© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/05 21. Januar 2005

Ein Jubiläum kommt selten allein
Publizistik: Seit zehn Jahren veröffentlicht Günter Zehm seine "Pankraz"-Kolumne in der JF
Thorsten Thaler

Für seinen alten Chef bei der Welt, Herbert Kremp, ist "Pankraz" alias Günter Zehm "erfüllt von einer aufrichtigen, ja ungeheuren Liebe zur Freiheit und zum Vaterland". So steht es in dem Vorwort, das Kremp vor fünf Jahren zu einem Sammelband mit "Pankraz"-Kolumnen aus der JUNGEN FREIHEIT verfaßt hat. Inzwischen ist ein weiteres halbes Dezennium vergangen, so daß diese Zeitung heute mit Stolz auf eine zehnjährige Zusammenarbeit mit Günter Zehm zurückblicken kann. Daß seine "Pankraz"-Kolumne in diesem Sommer zugleich seit insgesamt dreißig Jahren besteht, erhebt ihren Autor zu einer singulären Erscheinung in der deutschsprachigen Publizistik - und weit darüber hinaus.

In der JF erschien die erste reguläre "Pankraz"-Kolumne am 20. Januar 1995 - fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem Start als Wochenzeitung. Zu diesem Zeitpunkt konnte Günter Zehm bereits auf eine beeindruckende Journalisten-Laufbahn verweisen. 1933 im sächsischen Crimmitschau geboren, als Philosophiestudent bei Ernst Bloch 1957 wegen regimekritischer Äußerungen von der DDR-Justiz zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, trat Zehm 1963 zwei Jahre nach seiner Flucht in den Westen und der Promotion bei Theodor W. Adorno und Carlo Schmid in die Feuilletonredaktion der Welt ein. Dort begründete er im Juli 1975 seine "Pankraz"-Kolumne, avancierte zum Ressortleiter und 1977 zum stellvertretenden Chefredakteur.

Ausgerechnet in der Phase der Wiedervereinigung 1989/90, für die sich Zehm immer eingesetzt hatte, wurde er nach längeren Querelen mit dem damaligen Welt-Chefredakteur Manfred Schell über den schleichenden Kurswechsel der Zeitung nach dem Tod Axel Springers aus dem Verlag gemobbt. Von 1990 bis zum Sommer 1994 fand Günter Zehm mit seiner "Pankraz"-Kolumne dann Asyl im Rheinischen Merkur.

Dem Engagement Zehms in der JF war ein handfester Skandal vorausgegangen. "Pankraz ist verreist", lautete der ebenso lapidare wie falsche Hinweis Anfang Juni 1994 im Rheinischen Merkur, genau an jener Stelle, an der bis dahin die Zehm-Kolumne stand. Was war geschehen? Ohne Rücksprache mit dem Autor hatte der damalige Chefredakteur des Rheinischen Merkur, Thomas Kielinger, kurz vor Drucklegung eine "Pankraz"-Kolumne aus dem Blatt gekippt, die ihm nicht in sein Weltbild paßte - ein klarer Fall von Zensur.

In dem Text hatte sich Zehm kritisch mit den aus deutscher Sicht zweifelhaften Gedenkfeierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie auseinandergesetzt. "Auch die Helden des 'D-Day' nebst 'Onkel Joe', dem Moskauer Verbündeten, haben sich bei der Ausgestaltung ihres Sieges in den anschließenden Jahrzehnten bekanntlich nicht mit Ruhm bekleckert, haben Millionen von Kriegsgefangenen zu Tode gehungert, Zehntausende von Frauen vergewaltigt, haben schließlich die halbe Welt in ein einziges, über vierzig Jahre lang betriebenes Dauer-KZ verwandelt."

Politische Willkür wollte er nicht hinnehmen

Der Chef des Rheinischen Merkur sah in dieser Passage eine absurde Verdächtigung, "wie es nicht einmal dem wildesten Nationalisten in den Sinn käme". In einem langen Rechtfertigungsbrief an Günter Zehm schrieb Kielinger, ihm schien "das alles krauses Zeug zu sein, gelinde gesagt". Der "offensichtliche Extremismus" dieses Satzes habe ihn "irre werden lassen an dem Günter Zehm, den ich zu kennen glaubte". Durch den ganzen Text ziehe sich "ein roter Faden ressentiment-gespeister Ungeschichtlichkeit". Die Parallele zwischen den "Helden des D-Day" und Stalin sei, so Kielinger, eine "Anstößigkeit, mit der 'Pankraz' leben mag, nicht aber der Rheinische Merkur".

Natürlich konnte ein unabhängiger Kopf wie Günter Zehm diesen Akt politischer Willkür und "geistigen Feldwebeltums" nicht widerspruchslos hinnehmen. Er wandte sich an die JUNGE FREIHEIT, die den zensierten Text postwendend druckte. Die Bekanntschaft rührte von einem Interview her, das Zehm der Zeitung im Februar 1994 gegeben hatte. Er beschrieb darin den Niedergang konservativer Publizistik und fand deutliche Worte für die Politik der Unionsparteien. "Was wir erlebten, war ein geistespolitisches Abdanken, das Räumen konservativer, rechter oder auch einfach traditioneller Positionen in der Erziehung, in der öffentlichen Moral", erklärte Zehm. Und weiter: "Diejenigen, die Traditionen bewahren und behutsam entwickeln wollten, wurden immer weniger. Jetzt haben wir eine Situation, da es geistespolitisch unabdingbar geworden ist, diese aus Feigheit geräumten Felder wieder zu besetzen und rechts von der CDU und CSU eine politische und geistige Position zu beziehen."

Daß Günter Zehm dann ein halbes Jahr nach seinem Bruch mit dem Rheinischen Merkur mit seiner "Pankraz"-Kolumne zur JF kam, war beileibe keine Selbstverständlichkeit. Die Welt am Sonntag unter ihrem damaligen Chefredakteur Manfred Geist wollte die wöchentliche Kolumne ebenfalls haben. Eine entsprechende Vereinbarung war per Handschlag praktisch schon geschlossen worden; Starttermin sollte die erste Ausgabe im Oktober 1994 sein.

An welcher Intrige im Hause Springer dann die schriftliche Ausfertigung des Vertrages scheiterte, weiß Zehm bis heute nicht. Eine Sekretärin teilte ihm lediglich mit, daß der Vertrag beim Verlag liege und der Erscheinungsbeginn der Kolumne sich deshalb verzögere. Geist selbst ließ sich offenbar verleugnen, jedenfalls war er für Zehm nicht mehr zu sprechen. Offenbar stand der unbequeme Freidenker Zehm auf einer Schwarzen Liste.

Die Zeitung befand sich in ihrer schwersten Krise

Selbstverständlich war Zehms Einstieg bei der JF aber auch deswegen nicht, weil die Zeitung sich gerade in ihrer bis dahin schwersten Krise befand. Die seit 1992 laufende Kampagne linksradikaler Antifa-Gruppen gegen den freien Kioskverkauf hatte 1994 einen neuen Höhepunkt erreicht; Boykottdrohungen und gewalttätige Übergriffe auf Zeitungshändler fügten dem Vertrieb der JF hohe wirtschaftliche Einbußen zu. Ende Oktober kam es bei einer Demonstration von etwa 1.000 Angehörigen der linken Szene in Potsdam-Bornstedt, dem damaligen Redaktionssitz der JUNGEN FREIHEIT, zu gewalttätigen Ausschreitungen; nur mit Mühe gelang es der Polizei, einen Sturm auf die Redaktion zu verhindern.

Anfang Dezember verübten Linksterroristen einen verheerenden Brandanschlag auf die zur FAZ gehörende Union-Druckerei in Weimar, wo die JF seinerzeit gedruckt wurde. Der Sachschaden betrug 1,5 Millionen D-Mark. Weitere Anschläge galten einem Kiosk und einem Lieferwagen des Pressevertriebs. In einem gut zwei Wochen später in der taz veröffentlichten Bekennerschreiben hieß es, die Täter wollten mit ihren Brandanschlägen das Ende der "faschistischen" Wochenzeitung JUNGEN FREIHEIT "beschleunigen".

In dieser prekären Situation nun bekannte sich der Vollblutjournalist Günter Zehm demonstrativ zur JF. Ihn empörten nicht nur die Methoden, mit denen einem kleinen unabhängigen Zeitungsprojekt der Garaus gemacht werden sollte, sondern auch das - von wenigen Ausnahmen abgesehen - ohrenbetäubende Schweigen der etablierten Medien, das die Anschläge auf die Pressefreiheit begleitete. "Günter Zehm ist einer der Menschen, denen es zu verdanken ist, daß es die JUNGE FREIHEIT heute überhaupt noch gibt", würdigte JF-Chefredakteur Dieter Stein die Haltung Zehms schon bei früherer Gelegenheit. Vor allem aber wegen seiner intellektuell funkelnden Texte ist Günter Zehm längst nicht mehr aus der JUNGEN FREIHEIT wegzudenken.

Günter Zehm: Pankraz. Kolumnen aus der JUNGEN FREIHEIT. Edition JF, Berlin 2000.


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