© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/05 14. Januar 2005

Einfach nur Künstler sein dürfen
Kulturförderung: In Ahrenshoop und Wiepersdorf stehen traditionsreiche Künstlerhäuser vor der Liquidation
Thorsten Hinz

Die internationalen Künstlerhäuser im brandenburgischen Wiepersdorf und im vorpommerschen Ahrenshoop stehen seit Jahreswechsel leer. Das Personal ist entlassen, alles weitere ist nun Sache des Liquidators. In Wiepersdorf geht es um das Schloß von Achim und Bettina von Arnim, das 1945 enteignet worden war. Die Familie von Arnim erreichte wenigstens, daß die Deutsche Dichterstiftung hier ein Schriftstellerheim einrichtete. Andernfalls wäre das Schloß wohl verfallen und irgendwann abgerissen worden. Autoren wie Anna Seghers und Arnold Zweig verbrachten hier ihren Arbeitsurlaub. Wiepersdorf war für jeden, der sich in der DDR für Kultur interessierte, ein Begriff. Nach der Wiedervereinigung verzichteten die Arnim-Erben auf ein Restitutionsverfahren, bestanden aber - im Sinne ihrer großen Vorfahren - darauf, das Schloß als Künstlerhaus zu erhalten.

Eine interessante Geschichte hat auch das Ahrenshooper Haus Lukas. Es war das erste Malerhaus im Ort, das 1892 von Paul Müller-Kempff, dem Kopf der hier versammelten Künstlergemeinde, erbaut wurde. Der Name leitete sich von St. Lukas her, dem Schutzheiligen der Maler. Zwei Jahre später wurde auf dem Grundstück ein Pensions- und Atelierhaus für Malschüler errichtet. Ahrenshoop war zu diesem Zeitpunkt eine Künstlerkolonie, vergleichbar mit Worpswede, wenn auch weniger berühmt. 1919 verkaufte Kempff das Haus an einen ortsansässigen Friseur, der es als Pension weiterführte. 1946 wurde der Pensionsbetrieb fortgesetzt, und wieder fanden sich Künstler ein. Der Schriftsteller und Kulturpolitiker Johannes R. Becher forcierte die Entwicklung Ahrenshoops zum sogenannten "Intelligenzbad" der DDR, wo es stets nobler und dezenter zuging als anderswo. Der Ort blieb von Massenhotels und Ferienheimen verschont, dafür traf man Schauspieler oder Schriftsteller, die sich hier Sommerhäuser erbaut hatten.

Haus Lukas wurde zum "Erholungsheim für Kulturschaffende", das - wie Schloß Wiepersdorf - vom Kulturfonds der DDR finanziert und getragen wurde. Der Fonds speiste sich aus den fünf Pfennig Kulturbeitrag, die auf jede Eintrittskarte für Theater, Kino und Museum erhoben wurde. Als Rechtsnachfolger wurde 1990 die Stiftung Kulturfonds gegründet, die für die Neuen Länder zuständig war. Ihr Kapital stammte aus dem Vermögen der Vorgängereinrichtung, hinzu kamen 184 Millionen Mark aus SED-Besitz. Die Stiftung übernahm die Häuser in Ahrenshoop und Wiepersdorf, die nun spartenübergreifend Kunststipendiaten aus Deutschland und dem Ausland zur Verfügung standen.

1997 kündigte Sachsen seine Fondsanteile, es folgten Sachsen-Anhalt und Thüringen. Inzwischen haben sie separate Landesstiftungen gegründet. Dieser Länderegoismus ist einerseits verständlich. Das Geld ist knapp, warum sollen die Anhaltiner, Sachsen und Thüringer da Häuser zum Ruhme Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns mitfinanzieren? Andererseits ist ein so verstandener Kulturföderalismus schematisch und unhistorisch. Die mitteldeutschen Länder haben nun mal eine gemeinsame DDR-Vergangenheit. In Wiepersdorf und Ahrenshoop sind schließlich auch Künstler aus dem Süden der DDR eingekehrt. Man wird kein Anhänger der SED-Kulturpolitik, wenn man feststellt, daß einiges, was in der DDR auf den Gebieten der Kunst und Kulturförderung geschah, positiv und erhaltenswert war und ist.

Gewiß, es gibt 60 Künstlerhäuser in Deutschland, doch Wiepersdorf war das älteste und wegen seiner Aura einzigartig. Brandenburg kann das Haus allein nicht finanzieren, auch die Akademie der Künste Berlin-Brandenburg hat bereits dankend abgewunken. Der Bund hatte jährlich 450.000 Euro zugesagt, doch benötigt wird das Doppelte. Hoffnungen hatten sich an die geplante Fusion der Kulturstiftungen des Bundes und der Länder geknüpft, die aber am Veto Bayerns scheiterte. Jetzt hofft man auf die Stiftung Denkmalsschutz, obwohl die kaum die passende Trägerinstitution ist. Die andere, schlechte Alternative ist der Verkauf des Schlosses an einen Privatinvestor.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat sich bereit erklärt, das Haus Lukas zu übernehmen und jährlich 150.000 Euro für den Unterhalt zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich um die Zinsen, die der Fondsanteil des Landes in Höhe von fünf Millionen Euro abwirft. Mit diesem Betrag hätte man zwar die anderthalb Arbeitsstellen im Haus, nicht aber die Künstlerstipendien finanzieren können. Der normale Etat des Hauses lag zwischen 190.000 und 210.000 Euro. Auch ein neuer Träger fehlt.

Die Landesregierung spricht vage von einem neuen "Gesamtkonzept", das erstellt werde müsse. Ursula Vogel, die gekündigte Leiterin, fürchtet ein undurchsichtiges Kompetenzgestrüpp, in dem der ursprüngliche Zweck von Haus Lukas verlorengeht. Falls das Geld an die Gemeinde oder den Landkreis Nordvorpommern geht und diese im künftigen Trägergremium Sitz und Stimme haben, dann ist angesichts des Banausentums in den Amtsstuben der mecklenburg-vorpommerschen Provinz Schlimmes zu befürchten.

In Ahrenshoop tobt seit Jahren eine Auseinandersetzung um den Bau eines überdimensionalen Hotel- und Wellness-Komplexes, der den Charakter des Ortes ein für allemal verändern würde. Umweltaktivisten, Künstler und Liebhaber des Ortes - viele kommen aus Westdeutschland - haben diese Verschandelung bisher verhindert, während die Lokalpolitiker - egal, aus welcher Partei - heillos überfordert sind. Man kann sich leicht vorstellen, welche Zukunft dem Haus Lukas blüht, wenn es erst der Gemeinde oder dem Kreis untersteht. "Dabei ist es eine Ehre für Ahrenshoop, wenn Künstler hier ohne touristische Hintergedanken ausschließlich an ihren Projekten arbeiten können, einfach nur Künstler sein dürfen", sagte Vogel im Lokalblatt.

Doch solcher Imagegewinn läßt sich nicht unmittelbar in Cent und Euro und auch nicht in Arbeitsplätze - ein ständiges und ständig unbewiesenes Totschlagargument - umrechnen. Vogel, die zuvor drei Jahre lang das Haus in Wiepersdorf geleitet hatte, hat nun auch in Ahrenshoop ihre Koffer gepackt und schreibt Bewerbungen. Es sind keine guten Zeiten für Kultureinrichtungen in Deutschland - weder in Ost noch in West.


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