© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/05 07. Januar 2005

Ein Schweinchen namens Joschka
Selbstmord auf Raten: Von der Grünen Partei, die sich vor 25 Jahren gründete, ist wenig übriggeblieben
Rolf Stolz

Die Grünen, denen bei ihrer Gründung am 12./13. Januar 1980 in Karlsruhe von den meisten Kommentatoren ein baldiges Ende vorausgesagt wurde, haben nicht nur überlebt, sondern sich als Regierungspartei in Bund und Ländern auch fest etabliert im deutschen Parteienbetrieb. Auf allen Ebenen haben sie ihre Klientel mit Amts- und Funktionärsposten trefflich versorgt. Und mit Joseph Fischer haben sie einen Oberkellner, der mit großem Geschick dem Volk das als neueste Reformküche kredenzt, was andere aus den Restbeständen der SPD-Konkursmasse angerichtet haben.

Dabei hat es einmal ganz anders begonnen. Wenn man die Differenz zwischen Einst und Jetzt betrachtet, so haben wir es mit zwei verschiedenen Parteien, zwei verschiedenen Welten zu tun. Die heutige Partei hat außer einigen ideologischen Worthülsen-Versatzstücken und einigen Aushängeschild-Mitgliedern, die von Anfang an dabei waren, mit den Grünen des Jahres 1980 soviel gemeinsam wie ein toter Hund mit dem Welpen, der er einmal war. Die Vor-Grünen der Vorbereitungsphase 1976 bis 1979 zeichnete eine ungeheure Vielfalt und Widersprüchlichkeit aus; die heutigen Grünen sind stromlinienförmig und sterbenslangweilig.

Die frühen Grünen wollten eine andere Ordnung

Die frühen Grünen kamen aus allen politisch-weltanschaulichen Himmelsrichtungen zusammen: einige, um hier nur die Extreme zu kennzeichnen, aus dem RAF-Umfeld, andere aus der NPD. Trotz dieser explosiven Mischung wuchs die Partei, und zwar, wie Rudolf Bahro es zu Recht kennzeichnete, ähnlich wie die NSDAP in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren, als breiter (und allzuoft auch unklarer bis trüber) Strom, der aus verschiedensten Segmenten der Gesellschaft seine Anhänger gewann. Diejenigen, die Bahro wegen dieses Vergleichs, der nicht im mindesten eine Gleichsetzung der Inhalte und Ziele bedeutete, attackierten, hatten nicht begriffen und wollten nicht begreifen, daß es in der Politik häufig nur die Wahl zwischen reinlichem Verkümmern und schmutzigem Wachstum gibt.

Seit die Grünen sich programmatisch verengt haben auf dogmatisch verfochtene Idiotien wie die "multikulturelle Gesellschaft", tröpfeln nicht allein die Neuzugänge, sondern es handelt sich bei diesen überwiegend entweder um Karrieristen oder um arme Tröpfe, die all das glauben, was auf Hochglanzpapier parteioffiziell gedruckt wird.

Die Grünen jener Anfangszeit, als auf den ersten Höhepunkt der Europawahlen 1979 (aus dem Stand 3,2 Prozent für die "Sonstige Politische Vereinigung Die Grünen") die Schlappe der Bundestagswahl 1980 folgte, als man mit 1,5 Prozent deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, mobilisierten in größtem Umfang die Einsatz- und Opferbereitschaft von Menschen, die keine Pfründen und Pensionsansprüche anstrebten, sondern eine andere und bessere Ordnung der Dinge wollten.

Wo heute einerseits Apathie und andererseits das Gieren nach Zubrot und beruflicher Versorgung das Bild der Parteimitgliedschaft prägen, waren damals die meisten Mitglieder der Grünen bereit, neben dem üblichen Hohn über "Utopisten und Wirrköpfe" persönliche Nachteile und die Mühe ehrenamtlicher Arbeit für eine in vielem chaotische Anti-Partei in Kauf zu nehmen. Seit die Grünen eine Partei wie die anderen auch geworden sind, seit sie sich bemühen, jene strukturelle Korruptheit und jene Eleganz im Verschaukeln und Verraten der eigenen Anhänger zu erreichen, für deren Ausbildung die SPD fast anderthalb Jahrhunderte benötigte, bringen nur noch einzelne unverbesserliche Gutgläubige mehr in die Partei ein als ihre Rede- und Mitgliedsbeiträge.

Es mag schwierig sein und sogar an die Quadratur des Kreises grenzen, in einer arbeitsteiligen kapitalistisch-postindustriellen Gesellschaft basisdemokratische Modelle in der Politik jenseits des Sandkastens einzelner Ortsvereine umzusetzen. Und dennoch bezeichnete die Forderung nach Basisdemokratie mehr als einen hübschen Traum. Sie bedeutete eine Zielvorstellung, ein Leitgestirn, unerreichbar wie die Sterne, aber unersetzbar als Orientierung auf dem Weg vorwärts.

Seit - wenn überhaupt - nur noch querrotiert wird aus einem Amt ins nächste und übernächste, seit sich eine Kaste geradezu mafiös nach außen und unten abgeschotteter Funktionsträger herausgebildet hat, die sich alle Posten zuschiebt und politische Positionen wie "Realpolitik" allenfalls noch als Duftmarken im internen Schacher benutzt, ist wie in den schon länger etablierten Parteien der Einfluß der Parteimitgliedschaft reduziert auf Akklamation und symbolische Aktionen.

Die Ökologie war für die Grünen am Anfang ihres Weges etwas grundlegend anderes als ein bißchen Umweltschutz, Müslikost und Energiesparen. Es war eine umfassende Philosophie, ein radikal anderer Ansatz (nicht von den allzuleicht manipulierbaren materiellen Bedürfnissen des Menschen her, sondern von den Gesetzmäßigkeiten der Natur, vom Gedanken des Lebensschutzes und der Zukunftssicherung her), der hier verfochten wurde - von großen, unbequemen Geistern wie Herbert Gruhl und Rudolf Bahro und nicht von denen, die wie Fischer und Trittin jenseits rhetorischer Tricks und effektheischender Demagogie zeitlebens nicht einen einzigen neuen und eigenen Gedanken von sich gegeben haben.

Die Grünen waren anfangs bei allem Übergewicht kleinbürgerlich-mittelständischer Kräfte unter ihren Anhängern keine volksfeindliche und antisoziale Partei. Sie standen bis 1984, bis sich die Kamarilla um den Stasi-Agenten Dirk Schneider (zeitweise Vertreter der Grünen im Innerdeutschen Ausschuß) durchsetzte, glaubwürdig für eine Politik der Distanz zum amerikanischen Imperialismus und ebenso zum sowjetischen Spätstalinismus, für eine Politik der Überwindung der Spaltung Europas und Deutschlands, wie dies explizit im "Saarbrücker Programm" der Partei vom März 1980 formuliert ist.

Ein kleineres Übel ist auch ein Übel

In den folgenden Jahren prägten zunächst Halb- und Kryptostalinisten wie Jürgen Reents (heute PDS) oder Thomas Ebermann die Politik der Partei, assistiert von rabiat antideutschen Beton-Fundamentalisten wie Jutta Ditfurth, bis diese Übergangserscheinungen Ende der achtziger Jahre denen Platz machten, die wie Joschka Fischer als linker Tiger starteten und als Bettvorleger US-amerikanischer Außenminister endeten. Bei aller verbalen Distanz zu den Exzessen amerikanischer Globalpolitik haben die Fischer, Roth und Co. den Herren von Wall Street und Pentagon stets eisern die Nibelungentreue gehalten.

Da eine solche Politik erstens erfordert, Geld aus dem Volk herauszuholen für die Kriege der Führungsmacht, zweitens geschröpft werden muß, um als Satellit der USA aus der zweiten Reihe machtvoll zu glänzen, man drittens auch noch den heimischen Wirtschaftsführern mit Subventionssteigerung und Sozialabbau zu Diensten sein will und man viertens ja selbst auch noch leben will, und das nicht allzu schlecht, kommt am Ende jene rosarot-giftgrüne Regierungspolitik heraus, die von der Gesundheitsreform bis zu Hartz IV das einfache Volk auspreßt bis zum Gehtnichtmehr. Die Begleitmusik zu dieser (A)Sozialpolitik liefern dann die billigen Reden davon, das sei alles nur eine unvermeidliche Folge der Globalisierung und irgendwann würden sich die blühenden Landschaften schon zeigen.

Die Grünen waren, man glaubt es kaum, einmal eine Partei, die die Gewaltlosigkeit auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Sie sind zumindest an ihrer Spitze eine Partei der nackten Militärgewalt geworden, die wie im Fall des Kosovo einen Einmarsch unter Bruch des Völkerrechts aktiv befürwortet und gleichzeitig den vom albanischen Mob verfolgten Serben und Roma die Hilfe der dort stationierten Bundeswehrverbände faktisch verweigert. Inzwischen sind die Grünen die Partei in Deutschland, die am radikalsten Islamisten wie Recep Tayyip Erdogan hofiert und der ultrachauvinistischen Folter-Demokratur Türkei die Waffen liefern läßt, um die Kurden im eigenen Land zu unterdrücken, die Kurden in den Nachbarländern zu bedrohen und Nordzypern ad infinitum besetzt zu halten.

Trotzdem mögen die Grünen vielen noch immer als kleineres Übel erscheinen, wenn man sie mit den Konkurrenzangeboten vergleicht. Aber auch ein kleineres Übel ist ein Übel. Virusgrippe ist zweifelsohne angenehmer als Pest und Cholera - eine Wohltat ist sie deshalb noch nicht.

Entweder die Grünen werden wieder die Partei, die sie einmal waren, als Herbert Gruhl und August Haußleiter, Petra Kelly und Gert Bastian für ihren Kurs und ihre Identität standen (nach Lage der Dinge ist eine solche Reformation, eine solche Rückkehr zu den Quellen allerdings mehr als unwahrscheinlich!), oder es geht weiter vorwärts in Richtung Abgrund - unter der Führung jenes Obergrünen, den Petra Kelly nur deshalb im persönlichen Gespräch mit der Verkleinerungsform als "Schweinchen" titulierte, weil sie Menschen nicht mit Schweinen gleichsetzen wollte.

 

Rolf Stolz war Gründungsmitglied der Grünen. Heute lebt er als Publizist in Köln.


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