© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/53 04 17./24. Dezember 2004

Zeitschriftenkritik: Zeitzeichen
Entheiligte Räume
Werner Olles

Als Nachfolgerin von Evangelische Kommentare, Die Zeichen der Zeit/Lutherische Monatshefte und Reformierte Kirchenbewegung erscheinen die Zeitzeichen - Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft monatlich im 5. Jahrgang. Der Herausgeberkreis ist mit dem Ratsvorsitzenden der EKD Wolfgang Huber, dem Theologen Eberhard Jüngel, der Bischöfin Margot Käßmann, dem Altpräses der Rheinischen Kirche Manfred Kock, Ex-Bundespräsident Johannes Rau und der grünen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer recht prominent besetzt. So erstaunt es, daß bei der bekannten politischen Ausrichtung der meisten Herausgeber dennoch hier immer wieder Beiträge zu finden sind, die das Lesen lohnen.

Der Psychosomatiker Hans-Joachim Maaz etwa entwickelt ein "Psychogramm des vereinten und doch getrennten Deutschlands", indem er fünfzehn Jahre nach der Wende die besondere psychosoziale Situation der Menschen in Mitteldeutschland untersucht. Maaz beschreibt am Beispiel der sich aus Ernüchterung, Enttäuschung und berechtigter Zukunftsangst speisenden sogenannten Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV die Mechanismen der Marktwirtschaft und kommt dabei zu dem Schluß: "Den Kapitalismus in seinem Lauf halten weder Regierung noch Gewerkschaft auf." Zwar sei das gewiß eine "bittere Anspielung" auf Honeckers berühmt-berüchtigten Ausspruch, doch seit Erich Fromm wisse man zumindest, daß "der Kapitalismus so lange gnadenlos konkurrieren, vernichten und ungerechte Wirkungen erzwingen wird, wie wir statt Liebe Geld verlangen".

Weniger psychoanalytisch, dafür etwas bodennäher befaßt sich Jürgen Wandel mit den unterschiedlichen Werten und der Geographie, die die Türkei von Europa trennen. Gewiß könnten sich Völker, ihre Werte und Mentalitäten ändern, daß jedoch der weitab von Europa in teilweise archaischen Verhältnissen lebende Großteil der siebzig Millionen Türken auf absehbare Zeit europäische Werte übernimmt, hält der Autor für "unwahrscheinlich". Als Vorbild nennt er die Integrationsbereitschaft italienischer, spanischer und griechischer Gastarbeiter im Gegensatz zum mangelnden Integrationswillen türkischer Einwanderer.

Der wichtigste Grund für die Unbehaustheit des heutigen Menschen bestehe darin, daß er den Sinn für heilige Räume verloren habe. Im Schwerpunktthema "Heilige Räume, profane Räume" beschäftigen sich gleich mehrere Autoren mit der Frage, ob Räume über mögliche symbolische Bedeutungen hinaus so etwas wie eine Aura aufweisen können, und ob es für den aufgeklärten Menschen überhaupt heilige Orte und Räume geben darf. Der scheinbar unaufhaltsame Modernisierungs- und Entzauberungsprozeß habe eine "fast vollständig entheiligte Welt" geschaffen, die "zum bloßen Bestand menschlicher Verwertungsmethoden" geworden sei. Unter dem Einfluß der "weitgehend mathematisierten Naturwissenschaften" bleibe kein Raum für die Anerkennung heiliger Zonen, der Hunger nach Transzendenz werde nicht mehr gestillt.

Anschrift: Kreuz Verlag. Liebknechtstr. 33, 70565 Stuttgart. Einzelhaft 6,40 Euro, Jahresabo 58,20 Euro.


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