© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/05 14. Januar 2005

Bis zur Selbstaufgabe
Literaturbetrieb: Der Lyriker und Essayist Werner Riegel wäre in der kommenden Woche 80 Jahre alt geworden
Werner Olles

Zwischen Ende 1952 und 1956 erschienen 26 Ausgaben einer hektographierten Literaturzeitschrift mit dem Titel Zwischen den Kriegen. Der Herausgeber hieß Werner Riegel, ein bis dato unbekannter Lyriker, der nicht nur raffinierte Reime schrieb, sondern durchaus auch politische Kampftexte und polemische Leitartikel verfaßte. Für seinen Mitherausgeber, engen Freund und Mentor Peter Rühmkorf war er ein "Revisionist des Expressionismus", die deutsche Nachkriegsliteratur hat indes Riegels "polemisches Feuer, poetische Erfindungskraft und kämpferische Eloquenz" (Hans J. Schütz) nicht einmal am Rande zur Kenntnis genommen.

Werner Riegel wurde am 19. Januar 1925 in Danzig geboren. Mit achtzehn Jahren kam er direkt vom Gymnasium an die Front; er überlebte den Krieg mit zwei Verwundungen. Nach 1945 verdingte er sich als Waldarbeiter, Bauhelfer, Nachtwächter und Bürobote. Erst nach seinem täglichen Acht-Stunden-Pensum fand er Zeit für Bücher und seine eigentliche Berufung: ein Dichter zu sein. So konzipierte er die Zeitschrift Zwischen den Kriegen ganz nach seinen eigenen Vorstellungen von literarischer Wirksamkeit, was unter anderem bedeutete, daß er hier seinen Haß auf den von ihm verachteten bundesrepublikanischen Literaturbetrieb der Adenauerzeit ausdrücken konnte. Eigenbrötlerisch bis zum Exzeß schrieb der radikale Individualist Riegel seine Gedichte und Aufsätze in geradzu "wütendem Widerstand" (Schütz) gegen das, was in den frühen fünfziger Jahren als "große Literatur" galt.

Von Arno Schmidt stammen die dem historischen Roman "Das steinerne Herz" (1954) vorangestellten Zeilen: "Wehe, die wankenden Reihen des Geistes!: / Brecht stirbt; Benn ist tot; macht ein Kreuz hinter Riegel." Tatsächlich hatte Riegel für die Lyrik seiner Zeitgenossen bloß Hohn und Spott übrig, allein Stefan George, Gottfried Benn, Georg Trakl und Bertolt Brecht hätten "neue Konventionen heraufbeschworen. Sie stellen Ordnungen her, denen das folgende schwächere Geschlecht sich einfügen kann".

Als der Friedenspreis an Albert Schweitzer, Romano Guardino und Martin Buber verliehen wurde, schrieb er, das "Ereignis eines Friedenspreises sollte begrüßt werden, wenn der Bezeichnung dieses Preises und der Praxis der Verleihung nicht eine Definition des Friedensbegriffes zugrunde liegen würde, die mit den gewaltgläubigen Tendenzen der Zeit aufs trefflichste übereinstimmt. Hier wird mit Mächten Frieden gemacht, die auf Aktion ein Monopol beanspruchen und vom Friedlichen verlangen, daß er die Schnauze hält angesichts aller Anstalten, die geeignet sind, ihm den Frieden zu rauben."

Riegel stand den Expressionisten nahe, indes war er ein Wanderer zwischen "Politik und Individuation" (Schütz). Der jungen Generation konzedierte er "Indifferenz gegenüber einer neuen Poetik": "Das hat sich um 1950 breitgemacht, unter ständiger Betonung des Humanen (beileibe nicht des Humanistischen) und wohl auch des Experimentellen (womit man das Faktum des dürftigen 'Versuchs' umschreibt) ... Man zelebriert die schlechte Nachahmung einer verflossenen Lyrik, gegen die einst der große Ansturm des Expressionismus aufgeboten wurde, die unanständige Gebärde Dadas, die puritanische Aktion der neuen Sachlichkeit, und Talmi bedarf allerdings keiner Theorie."

Kommerzielle Aspekte interessierten diesen Dichter fast bis zur Selbstaufgabe nicht. Er sei gewöhnt, daß man ihn sowieso nicht lese, schrieb er einmal, was ihn jedoch nicht hinderte, "maßlos in seinen Ansprüchen, unbeirrbar in seiner hohen Selbsteinschätzung, aber doch auch wieder unverletzlich in seiner robusten Armut" (Rühmkorf) zu sein. Dafür sprechen auch folgende bittere Zeilen: "Wenn der stinkbesoffene Dichter Riegel / aus der Hafenkneipe torkelt, / wenn der sehnsuchtskranke Schreier Riegel / in der Hurengasse ferkelt, / wenn der hungerarme Sternguck Riegel / Ranzspeck in der Pfanne spirkelt, / schaut er im zerschrammten Kritzkratzspiegel / Stückchen der verdammten Welt." Werner Riegel starb am 11. Juli 1956 im Alter von nur 31 Jahren in Hamburg an Krebs. Sein Nachlaß befindet sich im Literaturarchiv Marbach.

Literatur: Werner Riegel, "... beladen mit Sendung / Dichter und armes Schwein", hrsg. von Peter Rühmkorf, Haffmans Verlag, 1988


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