© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/05 28. Januar 2005

Streit um das korrekte Gedenken
Sachsen: Parteien im Landtag ringen um die Deutungshoheit über die Geschichte / Kritik an Reden von NPD-Abgeordneten
Curd-Torsten Weick

Dresdens Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (FDP) läßt dieser Tage kaum eine Möglichkeit aus, vor einem Mißbrauch des Gedenkens zu politischen Zwecken zu warnen. Zugleich fordert er die Dresdner auf, diesen Kräften nicht das Feld zu überlassen. Dresden sei nicht zuletzt durch den Wiederaufbau der Frauenkirche zum Symbol für Frieden und Versöhnung geworden.

Von Frieden und Versöhnung ist im Vorfeld des 60. Jahrestages der Zerstörung Dresdens allerdings wenig zu spüren. Im Gegenteil. Worte wie "Skandal", "Eklat" und "Empörung" füllen die Schlagzeilen seitdem die Landtagsfraktion der NPD ihren Kampf gegen eine "selektive Erinnerungskultur" auf die landespolitische Bühne gebracht hat.

Bereits Anfang Dezember vergangenen Jahres sah die NPD-Fraktion die Zeit für gekommen und beantragte für den 12. Februar eine fraktionsinterne Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Landtages zu Ehren der Opfer der Bombardierung Dresdens. Dieses Ansinnen stieß beim Landtagspräsidenten Erich Iltgen (CDU) auf wenig Gegenliebe und wurde mit der Begründung, keinen direkten Bezug zum Parlament zu haben, abgelehnt. Parallel dazu hatten sich CDU, SPD, PDS, FDP und Grüne geeinigt, die Veranstaltungen ihrer Fraktionen im Plenarsaal erst einmal auszusetzen.

Die NPD ließ sich wenig beirren und ging einen Monat später einen Schritt weiter, indem sie zur Aktuellen Stunde rief und mit dem vielsagenden Thema "Verhalten der Sächsischen Staatsregierung und des Landtages zu Erinnerungs- und Gedenkveranstaltungen zum 60. Jahrestag der anglo-amerikanischen Terrorangriffe auf die sächsische Landeshauptstadt Dresden" einen Generalangriff gegen die "geistigen Denkblockaden führender Vertreter eines Vasallendenkens" zu reiten trachtete.

Daraufhin setzten sich die NPD-kritischen Fraktionen zusammen, reduzierten die Aktuelle Stunde auf einen fraktionsübergreifenden Redebeitrag und besprachen eine Schweigeminute, um "in würdiger Weise den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu gedenken, gleichviel durch welche Willkür- und Gewaltmaßnahmen sie zu Schaden gekommen sind".

Doch obwohl Stillschweigen vereinbart wurde, bekam die NPD einen "zufälligen" Wink aus einer anderen Fraktion und beantragte nun ihrerseits eine speziell auf die Opfer der Bombenangriffe auf Dresden Bezug nehmende Schweigeminute. Diese wurde aus formalen Gründen der Geschäftsordnung zurückgewiesen.

Als Landtagspräsident Iltgen dann am nächsten Morgen kurz vor dem offiziellen Beginn der Aktuellen Stunde die Abgeordneten zur abgesprochenen Schweigeminute aufrief, kam es zum "Eklat": Während alle anderen Abgeordneten sich zur Schweigeminute erhoben, verließ die NPD-Fraktion geschlossen den Plenarsaal.

Bilder aus dem Landtag sorgten für Aufsehen

Die Bilder sorgten für Aufsehen, und der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt erklärte den Handlungsbedarf seiner Parteikollegen: "Der undemokratische Entschluß des Landtagspräsidiums, den Antrag der NPD-Fraktion im Dresdener Landtag unter den Tisch fallen zu lassen und durch einseitiges Gedenken zu ersetzen, ist der wirkliche Skandal."

Nichtsdestotrotz nutzte der Fraktionschef der NPD, Holger Apfel, die Gunst der etwas anderen Aktuellen Stunde, sprach von "kaltblütig geplantem industriellen Massenmord", "anglo-amerikanischer Gangsterpolitik" und fuhr laut Redeprotokoll fort: "Das Theater, das Sie hier heute veranstaltet haben, spricht für sich, und eigentlich erübrigt sich jedes weitere Wort. Die Bürger Dresdens und der anderen sächsischen Städte, die allen Grund haben, in diesen Wochen ihrer Vergangenheit würdig zu gedenken, werden sich merken, was Sie anläßlich des 60. Jahrestages des alliierten Bombenterrors hier im Landtag abgeliefert haben. Wir haben es nicht nötig, wie Sie ins gleiche Horn der Betroffenheit oder Empörung zu stoßen. Dazu ist uns das Anliegen, das Gedenken an ein beispielloses Jahrhundertverbrechen einfach zu wichtig, das Sie zu verdrängen, herunterzuspielen oder zu bagatellisieren versuchen. Mit uns geht das nicht, meine Damen und Herren, und das werden Sie inzwischen auch gemerkt haben. Wir bleiben deshalb auch dabei, daß wir die Erinnerung an den Bombenholocaust und die endgültige Aufarbeitung dieses Verbrechens institutionalisiert wissen wollen. In der seriösen Forschung sind die Ereignisse von einst längst unumstritten. Dies wollen Sie natürlich nicht wahrhaben, Sie und Ihresgleichen laden lieber Propagandisten der Sieger-Geschichtsschreibung ein, die - wie hier im Rathaus geschehen - die Opfer nach 60 Jahren auch noch verhöhnen."

Apfel überschritt seine Redezeit, und Landtagspräsident Iltgen schaltete ihm das Mikrofon ab. Danach trat der Alterspräsident, der SPD-Abgeordnete Cornelius Weiss, ans Pult und bezichtigte Apfel einer Rede "mit Schaum vor dem Mund in Goebbelsscher Manier".

In Anbetracht der Ereignisse trat wenig später das Landtagspräsidium zusammen und kam überein, die Wortprotokolle der NPD-Beiträge auf Aussagen zu überprüfen, die etwa juristische Schritte oder weitere Sanktionen nötig machen könnten. Doch die Staatsanwaltschaft Dresden machte dem wenig Hoffnung und erklärte, daß gegen die NPD-Abgeordneten aufgrund Artikel 55 der sächsischen Verfassung nicht ermittelt werden könnte: "Abgeordnete dürfen zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie im Landtag oder sonst in Ausübung ihres Mandats getan haben, gerichtlich oder dienstlich verfolgt (...) werden. Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen."

Foto: Holger Apfel im Sächsischen Landtag: Die NPD Partei ist isoliert


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen