© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/53 04 17./24. Dezember 2004

Abgehängt
Streit um General verzögert den EU-Beitritt Kroatiens
Carl Gustaf Ströhm jun.

Am 17. Dezember wollen die 25 EU-Staats- und Regierungschefs Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beschließen - solche mit Kroatien sollen hingegen erneut vertagt werden. Hindernis ist nicht etwa wirtschaftliches Chaos, Wahlfälschung oder fehlende Rechtsstaatlichkeit. Auch der Streit mit Slowenien um die Piraner Bucht scheint einer bilateralen Lösung nahe. Nein, das Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag macht Druck.

Chefanklägerin Carla del Ponte fordert seit 2001 die Auslieferung des kroatischen Generals Ante Gotovina - er sei schon mehrmals in Kroatien gesehen worden und unbehelligt geblieben. Falls nichts geschehe, müsse man die EU-Verhandlungen weiter verzögern, heißt es aus Brüssel. Premier Ivo Sanader versicherte hingegen mehrfach, daß Kroatien "voll und ganz mit dem Tribunal zusammenarbeitet".

Gotovina wird vorgeworfen, als oberster Kommandeur an Massakern an Serben während des Unabhängigkeitskriegs beteiligt gewesen zu sein. Für viele Kroaten ist der 49jährige Ex-Fremdenlegionär jedoch ein Held, der zwischen 1992 und 1996 den Militärdistrikt Split befehligte und mit der Operation Sturm (Oluja) die Krajina befreite. Eine Zusammenarbeit mit Den Haag wird als Verrat betrachtet. Die Geschichte des kroatischen Volkes war schon immer tragisch. Im elften Jahrhundert verlor Kroatien seine Selbständigkeit - für fast 900 Jahre mußten die Kroaten unter fremder Flagge kämpfen. Und obwohl Kroatien seit 1991 eine souveräne Republik ist, spricht der Westen noch immer in der Sprache Jugoslawiens. Der Krieg, der von 1991 bis 1998 in Kroatien wütete, wird "Bürgerkrieg" genannt, und Marschall Tito, der Tausende Kroaten hat hinrichten lassen, gilt als "gutmütiger Diktator", der Ordnung in den "Vielvölkersaustall" gebracht habe.

Doch die Kroaten wollen kein postkommunistischer Balkanstaat mehr sein, sondern wieder ein Teil Mitteleuropas wie zu Zeiten der k.u.k-Monarchie - und das geht nur als EU-Mitglied. Während sich Slowenien zumindest nicht mehr querlegt, engagiert sich Österreich hinter den Kulissen sogar aktiv für den EU-Beitritt Kroatiens - aber nicht nur, weil die Alpenrepublik sehr viel Geld in die Wirtschaft der Adriarepublik investiert hat. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) will den EU-Beitritt sogar möglichst zusammen mit Rumänien und Bulgarien 2007 oder 2008 durchsetzen. Wien gilt, wie auch 1991/92 bei der Anerkennung der Unabhängigkeit, als ein Schirmherr für den Beitritt Kroatiens.

Obwohl man es in Kroatien kaum erwarten kann, endlich Vollmitglied der EU zu werden, besteht dennoch eine gewisse Besorgnis im Land. Bis 1998 war man fest überzeugt, daß, wenn der Westen einmal auf kroatischer Seite kämpft, man nicht nur strategisch, sondern auch außenpolitisch im Vorteil sei. Daß der 1999 verstorbene Präsident Franjo Tudjman das Daytoner Abkommen unterzeichnete und somit auch die Einwilligung zur Auslieferung von Kriegsverbrechern gab, rettete Kroatien 1995.

Doch das Abkommen schadete jenen Männern, die mit Schrotflinten und verrosteten Geschützen jahrelang tapfer gegen eine Übermacht kämpften, um endlich den Traum nach Selbständigkeit zu verwirklichen. Heute kommt es vielen Kroaten so vor, als hätten sie ihren Traum, für den sie Jahrhunderte lang gekämpft und geblutet haben, endgültig an den Westen verkauft.


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