© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/05 28. Januar 2005

Bleiplatte
Le-Pen-Interview sorgt in Frankreich für Wirbe
(JF)

Man sagt sich: 'Dieser Typ ist verrückt geworden'", kom-mentierte der Sprecher der französischen Sozialisten (PS), Julien Dray, kontroverse Ansichten von Jean-Marie Le Pen über die Zeit der deutschen Besatzung Frankreichs 1940 bis 1945. Der französische Justizminister Dominique Perben hat inzwischen sogar die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, um Ermittlungen gegen den Chef des Front National (FN) einzuleiten, weil dieser die Besatzungszeit in einem langen, zweiseitigen Interview mit der rechten Wochenzeitung Rivarol (Ausgabe vom 7. Januar 2005) als "nicht besonders unmenschlich" bezeichnet hat - ein Ergebnis steht noch aus.

Die publizistischen Wogen haben sich inzwischen etwas geglättet. Le Pen konnte sogar einen kleinen juristischen Erfolg verbuchen: Die Tageszeitung Le Monde darf nicht mehr behaupten, Le Pen habe in dem Rivarol-Interview die Gestapo als "Polizei, die die Bevölkerung beschützte", bezeichnet. Wörtlich sagte Le Pen in dem Rivarol-Interview auf die Frage, was er von den "Feierlichkeiten zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Propaganda, die uns das ganze Jahr lang bevorsteht", halte:

"Zumindest in Frankreich war die deutsche Besatzung nicht besonders unmenschlich, auch wenn es zu Übertretungen kam, die in einem Land mit einer Fläche von 550.000 Quadratmetern unvermeidlich waren.

Ich erinnere mich, wie im Norden des Landes ein deutscher Leutnant , der verrückt war vor Trauer, nachdem Attentäter einen Zug zum Entgleisen gebracht hatten, in dem seine jungen Soldaten saßen, das ganze Dorf erschießen wollte. Die von der SNCF alarmierte Gestapo war sofort in zwei Autos zur Stelle, um das Massaker zu verhindern. Man könnte zahlreiche Anekdoten dieser Art aufzählen. Über das Drama von Oradour-sur-Glane gäbe es ebenfalls viel zu sagen.

Hätten die Deutschen im übrigen allerorten Massenhinrichtungen veranstaltet, wie landläufig behauptet wird, hätten sie keine Konzentrationslager für die aus politischen Gründen Deportierten gebraucht. Sicher, wenn man fünf Minuten, nachdem vier Wehrmachtsoldaten erschossen wurden, mit einer Schußwaffe aufgegriffen wurde, wurde man schnell zu Hackfleisch gemacht, aber bedenken Sie, daß die Deutschen bei Vergehen ihren eigenen Soldaten gegenüber genauso vorgingen. Über all diesen Themen liegt also seit Jahrzehnten eine erdrückende Bleiplatte, und wie Sie richtig sagen, wird sie das ganze Jahr lang ihre Wirkung zeigen. (...) Nicht nur von der Europäischen Union und von der Globalisierung müssen wir unser Land erlösen, sondern auch von den Lügen über seine Geschichte."

Kaum Widerspruch erregten Le Pens Ansichten zum Beschluß der EU-Staats- und Regierungschefs, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen:

"Ich schätze dieses Land, das ich seit Jahrzehnten von Segeltouren in seinen Gewässern kenne, und es ist in unserem Interesse, fruchtbare wirtschaftliche, soziale und kulturelle Beziehungen zu ihm aufzubauen. Aber schon als die Türkei 1986 ebenso wie Marokko in den Gemeinsamen Markt, wie es damals noch hieß, aufgenommen werden wollte, habe ich klargestellt, daß es überhaupt nicht in Frage kommen dürfte, daß diese Länder einem europäischen Organismus beitreten, und zwar aus einem fundamentalen Grund nicht: Sie sind weder geographisch noch historisch, weder soziologisch noch kulturell Europäer."


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