© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/05 07. Januar 2005

Der unerwartete Milliardenregen aus Moskau
Rußland: Kräftig sprudelnde Erdöleinnahmen und Wirtschaftswachstum ermöglichen vorzeitige Schuldenrückzahlung
Wolfgang Seiffert

Im Schloß Gottorf bei Schleswig machte der russische Präsident Wladimir Putin dem Bundeskanzler am 20. Dezember ein "Weihnachtsgeschenk": Rußland wolle im Jahr 2005 mit der vorzeitigen Rückzahlung seiner Altschulden an den Pariser Club - darunter an den größten Gläubiger, nämlich Deutschland - beginnen. Die Altschulden Rußlands beliefen sich Anfang 2004 noch auf 20 Milliarden Dollar; die Rückzahlung im Jahr 2005 an Deutschland könnte zwischen drei und fünf Milliarden betragen. Wahrlich eine willkommene Entscheidung für den chronisch defizitären deutschen Bundeshaushalt.

Doch wollte der Bundesfinanzminister nicht erst vor kurzem die russischen Schulden am Kapitalmarkt verkaufen und so Gewinne für den deutschen Bundeshaushalt erzielen? In der Tat konnte Hans Eichel einen Teil der Schulden verkaufen und einen Erlös von fünf Milliarden Euro erzielen. Nun aber kam ihm Rußland mit der Ankündigung, seine Altschulden gegenüber dem Pariser Club vorzeitig zurückzuzahlen, zuvor. Und Putin vergaß nicht hinzuzufügen, man erhoffe sich für die vorzeitige Rückzahlung einen "Rabatt". Der russische Finanzminister Alexej Kudrin wurde deutlicher: Für die vorzeitige Tilgung im Jahr 2005 erwartet Rußland einen kräftigen Nachlaß. "Sonst kommt das Geschäft nicht zustande", so Kudrin.

In der Tat ist die vorzeitige Rückzahlung günstiger als der Verkauf und sicherer dazu - wenn auch das Risiko bei den Banken liegt, die bei dem Verkauf als Konsortialführer auftreten (die Deutsche Bank und die US-Investmentbank Goldman Sachs).

So zeigte sich denn Gerhard Schröder auch hocherfreut, und freundlich war auch das Echo in den deutschen Medien, wenn auch die Einzelheiten erst noch im Pariser Club ausgehandelt werden müssen. Da aber liegt wie immer der Teufel im Detail. Zudem sind die Beamten des deutschen Finanzministeriums stets besonders pingelig - und wenn es um Rußland geht, sowieso. Es sei denn, der Kanzler engagiert sich in der Frage selbst.

Denn von allen Offerten, die Putin bei seinem jüngsten Deutschlandbesuch machte, waren die Schuldenrückzahlung und der Kauf von deutschen ICE-Triebzügen die ertragreichsten. Alles andere - die Bereitschaft, mit Deutschland und der EU bei der Lösung des Tschetschenien-Problems zusammenzuarbeiten und die Wahl von Viktor Juschtschenko zum Präsidenten der Ukraine voll hinzunehmen - sind Versprechungen, deren Realisierung noch aussteht.

Deutsche ICE-Züge für die russische Staatsbahn

Fragen muß man sich aber auch, warum Rußland heute anders als noch vor wenigen Jahren nicht nur zur pünktlichen, sondern auch zur vorzeitigen Rückzahlung seiner Auslandsschulden bereit und in der Lage ist. Hintergrund ist der unbestreitbare Umstand, daß - laut der Rating-Agentur Moody Investor Service - die russische Volkswirtschaft schon 2003 das fünfte Jahr in Folge gewachsen ist: und zwar bis zu sieben Prozent des Bruttosozialproduktes jährlich.

"Rußland hat die günstige Lage genutzt, die durch den höheren Ölpreis und die Rubelabwertung nach 1998 zustande kam, um die Fremdwährungsschulden abzubauen und Devisenreserven aufzubauen" (Moody). Zwar sind diese Wertungen unter den Analysten umstritten. Doch zweierlei steht fest: Die Gold-und Währungsreserven Rußlands betrugen nach amtlichen Angaben am 15. Oktober 2004 100,1 Milliarden US-Dollar, und die Auslandsschulden Rußlands gegenüber dem Pariser Club gingen in dem gleichen Zeitraum von 153,5 Milliarden auf 45,8 Milliarden US-Dollar zurück. Und sie werden mit der vorgesehenen vorzeitigen Rückzahlung 2005 weiter sinken.

Der Abbau der Auslandsschulden geht nicht zuletzt auf das ständige Drängen des russischen Präsidenten zurück, der weiß, daß hohe Auslandsschulden den außenpolitischen Handlungsspielraum seines Landes empfindlich einschränken können. Für Analysten wie Stanislaw Kletschew von der Investmentgemeinschaft Financial Bridge ist allerdings der einzige Grund, weshalb die russische Zentralbank die Reserven anhäuft, ihre Befürchtung, sonst würde der Kurs des Rubel weiter ansteigen und die Konkurrenzfähigkeit russischer Warenproduzenten beeinträchtigen.

In dem günstigen Bild der russischen Wirtschaft gibt es allerdings noch andere negative Faktoren, die hier nur am Rande erwähnt werden können: Die russischen Verbraucherpreise steigen wieder an, die Inflationsrate erhöhte sich, und es hält sich nachhaltig das Gerücht, die Gewinne aus den Erdöleinnahmen würden zwar in den sogenannten "Stabilisierungsfonds" fließen, dessen Werte aber seien auf dem US-Markt angelegt. Weiß da die eine Hand nicht, was die andere tut? Das erinnert daran, daß unter dem Finanzminister (später Premier) Michail Kassjanow alle Devisenreserven in einer Bank auf den britischen Kanalinseln deponiert waren. Damals erregte dies große Aufregung, und Kassjanow mußte - aus vielen Gründen - als Ministerpräsident gehen. Heute wird dem russischen Präsidenten regelmäßig vorgeworfen, er bekämpfe die "Oligarchen" (beispielsweise Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowski, JF 46/03). Doch von solchem Einzelfall abgesehen, läßt Putin offenbar die sogenannten Reformer in der Wirtschaft weiter schalten und walten, wie sie wollen.

Neue staatliche Strukturen in Industriebereichen

Möglicherweise sieht er den Ausweg darin, neue staatliche industrielle Strukturen zu schaffen - beispielsweise den Kauf des Yukos-Ölförderers Juganskneftegas durch die staatliche Rosneft im vergangenen Jahr. Das allein aber wird nicht ausreichen, um eine Wirtschaftspolitik mit Perspektive für Rußland zu etablieren. Sie könnte nur darin bestehen, viele Eigentumsformen miteinander in Wettbewerb treten zulassen und das finanziell völlig vernachlässigte wissenschaftliche Potential des Landes nachhaltig zu fördern.

Die deutsche Industrie - zumindest jene, die sich auf dem russischen Markt engagiert - hat viel dazu beigetragen, daß sich die deutsch-russischen Beziehungen positiv entwickelt haben. Sie wäre gut beraten, wenn sie nicht nur ihre eigenen Konkurrenzinteressen wahrt, sondern der russischen Wirtschaft dabei hilft, zu begreifen, daß auch ihre Zukunft in der Innovation liegt. Internationale Arbeitsteilung und Innovation sind die Schlüssel zum Erfolg - der deutschen wie der russischen Wirtschaft.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel und lehrt jetzt am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Er verfaßte das Buch "Wladimir W. Putin - Wiedergeburt einer Weltmacht?"


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