© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/04 10. Dezember 2004

Ablaßhandel
von Marcus Schmidt

Wer ein Beispiel dafür sucht, welch sonderbare Blüten der gestörte Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte mitunter treibt, der reise nach Linum. Dort droht dem eindrucksvollen Kriegerdenkmal, das die Dorfbewohner ihren im Ersten Weltkrieg gefallenen Söhnen, Brüdern und Vätern erbaut haben, ein klägliches Ende als Schutthaufen. Als endlich ein Bürger, der von dem Schicksal des Mahnmals aus der JUNGEN FREIHEIT erfahren hat, anfragt, ob er mit einer Spende zum Erhalt des Bauwerks beitragen könne, fällt der Bürgermeisterin nichts besseres ein, als nach der politischen Motivation für das edle Angebot zu fragen.

Dieser Vorfall zeigt, daß es nicht nur keine Selbstverständlichkeit mehr ist, sich in Deutschland für das Andenken der Gefallenen einzusetzen - wer sich für diesen Zweck engagiert, macht sich im höchsten Grade politisch verdächtig. Der Dorfbürgermeisterin kann daher keine böse Absicht unterstellt werden. Ihre Reaktion dient dem Selbstschutz. Selbst in der überschaubaren Welt eines Dorfes ist es mittlerweile höchst gefährlich, sich auf dem verminten Terrain der Geschichtspolitik zu bewegen. Bloß nichts falsch machen. Lieber zweimal nachfragen - auch bei Spendern. Die Dorfgemeinschaft hat schon vor dem "Spendenskandal" ihr möglichstes getan, um alle Vorwürfe abzuwehren und sich Absolution für die gewünschte Sanierung des Denkmals zu holen: An dem Ehrenmal wird eine Tafel angebracht, die an alle Opfer von Krieg und Gewalt erinnern soll. Früher nannte man so etwas Ablaßhandel.


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