© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/05 28. Januar 2005

Zweierlei Maß
Auswärtiges Amt: Keine Nachrufe für ehemalige Diplomaten mit NS-Vergangenheit / Kritiker beklagen Ungleichbehandlung
Marcus Schmidt

Wäre Georg Duckwitz nicht schon 1973 gestorben, hätte das Auswärtige Amt jetzt wahrscheinlich ein Problem. Der Diplomat, der an der deutschen Botschaft in Kopenhagen beschäftigt war, ermöglichte während des Zweiten Weltkrieges zahlreichen dänischen Juden die Flucht und rettete ihnen damit das Leben. Die Israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ehrte den späteren Staatssekretär von Außenminister Willy Brandt dafür mit dem Titel "Gerechter unter den Völkern". Ob das von Bundesaußenminister Fischer geführte Auswärtige Amt Duckwitz heute noch mit einem Nachruf ehren würde, ist dagegen fraglich: Dunkwitz war seit 1932 Mitglied der NSDAP. Seit dem vergangenen Jahr kursiert im Amt offensichtlich eine Anweisung, nach der ehemalige Angehörige des Amtes, die bereits im Dritten Reich dem Auswärtigen Dienst angehört haben und Mitglied der NSDAP waren, nicht mehr mit einem Nachruf in dem amtlichen Teil der hauseigenen Zeitschrift InternAA gewürdigt werden.

Zuletzt traf es unter anderem den im vergangenen Jahr verstorbenen Botschafter a. D. Franz Krapf, der die Bundesrepublik in den siebziger Jahren immerhin als Botschafter bei der Nato in Brüssel vertreten hatte. Den Nachruf auf den verdienten Diplomaten im InternAA suchte unter anderem auch Heinz Schneppen, ehemaliger deutscher Botschafter in Tansania, vergeblich. Er machte den Vorgang in der vergangenen Woche öffentlich. Zuvor hatten Schneppen und andere ehemalige Diplomaten bereits mit Briefen beim Auswärtigen Amt gegen die ihrer Meinung nach "unanständige" Regelung protestiert.

Dabei stören sich Schneppen und seine Mitstreiter nicht alleine an der kritisierten Praxis, ehemaligen NSDAP-Mitgliedern den Nachruf zu verweigern. Im Kern geht es darum, ob das Auswärtige Amt seinen Mitarbeitern grundsätzlich zutraut, ihre politischen Anschauungen zu ändern und sich beispielsweise von einem Anhänger einer Partei oder Organisation, die die Demokratie ablehnt, zu einem echten Demokraten zu wandeln, der die Interessen der Bundesrepublik Deutschland aus Überzeugung vertritt.

Daß ein Mensch seine politische Haltung im Laufe der Jahre überdenken und sogar ändern kann, dürfte Fischer aus eigenem Erleben bekannt sein. Auch offiziell billigt das Auswärtige Amt unter dem grünen Minister seinen ehemaligen und derzeitigen Mitarbeitern diese Lernfähigkeit zu. So schreibt etwa der Staatssekretär Klaus Scharioth im Vorwort einer Gedenkschrift des Amtes für den eingangs erwähnten Georg Duckwitz: "Duckwitz stand zunächst auf der falschen Seite, aber er entfernte sich bereits in den dreißiger Jahren von der Partei und leistete während der Kriegsjahre aktiven Widerstand. Es besteht kein Zweifel, daß die Metamorphose zum Gegner des Regimes und zum überzeugten Demokraten eine authentische war."

Welchen Maßstab die derzeitige Führung des Amtes an die Authentizität einer Wandlung vom "Gegner des Regimes zum überzeugten Demokraten" anlegt, läßt sich aktuell am Beispiel von Hans Gerhart "Joscha" Schmierer ablesen, der dem Planungsstab des Amtes angehört und für Grundsatzfragen der Europapolitik zuständig ist. Bis zur Auflösung der Organisation im Jahr 1983 war der ehemalige SDS-Funktionär Erster Sekretär des Zentralkomitees des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands (KBW).

Längst nicht alle im Umfeld des Auswärtigen Amtes sind von der Wandlung Schmierers vom Kommunisten zum Demokraten überzeugt. Prominentester Kritiker ist der ehemalige Top-Diplomat Erwin Wickert. In einem jetzt zu seinem neunzigsten Geburtstag veröffentlichten Sammelband ist ein Briefwechsel des Diplomaten mit Fischer aus dem Jahre 2001 abgedruckt. Darin kritisiert Wickert, daß Schmierer als Mitglied des KBW, "jener stalinistisch ausgerichteten Vereinigung, der Breschnews Kommunismus nicht radikal genug war", eine wichtige Stellung im Auswärtigen Amt innehat. Für Wickert Grund genug, 2001 nicht an der Jubiläumsveranstaltung zum fünfzigsten Geburtstag des Amtes teilzunehmen. "Für mich als einem Deutschen, dessen nationale Geschichte durch die Genozid- und Kriegspolitik Hitlers schwer belastet bleibt, ist der Gedanke schier unerträglich, daß unsere Außenpolitik heute unter anderem von einem Mann entworfen wird, der sich zu einem Massenmörder wie Pol Pot bekannt hat", schreibt Wickert weiter und spielt damit auf den zweifelhaften "Höhepunkt" von Schmierers Karriere im KBW an: Obwohl längst bekannt war, daß die Roten Khmer unter Pol Pot während ihrer Terrorherrschaft in Kambodscha schätzungsweise zwei Millionen Menschen ermordet hatten, führte Schmierer 1979 eine Delegation in das Land an. Auf die Frage, warum er nicht bemerkt habe, daß in dem Land Terror herrsche, antworte er 1997 - knapp zwei Jahr vor seiner Berufung ins Auswärtigen Amt - in der linken Zeitung Jungle World lakonisch: "Weil man's nicht sehen konnte."

Wickerts rigide Auffassung wird von den Kritikern der Nachruf-Regelung nicht unbedingt geteilt. Sie fordern vielmehr Gerechtigkeit und Gleichbehandlung. Schneppen sagte im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT, er sei durchaus davon überzeugt, daß Schmierer sich gewandelt habe. Daher stehe seinem Dienst im Auswärtigen Amt auch nichts entgegen - ebensowenig wie der Tätigkeit Krapfs im auswärtigen Dienst der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Krapf war nach 1945 wieder für den auswärtigen Dienst zugelassen worden, obwohl er mir 21 Jahren der SS und wenig später auch der NSDAP beigetreten war. "Selbst wenn er gewollt hätte: Er hatte keine Gelegenheit, sich die Hände schmutzig zu machen", sagte Schneppen. In den Jahren 1939 bis 1945 war Krapf an den Botschaften in Moskau beziehungsweise Tokio tätig. Nach dem Krieg wurde er im Entnazifizierungsverfahren zudem von der Spruchkammer in die Kategorie 5 als "entlastet" eingeordnet. Schneppen sagte, er hätte Verständnis dafür gehabt, wenn man ehemaligen NSDAP-Mitgliedern den Dienst im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik verwehrt hätte. "Aber man kann die Männer nicht 25 Jahre lang dienen lassen und ihnen dann den Nachruf verweigern", sagte er.

Zusammenhang mit der Ehrung von Fritz Kolbe

Der Erlaß steht offensichtlich im Zusammenhang mit der im vergangenen Jahr erfolgten Ehrung von Fritz Kolbe, der als Konsularsekretär an der Botschaf in Bern Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hatte. Fischer sagte in seiner Gedenkrede im Auswärtigen Amt: "Im Gegensatz zu vielen seiner Vorgesetzten und Kollegen ist er nie der Versuchung erlegen, mit den Nazis zu sympathisieren - und sei es auch 'nur' der Karriere wegen. Während seiner Jahre im Auswärtigen Amt gelang es ihm, dem konstanten Druck, Mitglied zu werden, zu widerstehen." Diese kompromißlose Formulierung läßt in der Tat wenig Spielraum für Nachrufe auf ehemalige NSDAP-Mitglieder im Dienst des Amtes. Offensichtlich war sogar überlegt worden, die Regelung noch schärfer zu formulieren und auch die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend als Ausschlußkriterium für einen Nachruf festzulegen.

Mittlerweile scheint das Amt unter dem Eindruck der Proteste die interne Regelung "überdacht" zu haben. Allzu schwer dürfte der Kurswechsel nicht gefallen sein: Viele Nachrufe auf Diplomaten, die auch NSDAP-Mitglieder waren, braucht das Amt 60 Jahre nach Kriegsende nicht mehr zu befürchten.


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