rußland weg auf die Seite von USA, Nato und EU zu bringen. Rußlands Präsident Wladimir Putin verfolgte umgekehrte Absichten und versuchte auf seine Weise dagegenzuhalten.

Dabei ist Putin in einer schwierigen Lage. So wie US-Präsident John F. Kennedy 1962 sowjetische Atomraketen auf Kuba nicht hinnehmen konnte, kann Putin nicht zulassen, daß die Ukraine als Nato-Mitglied statt der abgezogenen russischen nun US-Atomraketen stationiert. Käme es dazu, wäre die Amtszeit Putins noch vor 2008 beendet. Der russische Politologe Sergej Markow sprach sogar schon von einem "amerikanisch-polnischen Projekt" zur Schwächung Rußlands, das zum Krieg auf dem europäischen Kontinent führen könnte.


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