© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/05 21. Januar 2005

Alltag in der Nekropolis
Symbolpolitik auf berlinerisch: Rosa Luxemburg bekommt noch ein weiteres Denkmal
Thorsten Hinz

Das war wieder so ein Moment, wo die am Gemeinwesen interessierten Bürger sich fassungslos fragen, ob die Politiker noch bei Sinnen sind, ob sie keine anderen Probleme haben. Der Berliner Kultursenator Thomas Flierl (PDS) verkündete vorige Woche stolz, daß der Auftrag für das im rot-roten Koalitionsvertrag vereinbarte Rosa-Luxemburg-Denkmal an Hans Haacke vergeben worden sei. Haacke hat bereits den Komposthaufen im Lichthof des Reichstags geschaffen, der - statt dem "Deutschen Volke" - "Der Bevölkerung" gewidmet ist.

Standort des neuen Denkmals ist der Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte. Aber was heißt Standort? In den Platz und die anstoßenden Straßen und Gehwege sollen einhundert bis zu sieben Meter lange Betonstreifen eingelassen werden, auf denen in Messingbuchstaben Sinnsprüche von Luxemburg zu lesen sein werden. Eine künstlerisch konventionelle Angelegenheit also.

Eine billige Polemik gegen Rosa Luxemburg verbietet sich. Sie war eine hochgebildete, kultivierte Frau. Ihre Briefe aus dem Breslauer "Weibergefängnis", wo sie während des Ersten Weltkriegs einsaß, sind von literarischer Qualität und Zeugnisse eines mitfühlenden Herzens. Wenn man ihre Schriften vom politischen Tagesgeschäft und der Ideologie abstrahiert, stellt man eine große analytische und sprachliche Kraft fest.

Vergleicht man sie mit den Hervorbringungen jener "Frauenpower", die in den letzten 15 Jahren in den Bundestag gespült wurde - stellvertretend seien die Antjes, Claudias, Kristas, Kerstins und Ritas genannt -, dann wird der intellektuelle Abstieg dieses Landes schmerzhaft deutlich, und man kann nur wiederholen: Armes Deutschland!

Luxemburg war aber auch eine politische Einpeitscherin. Ihre Kritik an der Praxis der russischen Revolution darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihr Satz: "Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden", auf den die DDR-Bürgerrechtler sich beriefen und wofür sie Verhaftung und Ausweisung riskierten, sich nur auf innerparteiliche Kritiker bezog. Für die anderen galt: "dem Feind das Wort: Daumen aufs Auge, Knie auf die Brust"! Der SPD-Vorsitzende August Bebel meinte nach den Auftritten Luxemburgs auf dem Parteitag 1905, er habe unwillkürlich auf seine Stiefelspitzen schauen müsse, "ob diese nicht in Blut wateten".

Diese Details sind heute vergessen, weil andere Bilder sich davor schieben: Freikorpssoldaten, die mit dem Gewehrkolben auf eine zierliche, gehbehinderte Frau einschlagen, und eine Justiz, die feixend die Aufklärung und Ahndung eines politischen Mordes verhindert. Vollständig ist aber auch dieses Bild nicht, denn der Berliner Januar-Aufstand 1919, den die Kommunisten vom Zaun brachen und dessen Niederschlagung mit dem Tod von Liebknecht und Luxemburg besiegelt wurde, hätte ein Sowjetdeutschland zum Ergebnis haben können. Er mußte zwangsläufig Aggressionen wecken.

Trotzdem: Luxemburgs Radikalismus und ihr Mut, Konventionen zu überschreiten, faszinieren bis heute. Sie war Aktivistin und Opfer einer spannungsgeladenen Zeit, ähnlich wie der von den Franzosen 1923 erschossene Leo Schlageter - dem freilich bis heute keine symbolische Gerechtigkeit zuteil geworden ist. Anders bei Luxemburg. Ihre Grabstätte in Berlin-Friedrichsfelde wird alljährlich um den 15. Januar, ihren Todestag, zum Wallfahrtsort. Ein Luxemburg-Denkmal existiert bereits am Landwehrkanal, wo man ihre Leiche ins Wasser warf. An der vielbefahrenen Bundesallee in Berlin-Wilmersdorf, wo sie verhaftet wurde, steht eine modernistische Luxemburg-Skulptur, und der Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte ist - Frank Castorfs Volksbühne sei Dank - eine der bekanntesten Adressen der Hauptstadt. Weshalb noch ein zusätzliches Denkmal?

Erstens: Der SED war Luxemburg stets suspekt, zu einem Luxemburg-Denkmal ist es in der DDR nie gekommen. Das will Thomas Flierl jetzt postum nachholen. Er verhält sich wie Daniel Brühl im Film "Good Bye, Lenin", der nach dem Mauerfall für seine aus dem Koma erwachte Mutter die Kulisse einer "menschlichen" DDR errichtet, nach der sie vergeblich gestrebt hatte.

Zweitens stemmt Flierl sich gegen den Bedeutungsverlust der PDS und ihrer Mythologie. Noch in den 1990er Jahren hatten die Luxemburg-Liebknecht-Demonstrationen bis zu 100.000 Teilnehmer, in diesem Jahr waren es nach Polizeiangaben nur 14.000. Ein Luxemburg-Denkmal in Berlins Mitte soll zum Adrenalinstoß für eine alternde Bewegung werden.

Drittens flüchtet die PDS aus der praktischen in die symbolische Politik. Der höhere Zweck der PDS-Beteiligung am Berliner Senat ist es, den Protesten gegen den rabiaten Sozial- und Kulturabbau in der Stadt die Spitze zu nehmen. Um so dringlicher braucht die Parteiführung ein Bonbon, das sie ihren Wählern präsentieren kann.

Viertens behauptet Flierl in seiner Presseerklärung, in der sich das BRD-Soziologendeutsch mit der Sprache des SED-Parteilehrjahres auf das Gräßlichste mischt, es solle die "verdrängte nationalsozialistische Geschichte des Platzes" reflektiert werden. Dafür verdrängt er etwas anderes: Am Rosa-Luxemburg-Platz (damals Bülow-Platz) ermordete der spätere Stasi-Minister Erich Mielke 1931 die Polizisten Lenk und Anlauf. Befohlen wurde der kommunistische Straßenterror aus dem angrenzenden Liebknecht-Haus, der heutigen Bundeszentrale der PDS.

Man soll die mögliche Wirkung des neuen Haacke-Projekts nicht überschätzen. Auch die Installation im Reichstag hat das Gebäude nicht verändert. Ein Fliegenschiß im Hof, das ist alles. Bedenklicher ist etwas anderes. Die Sucht nach immer mehr Denkmälern, und zwar einer sehr eng gefaßten politischen, historischen und geistigen Provenienz, nimmt sich wie ein Narrenspiel eines alt, dekadent und infantil gewordenen Landes aus. Ausländische Besucher schütteln ungläubig mit dem Kopf.

In Berlin haben die über 40 Jahre der Teilung, Insellage und des Staatssozialismus neben der ökonomischen zu einer gesellschaftlichen Regression geführt, die, stellvertretend für das Land, weiter voranschreitet. Nachdem der Traum von einer neuen Metropolis so schnell nicht in Erfüllung geht, greift der Ehrgeiz um sich, wenigstens zur bedeutendsten Nekropolis der Gegenwart zu werden.

Der Spaß soll 260.000 Euro kosten. Wäre es nicht besser, das Geld den darbenden Berliner Bibliotheken zu überweisen, mit der Maßgabe, Bücher von den kleinen, hochambitionierten, leider ebenfalls darbenden Berliner Verlagen zu erwerben? Doch angesichts der Machtverhältnisse in der Stadt haben solche Vorschläge keine Chance. Trost spendet in dieser Situation ein Gefängnisbrief Rosa Luxemburgs: "So ist das Leben und so muß man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd - trotz alledem!" 

Foto: Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde: Pilgerstätte für Zehntausende zur Erinnerung an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen