© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/05 21. Januar 2005

Anstieg der Seniorenkriminalität: Niedersachsen erwägt Altenknast
Alter schützt vor Strafe nicht
Curd Torsten Weick

Der Kassierer einer Bank in Biloxi im US-Staate Missouri rieb sich verwundert die Augen: "Soll das ein Witz sein?" Doch der 86jährige J. L. Hunter ließ sich nicht irritieren und setzte seinen Banküberfall fort. Es war sein erster, aber nicht sein letzter Coup. Vor einem Jahr fiel dann doch der Vorhang, und so wurde der mittlerweile 92jährige zu zwölfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Zu seinen Taten erklärte er: "Es macht Spaß. Ich fühle mich gut dabei, furchtbar gut."

Verkehrte Welt? Hört man nicht eher, daß ältere Menschen leichte Beute für Trickdiebe oder gar Opfer von gewalttätigen Angriffen werden? Ob der Handtaschenraub auf der Straße, ob die Abzockerei bei den als Kaffeefahrt getarnten Kaufveranstaltungen oder der "Einlaß-Trick", bei dem eine Person die Senioren in ein Gespräch verwickelt, während eine andere die Wohnung durchstöbert - an allen Ecken und Enden wird die Gutgläubigkeit und körperliche Gebrechlichkeit der älteren Generation auf schäbigste Art und Weise ausgenutzt. Selbst bei der häuslichen Betreuung müssen Senioren damit rechnen, daß das dem Betreuer anvertraute Vermögen auch von demselben unterschlagen wird.

Die Hemmschwelle sinkt stetig. Doch wie der inzwischen im Gefängnis verstorbene J. L. Hunter bewies, geht es auch anders. Und wenn man die Medien genauer verfolgt, kommt man zu der Erkenntnis, daß Senioren nicht nur die Opfer von Verbrechen sind, sondern zum allgemeinen Erstaunen immer öfter selbst zum Täter werden.

"Schlägerei im Altenheim", titelte die Berliner Zeitung im Dezember und berichtete von Boxhieben, Würgegriffen und gefährlicher Körperverletzung unter einigen über siebzigjährigen Heimbewohnern. Kurz zuvor hatte die Bild-Zeitung in ihrem unverwechselbaren Stil über die "Panzerknacker-AG" im Alter von 63, 72 und 74 Jahren berichtet, die der Polizei nach langem Suchen im November ins Netz ging. Die drei Männer hatten bei insgesamt sechs Banküberfällen in Nordrhein-Westfalen mittels Pistolen, Handgranaten und Vorschlaghammer mehrere hunderttausend Euro erbeutet und avancierten als "filmreife Rentner-Gang" zu Lieblingen der Regenbogenpresse.

Ähnlich erging es der berühmt-berüchtigten "Pistolen-Omi", der bis ins Jahr 2001 mit vorgehaltener Pistole mindestens vier Banküberfälle gelangen.

"Die 'greisen Ganoven' sind auf dem Vormarsch", meint nun der Kölner Express, und die Kollegen vom Boulevard berichten über "Rentner"- und "Seniorenräuber".

Ganz so spektakulär ist die Situation dann aber doch nicht. Eine Invasion greiser Ganoven steht nicht vor der Tür - noch nicht. Nichtsdestoweniger schlagen Landeskriminalämter und Bundeskriminalamt immer öfter Alarm. So zählte das Landeskriminalamt Berlin im Jahr 2003 rund ein Viertel mehr Tatverdächtige über sechzig als im Jahr 1991. Die Zahl der über Sechzigjährigen, die von Berliner Gerichten verurteilt wurden, stieg seit Mitte der neunziger Jahre sogar um 80 Prozent. Parallel dazu meldete das Statistische Bundesamt seit Mitte der 1990er Jahre einen Anstieg der Alterskriminalität um 28 Prozent.

Die Gründe, warum Senioren zunehmend Bekanntschaft mit Polizei und Justiz machen, sind vielfältig. Erstens gibt es von Jahr zu Jahr mehr alte Menschen, die dazu heute bis ins hohe Alter aktiv bleiben und Auto fahren. Da bleiben schwere Unfälle nicht aus, die dann zur Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung führen. Zweitens werden vor allem beim Ladendiebstahl immer wieder die häufigen mangelnden sozialen Kontakte, die pure Langeweile sowie ein mangelhaftes Unrechtsbewußt-sein - nach dem Motto "Hab hier mein ganzes Leben lang mein Geld hingeschleppt" - als Beweggründe genannt.

Doch passiert es auch immer öfter, daß weniger der Reiz des Verbotenen, des Abenteuers die Rentner zu Straftaten animiert. Immer öfter zwingt die zunehmende Altersarmut die Menschen dazu, auf diese Art ihre Existenz zu sichern. Wenig rosige Perspektiven sieht der Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversi-cherungsträger, Franz Ruland, und prophezeit, daß sich die Armuts-Problematik durch die Arbeitsmarktreformen noch weiter verschärfen werde.

Doch Alter schützt vor Strafe nicht. Nicht immer greift der oftmals angewandte Mildebonus für alte Straftäter, und so wandern immer mehr Senioren hinter Gitter. Die Zahl der inhaftierten Senioren stieg laut Statistischem Bundesamt von 2001 bis 2003 um mehr als 400 an. Für betagte Menschen ist der normale Haftvollzug jedoch eine große körperliche und seelische Belastung. Und nicht nur das. Was sollen "Knackis" über sechzig mit berufsqualifizierenden Lehrgängen anfangen?

Die Behörden sind also gefragt und beginnen auch zu reagieren. So gibt es seit Jahren in Singen am Bodensee einen eigenen Knast für Männer über sechzig - mit Bibliothek und Fitneßraum. Auch im hessischen Schwelm-stedt wurde eine erste "Seniorenaußen-stelle" eingerichtet, und nun denkt auch Niedersachsen über die Einrichtung eines altersgerechten Senioren-Gefängnisses nach. Aus gutem Grund. Die Fluchtgefahr ist hier gleich Null - das spart Kosten. Zudem sind die Senioren hier ärztlich versorgt und seelisch betreut.

Was noch kommen könnte, zeigte jüngst die Süddeutsche Zeitung mit einem Blick nach Japan. Hier ist die Zahl der polizeiauffälligen Pensionäre in den vergangenen zehn Jahren um 320 Prozent gestiegen. Parallel dazu haben Forscher der Universität Fukushima herausgefunden, daß für viele ältere Menschen das "geregelte Leben im Knast einfacher und sicherer ist als in Freiheit".

Apropos Freiheit! Was wurde aus der Pistolen-Omi? Trotz gelungener Bilder der Überwachungskameras konnte die mutmaßlich über siebzig Jahre alte Frau mit einer ansehnlichen Beute entkommen. Schnell wurden 35 Pensionärinnen über Speichelproben überprüft, und es wird berichtet, daß sich einige der betagten Damen ob soviel Aufmerksamkeit geradezu amüsiert gezeigt hätten. Ein Polizeisprecher erklärte nun dieser Tage: "Nach ihrem letzten Überfall hat es einfach aufgehört!" Und so nehmen die Behörden an, daß die gewiefte Oma inzwischen wohl gestorben sei. Doch - will man es glauben?


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