© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/05 14. Januar 2005

Die Angst vor dem Merkel-Malus
Union: CSU rückt auf der Klausurtagung in Kreuth von der CDU-Vorsitzenden ab / Bundestagsabgeordnete fürchten um ihre Mandate
Paul Rosen

Seit 1976, als die CSU-Bundestagsabgeordneten im idyllischen Wildbad Kreuth in Klausur gingen und die Trennung vom CDU-Teil der gemeinsamen Bundestagsfraktion beschlossen, sitzt der "Mythos Kreuth" der CDU-Spitze als lästiges Ärgernis im Nacken. So auch diesmal. Kurz vor der 29. Klausurtagung attestierte CSU-Landesgruppenchef Michael Glos seiner Fraktionsvorsitzenden Angela Merkel mangelnde Teamfähigkeit. Der Vorwurf traf. Die zwei Glos-Worte zeigten das ganze Dilemma der CDU auf.

Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, hat Glos mit der Kreuther Klausur eine Kehrtwendung vollzogen. Bisher hatte sich der fränkische Müllermeister stark auf seine Scharnierfunktion in der gemeinsamen Bundestagsfraktion mit der CDU besonnen. Glos hatte in den vergangenen Monaten stets von "Präferenzen" für eine Kanzlerkandidatur von Frau Merkel gesprochen. Das scheint vorbei zu sein. Damit ist das Rennen um die Kanzlerkandidatur 2006 wieder als offen zu bezeichnen, auch wenn der designierte CDU-Generalsekretär Volker Kauder für seine Partei das "Erstaussagerecht" für die Kanzlerkandidatur, das heißt ein Votum für Merkel, reklamiert.

Das wichtigste Ereignis der Kreuther Tagung war ein Lagevortrag von Renate Köcher, der Nachfolgerin von Elisabeth Noelle-Neumann im Institut für Demoskopie in Allensbach. Veröffentlicht wurden die Daten nicht, aber was von dem Vortrag durch die dicken Mauern des Tagungsgebäudes der Hanns-Seidel-Stiftung drang, muß vielen CSU-Abgeordneten die Sprache verschlagen haben. Das Ansehen von Kanzler Gerhard Schröder und seiner Regierung wachse, soll die Demoskopin festgestellt haben, und die Union sei innenpolitisch kaum noch wahrnehmbar, so wurde übermittelt. Mehrere Abgeordnete zeigten sich nicht überrascht. Was die Demoskopin ermittelt habe, sei auch ihr Eindruck aus der täglichen Wahlkreisarbeit, hieß es.

Die Schlüsse, die die CSU aus den Aussagen der Meinungsforscherin und der sich anschließenden Debatte zogen, ließen Parteichef Edmund Stoiber und Glos lieber hinter den Kreuther Mauern. Die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen scheinen nur noch mit viel Glück für CDU und FDP gewinnbar zu sein. Auch die Aussichten für die Bundestagswahl 2006 stehen schlecht, da die Union nur noch als zerstritten, die SPD hingegen als geschlossen wahrgenommen wird.

Stoiber hat viel zur Demontage beigetragen

In der Tat hatte Stoiber viel zur Demontage der CDU-Chefin beigetragen. Erst lästerte er im letzten Sommer über die "Leichtmatrosen" Merkel und Westerwelle, die gegen das Gespann Schröder und Fischer nicht ankommen würden. Dann brach er einen monatelangen Streit um die richtige Position bei der Krankenkassenfinanzierung vom Zaun, der mit dem Rücktritt des CSU-Sozialexperten Horst Seehofer und Krisensymptomen auf dem CSU-Parteitag endete. Der Düsseldorfer Parteitag brachte für Merkel nicht das erwartete Wiederwahlergebnis von über 90 Prozent, mit dem sie zur Kanzlerkandidatur schweben wollte.

In der Folgezeit riß die Politiker-Finanzierungsaffäre erst den Chef des Arbeitnehmerflügels, Hermann Josef Arentz, und dann, was bedeutsamer war, ihren Generalsekretär Laurenz Meyer aus dem Amt. Zuvor hatte sich bereits der Steuerexperte Friedrich Merz auch der CDU-Führung verabschiedet. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch: Von führenden CDU-Politikern wie Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff oder seinem hessischen Kollegen Roland Koch gab es keinen Versuch, die CSU-Kritik zurückzuweisen. Sie ließen Merkel im Regen stehen, was auch ein Schlaglicht auf die tatsächliche Beliebtheit der Chefin wirft.

Es ist nicht nur der "Geist von Kreuth", der die CSU auch im Jahr 2005 wieder gegen die "Nordlichter" der CDU zu Felde ziehen läßt, selbst wenn Stoiber das neue Jahr zum "Jahr der Geschlossenheit der Union" ausruft. Die CSU fürchtet, mit einer Kanzlerkandidatin Merkel im Herbst nächsten Jahres massive Einbußen zu erleiden. Die letzte Bundestagswahl mit Stoiber als Kanzlerkandidaten bescherte der CSU ein Traumergebnis von etwa 60 Prozent im Freistaat und 58 Sitzen im Bundestag, mehr als Grüne und FDP haben. Dieser Stoiber-Bonus dürfte sich kaum wiederholen lassen. Es dürfte eher ein Merkel-Malus eintreten. Die norddeutsche Pastorentochter ist im konservativen Süden der Republik kaum vermittelbar.

Alarmierende Nachrichten aus den Wahlkreisen

CSU-Abgeordnete zitieren Bürgeräußerungen aus ihren Wahlkreisen, daß man die CSU nicht wählen wolle, wenn Merkel Kanzlerkandidatin ist. Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Sollte die PDS im nächsten Bundestag wieder in Fraktionsstärke vertreten sein, würde sie etwa 45 Mandate von den anderen Fraktionen abziehen. Bei der CSU sieht es daher - alle Faktoren zusammengerechnet - nach einem Verlust von schätzungsweise bis zu 15 Mandaten aus. Dies sind die wahren Gründe, warum die CSU Merkel kippen und einen Besseren an der Spitze der CDU sehen will - Wulff zum Beispiel.


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