© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/05 14. Januar 2005

Optiker mit Weitsicht
Forschung: Der vor hundert Jahren verstorbene Ernst Abbe verhalf der Stadt Jena zu ihrem Ruf als Wissenschaftsmetropole
Robert Backhaus

Jena feiert heute "seinen" Ernst Abbe, den am 14. Januar 1905 verstorbenen Optiker, Sozialpolitiker und Wissenschaftsförderer, der das geistige Klima der traditionsreichen Universitätsstadt geprägt hat wie kein zweiter. Der 1840 in Eisenach geborene Abbe erhielt 1870 einen Ruf an die Saale als Professor für Physik und Direktor der dortigen Sternwarte und verbündete sich mit Carl Zeiss, der in Jena eine optische Werkstatt unterhielt. Damit begann für Unternehmen wie Stadt ein beispielloser Aufstieg, der Jena in aller Welt berühmt machte und dem Deutschen Reich für viele Jahrzehnte einen uneinholbaren Vorsprung in der optischen Forschung und bei der Herstellung von Kameras und anderen optischen Geräten sicherte.

Abbes bahnbrechende Arbeiten über Mikroskope, Prismenfernrohre und fotografische Linsen wurden von den Zeiss-Werkstätten, deren Mitinhaber Abbe 1875 wurde, sofort in modernste feinmechanisch-optische Technik umgesetzt und revolutionierten die Branche von Grund auf. Nach dem Tod von Carl Zeiss (1891) verwandelte Abbe die Firma in die "Carl-Zeiss-Stiftung", deren Gewinn zum Teil an die Angestellten und Arbeiter verteilt wurde. Auch dies war eine revolutionäre Tat, deren segensreiche Auswirkungen erst durch die kommunistische Machtübernahme nach 1945 außer Kraft gesetzt wurden.

Der Universität Jena ließ Abbe in einem kontinuierlichen Strom materielle wie geistige Förderung zukommen. Er plädierte für eine enge Verbindung von Theorie und Praxis in möglichst vielen Fächern und setzte sich energisch für die Teilnahme von praxisnahen "Seiteneinsteigern" am akademischen Leben ein.

Die Berufung des Mathematikers und Logikers Gottlob Frege, des Erfinders des sogenannten Aussagekalküls, nach Jena war sein Werk, das er gegen akademischen Widerstand durchsetzte. Fortan wallfahrteten Zelebritäten wie Bertrand Russel, Rudolf Carnap und Ludwig Wittgenstein an die Saale, um sich von Frege in die Geheimnisse der neuzeitlichen mathematischen Logik einweihen zu lassen.

Ohne Abbe wäre Jena nicht das, was es heute ist: eine moderne Wissenschaftsmetropole, die an der Spitze kulturell-sozialer Reformen marschiert und den wechselnden Miseren der Zeit erfolgreich widersteht.


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