© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/05 21. Januar 2005

CD: Klassik
Ziergesang
Julia Poser

Im Spätherbst des Jahres 1710 reiste der hannoveranische Kapellmeister Georg Friedrich Händel (1685-1759) erstmalig nach London, um im Auftrag der beiden Theaterunternehmer Heidegger und Hill eine neue Oper für das Haymarket Theater zu komponieren. Aaron Hill, ein reicher, opernbesessener Unternehmer und Pächter des Theaters, hatte sich eine Erneuerung des englischen Opernlebens vorgenommen. Den fünfundzwanzigjährigen Händel hielt er für den richtigen Mann. Für dessen erste Oper in London wählte Hill die oft vertonte Episode aus Tassos "Gerusalemme liberata" (Das befreite Jerusalem), die den Konflikt zwischen dem Kreuzritter Rinaldo und der verführerischen Zauberin Armida schildert.

Da im 18. Jahrhundert selbst musikbegeisterte Menschen nur wenig reisten, konnte Händel, der mit seinem Erstling in England gewissermaßen seine Visitenkarte in London abgeben wollte, ungeniert auf besonders wirkungsvolle Stücke aus früheren Opern zurückgreifen. Und "Rinaldo" hatte für jeden Geschmack etwas: gewaltige Schlachtenmusiken mit vier Trompeten und Kesselpauken, schmissige Märsche, die so beliebt wurden, daß Johann Christoph Pepusch später den Kreuzrittermarsch schamlos für seine "Bettleroper" (1728) übernahm. Aber auch idyllische Flötenweisen entzückten die Zuhörer.

Der Erfolg dieser jugendfrischen Musik war sensationell, wenn auch einige Rivalen Händels versuchten, das Pathos des deutschen Komponisten lächerlich zu machen.

Seit 84 Jahren werden in Göttingen Händels Werke aufgeführt und seit einiger Zeit auch auf CD herausgebracht - zwar nur für Mitglieder der Händel-Gesellschaft, doch lohnt sich die Mitgliedschaft für ein Jahr, um so großartige Einspielungen wie "Arianna in Creta", "Rodelina", "Partenope", "Jephta" oder jetzt "Rinaldo" zum günstigen Preis zu erwerben. (Göttinger Händel-Gesellschaft, Hainbuchenweg 3-5, 37085 Göttingen).

Unter dem künstlerischen Leiter und Dirigenten Nicholas McGegan singen die Créme de la Créme des barocken Gesangs, und das fabelhaft disponierte Orchester "Concerto Köln" entfacht auf drei CDs eine glutvolle musikalische Pracht. In der Partie des Kreuzritters Rinaldo begeistert der kraftvolle warme Mezzosopran von Diana Moore. Welch ausdrucksvolle Tiefe, welch virtuose Koloraturfähigkeit, welch kühner Klang in "Or la tromba" (Mich ruft die Trompete) und welche Innigkeit in "Cara sposa" (Geliebte Gattin)! Diese Arie rührte schon 1711 die Londoner zu Tränen.

Dominique Labelle als Armida setzt ihren leuchtenden Sopran vielfältig ein: In "Furie terribeli" (Gräßliche Furien) ist sie mit Aplomb ganz die machtvolle Zauberin, während sie in "Ah, crudel" (Ach, Grausamer) in wunderbar weichen Tönen um Rinaldos Liebe fleht. Die Tochter Gottfrieds von Bouillon, Anführer des ersten Kreuzzugs, Almirena, wird von der süßstimmigen Cyndia Sieden gesungen. In der Arie "Augelletti che cantate" (Ihr kleinen Vögel, die ihr singt) trillert sie im Duett mit der Soloblockflöte in den höchsten kunstvollen Tönen. Ihre herzzerreißende Klage "Lascia, chío pianga" (Laß mich weinen), eine schlichte Melodie, berührt zutief. Der schwarze Baß von Andrew Foster-Williams kommt einer Naturgewalt gleich. Als Argante, König von Jerusalem und Gegner der Kreuzritter, läßt er machtvoll und wuchtig seine Stimme strömen. Den Gottfried von Bouillon (in der Oper Goffredo) singt Cecilie von der Sant mit glutvollem Mezzo. Auch der Altus von Christophe Dumaux zeigt besten barocken Ziergesang. Ein Muß für Händel-Verehrer! 

Die diesjährigen Händel-Festspiele finden vom 10. bis 21. Mai statt. Tel. 05 51 / 5 67 00, E-Post: info@haendel.org , Internet: www.haendel.org   


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