© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/53 04 17./24. Dezember 2004

Meldungen

Europäische Union: Mut zum Imperialismus

BERLIN. Obwohl das Selbstverständnis des (noch) bevölkerungsreichsten EU-Mitglieds ausgesprochen "antiimperialistisch" sei, müsse sich auch die Schröder/Fischer-Regierung gefallen lassen, daß die EU an ihrer Peripherie als "imperialer Akteur" wahrgenommen werde. Allein die "Insistenz auf Einhaltung von Menschenrechten" und die Dauerforderung nach "schrittweiser Demokratisierung angrenzender Länder" sowie die "wirtschaftliche Durchdringung dieser Räume" - dies seien "klassische Formen, in denen sich Imperien zu ihrer Umgebung verhalten". Deshalb, so argumentiert der Berliner Politologe Herfried Münkler, sei es nur konsequent, mit dem "Versteckspiel" in Sachen "christliche Identität Europas" aufzuhören und aus "geopolitischen Gründen" die Türkei in die EU aufzunehmen. Andernfalls riskiere man die Abwendung Ankaras, das dann in Versuchung gerate, sich zum "Hegemon des politischen Islam" aufzuschwingen, mit einer folgenreichen "Destabilisierung der Region" ("Flüchtlingsströme"). Im gleichen Heft der Blätter für deutsche und internationale Politik (Heft 12/04), das Münklers weltpolitisches Schreckensszenario bringt, gibt Egon Bahr eine ruhigere Lageeinschätzung. Kühl stellt Bahr zunächst fest: "Je mehr die EU sich als Wirtschaftsgemeinschaft vergrößert, um so unangetasteter bleibt die amerikanische Dominanz in der Sicherheits- und Außenpolitik." Mit der Ausweitung der EU werde sich also ihre außenpolitische Entscheidungsfähigkeit verringern, was im US-Interesse liege. Nicht "einmal ansatzweise" sei zudem behandelt worden, was es bedeute, wenn die Türkei als EU-Mitglied sich zum "Wortführer" für die Politik gegenüber der "brisanten Region" im Vorderen Orient aufschwinge.

 

Wiederentdeckung Wilhelm Lehmanns

ECKERNFÖRDE. Um Thomas Mann zu persiflieren: Es muß nicht immer Travemünde sein, Eckernförde tut es auch. Ostseebad ist schließlich Ostseebad, wenn auch das schleswigsche Eckernförde letztlich nicht via "Buddenbrooks" in die Weltliteratur eingegangen ist. Aber immerhin: Mit dem Erzähler, Essayisten und Naturlyriker Wilhelm Lehmann (1882 -1968), der über vier Jahrzehnte dort die "geistige Welt" repräsentierte, gehört man da oben in der Rangliste literarhistorischer "Denkorte" zweifelsohne zur ersten Liga. Nur war man sich dessen lange nicht bewußt, zumal nach Lehmanns Tod die traditionelle Trägerschaft regionaler Kultur - "Pastor, Lehrer, Apotheker" - vom Buch auf das Surfbrett umgestiegen ist. Seit dem 16. September 2004 aber scheint sich hier ein "Kulturbruch" in die richtige Richtung anzudeuten. An diesem Tag wurde die Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft ins Vereinsregister eingetragen. Ende November fand die erste Mitgliederversammlung statt. Man beriet das Programm der für Oktober 2005 geplanten Festtage zu Ehren Lehmanns, die mit wissenschaftlicher (Uwe Pörksen, Heinrich Detering) und literarischer Prominenz (Ludwig Harig, Jochen Mißfeldt) aufwarten kann. Bis dahin ist der letzte Band der bei Klett-Cotta seit 1982 publizierten Lehmann-Gesamtausgabe in der Hand seiner Verehrer, eine CD mit den Rezitationen und Nachrichten aus seiner "Werkstatt" ist in Vorbereitung.


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