© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/05 07. Januar 2005

CD: Country
Läuterung
Michael Insel

Bluegrass klingt nach Präriewind und jedenfalls nicht nach rußiger Großstadt. Daß ausgerechnet in London eine lebhafte Szene dem "Folk auf Hochtouren" huldigt, ist dennoch weniger kurios, als es scheinen mag. Entstanden ist diese Musikrichtung in North Carolina, Kentucky und den Appalachen, wo die frühen britischen Siedler sich eine neue Heimat schufen. Aus der alten brachten sie ihr traditionelles Liedgut mit: Balladen, die zu Fiedel und Mandoline gesungen wurden. Als im 20. Jahrhundert das Banjo hinzukam, war der unverwechselbar wehmütige Klang des Bluegrass geboren. Welch großer Beliebtheit sich die Hillbilly-Musik in den USA zu erfreuen begann, bewies 1945 der Auftritt von Bill Munroe and the Bluegrass Boys in der Grand Ole Opry, dem legendären Tempel der Country&Western-Musik in Nashville, Tennessee. Längst haben Bluegrass-Bands wie Earl Scruggs, The Stanley Brothers oder The Dillards ein weltweites Publikum.

Nun schließt sich sozusagen der Kreis, und Bluegrass kehrt zu seinen Wurzeln zurück. Frontmann Sid Griffin, der ursprünglich aus Louisville, Kentucky, stammt, schlägt sich als Produzent, Musiker und Musikkritiker in der britischen Hauptstadt durch, seit er dort in den achtziger Jahren mit seiner damaligen Band The Long Ryders unverhoffte Erfolge feiern konnte. Heute gelten The Long Ryders als Gründerväter der Alternative Americana-Szene und Griffins neue Band The Coal Porters als Hoffnungsträger des Bluegrass. Zwar wollten sie eigentlich Country-Rocker werden - nicht umsonst ist Griffin auch an einem musikalischen Projekt namens Western Electric beteiligt - und spielten auch zwei recht hochgelobte Alben ein, "Land of Hope and Crosby" und "Los London" (1995). Erst als Griffin zum Dank dafür, daß er ihre Platte "Here Comes the Neighbourhood" produziert hatte, von der englischen Folkrock-Combo Lindisfarne eine Mandoline geschenkt bekam, entdeckte er seine Liebe zur Akustik. Mit dem poetisch betitelten "How Dark This Earth Will Shine" (Prima) hat die Band ihre vor fünf Jahren erfolgte Bekehrung nun erstmals auch im Studio auf Vinyl gepreßt.

Um es vorwegzunehmen: The Coal Porters können nur besser werden, wie allemal ihre Live-Auftritte zeigen. Die Glanzlichter der aktuellen Platte, Bob Dylans "Idiot Wind", "Teenage Kicks" von den Undertones und Guy Clarks "New Cut Road", als Cover-Versionen zu bezeichnen, wird ihnen allerdings kaum gerecht. Eher schon sind es Neuarrangements, Umdeutungen der Originale. "Idiot Wind", eine der schwächeren Nummern auf des Meisters Meisterwerk "Blood on the Tracks", wird hier Note für Note liebevoll von den Gitarrensaiten gepflückt und mit wunderbaren Harmonien versehen. Den Punk-Klassiker "Teenage Kicks" - Lieblingslied des kürzlich verstorbenen, schmerzlich vermißten Radiomoderators und Musikgurus John Peel - bereiten die Coal Porters so einfallsreich und überraschend auf, daß man ihn kaum wiedererkennt. "New Cut Road", das ein anderer schmerzlich vermißter Großer der zeitgenössischen Musikgeschichte, nämlich Johnny Cash bereits vor zwanzig Jahren aufnahm, setzt zum Abschluß des Albums noch einmal einen Höhepunkt.

Das selbstgeschriebene Material, das die Coal Porters auf "How Dark This Earth Will Shine" präsentieren, nimmt sich dagegen eher durchwachsen aus. Dabei fängt mit "Fair Play, Virginia" und "Yonder Over Canaan" - Eigenkompositionen, die doch dem Geist des Bluegrass treu bleiben - alles so gut an: Ein armer arbeitsloser Tropf macht sich in seinem schrottreifen V8-Ford auf den Weg zur Geliebten. Dazu wird gefiedelt, was das Zeug hält, und sowieso ist die Bergwelt noch in Ordnung. 


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