© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/05 14. Januar 2005

Quälerei von früh bis spät
Im Club der toten Unmenschen: Keine Analyse trübt Dennis Gansels "Napola - Elite für den Führer"
Ellen Kositza

Allen Vorschußlorbeeren zum Trotz: Dennis Gansels "Napola - Elite für den Führer", ebenso wie "Der Untergang" (JF 38/04) von Constantin-Film produziert, ist ein schlechter Film, nutzlos für historisch Interessierte, unergiebig für Cineasten. Mitnichten zeugt er von - gar neuartiger - Vergangenheitsaufarbeitung der Deutschen, vielmehr von einem gescheiterten Versuch, eine hollywoodkompatible Version des einstigen Kassenschlagers "Club der toten Dichter" zu liefern.

Wir schreiben Mitte 1942, wir befinden uns im Arbeiterviertel Berlin Wedding, und dort in einem Box-Verein. Der gerade siebzehnjährige Friedrich Weimer fällt als hervorragendes Talent dem jungen Lehrer Heinrich Vogler (Devid Striesow) auf, der mit seiner Sportklasse gegen den Weddinger Verein antritt. Vogler, dem Zeitgeist untertan, aber vor allem dem Boxsport verschrieben, möchte Friedrich die Aufnahme in die Nationalpolitische Erziehungsanstalt Allenstein ermöglichen. Diese NPEAs , Napolas im Volksmund, von denen 37 ("beinahe 40" heißt es zum leichteren Begreifen im Abspann) im Reichsgebiet existierten, sollten geeignete Oberschüler zu einer rassischen, ideologischen und geistigen Elite herausbilden: Die künftigen Gauleiter des Tausendjährigen Reiches, die Herren von London, Warschau und Kapstadt sollten hier herangezogen werden, darunter auch, wie man weiß, prägendes Personal der Zeitgeschichte: Alfred Herrhausen, Helmut Karasek, Horst Janssen, Theo Sommer und Hardy Krüger zählen zu jenen Napola-Schülern, die das Kriegsende überlebten.

Friedrich (Max Riemelt, soeben zum "Shooting-Star 2004" gewählt), diese rein fiktive Person nun macht sich gegen den vehementen Widerstand seiner Eltern auf nach Allenstein und gerät dort ins bittere Mahlwerk einer mörderischen Menschenmühle. "Stark und schön" wollte Adolf Hitler, dem die erste Napola zum 44. Geburtstag "geschenkt" wurde, "seine Jugend", und der Film sieht dieses Bildungsziel wie folgt erreicht: Judenhaß pur im altphilologischen Unterricht, Ausmerzungsfragen in Biologie, Germanentum in Deutsch, Berechnung der Vernichtungsmaschinerie in Mathe.

Keine Erwähnung findet freilich der Wert, den die Napolas auf musische Erziehung legten, auf hartes Schach-Training, auf Auslandsaustausch, und "Charakterbildung" wird als grausige Fratze der Menschenführung dargestellt - Verrat, Ungerechtigkeiten, unmenschliche körperliche Quälerei von früh bis spät, Spott bis hin zum Psychoterror feiern fröhliche Urständ in der Ganselschen Napola. Die Eleven werden weitgehend als Verführte gezeichnet, immerhin soweit reicht die historische Redlichkeit des Drehbuchs. Unklar bleibt, was denn die jungen Männer verführte: ein bißchen Trommelwirbel und schmissig geschmetterte Lieder bieten keine hinreichende Erklärung.

Zu Friedrichs Stubenkameraden zählt Albrecht, der zarte, literarisch begabte Sproß ausgerechnet des grausamen Gauleiters Stein. Er stellt das humane Gewissen der Anstalt dar, liefert dem naiven Freund beizeiten Denkanstöße: Boxen - wenn's denn sein muß, aber jemanden k.o. schlagen? Kann man das nicht anders regeln? Friedrichs Abwendung von den Nationalsozialisten bahnt sich in überraschungsarmen Schritten an: Erst wird ein Selbstmörder, der bettnässende Stubenkamerad Siegfried, als Kriegsheld beigesetzt, dann erlebt Friedrich bei einer privaten Einladung in Albrechts reiches Zuhause die dunkle, besoffene, durch und durch böse Seite des NS-Führertums, später müssen die Jungmannen eine Gruppe unbewaffneter Russenkinder im Wald jagen und kaltstellen, und schließlich verabschiedet sich der weichherzige Albrecht bei einem winterlichen Tauchgang in einer dramatischen, die Grenzen des Kitsch deutlich überschreitenden Eiswasserszene winkend in die Tiefen des Sees.

Für Jungregisseur Gansel, Jahrganges 1974, der für seinen RAF-Fernsehfilm "Das Phantom" drei Grimme-Preise kassierte, ist "Napola" nach der Backfisch-Komödie "Mädchen, Mädchen" der zweite Kinofilm. Daß der Terminus "Machwerk" besser trifft, liegt nicht an einigen mangelhaften Details, etwa, daß die im Unterricht aufgehängten Karten in einem Zustand sind, der deutlich auf die Herkunft aus einer Asservatenkammer hinweist, oder daß die rundlichen Handanschriften an der Tafel mit ihren exzentrischen Ober- und Unterlängen höchst modern wirken. Selbst die politisch korrekte, von keiner historischen Analyse getrübte Grundaussage könnt man noch mit einem Achselzucken hinnehmen - man ist kaum anderes gewohnt. Daß dem Film aber jegliche erzählerische, künstlerische und psychologische Subtilität abgeht, macht ihn vollends verzichtbar.

Foto: Friedrich Weimer (Max Riemelt): Unklar bleibt, was denn die jungen Männer verführte


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