© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/05 28. Januar 2005

Neue Zielgruppe: Diskotheken stellen sich auf die mittlere Generation ein
Pennäler bleiben draußen
Frank Liebermann

Bereits um 22 Uhr hat sich eine riesige Schlange vor dem Club gebildet. Die Besucher stehen sich die Beine in den Leib. Die einen tapsen vom rechten Fuß auf den linken, einige tippen SMS in ihr Mobiltelefon, und die nächsten versuchen sich mit harmlosem Geplänkel mit anderen Wartenden die Zeit zu vertreiben. Ein Blick zurück zeigt, die Schlange wird nicht kleiner, sie wächst. Nach wenigen Minuten stehe ich endlich an der Kasse und darf meinen Obulus entrichten. Hier legt kein Top-DJ aus London auf und es gibt auch keine Gratisdrinks. Selbst Prominente bleiben aus. Nein, der Grund für den Ansturm ist ein anderer. Heute ist Ü-30-Party. Die Türsteher kontrollieren von jedem, der rein will, erst einmal den Ausweis. Nur wer nachweislich über 30 Jahre alt ist, darf auf die Party. Ich habe gar keine Probleme. Freundlich winkt mich der Türsteher durch. Schließlich bin ich auch schon 37 und gehöre damit zum Zielpublikum.

Ü-30 ist "in". Immer mehr Clubs und Bars springen auf das neue Konzept. Abgrenzung ist das Motto der Partys. Junges Publikum ist nicht erwünscht. Zu jung sind alle, die eine magische Altersschwelle noch nicht erreicht haben. Ü-Partys gibt es in den unterschiedlichsten Variationen. Ü-28, Ü-25 oder für Männer Ü-30 und für Frauen Ü-egal. Hauptsache, das Jungvolk bleibt draußen.

Auch die Partys lassen sich unterscheiden. Es gibt die normalen Partys, bei denen es um die Abgrenzung von den Jugendlichen geht. Jung sein ist nämlich nicht nur schön und lustig. Pickelgesichter im Alkopop-Rausch und übergewichtige Britney-Spears-Klone versauen einem schnell den Abend. Vor allem dann, wenn sie in Horden einfallen. Daher kamen pfiffige Veranstalter auf die Idee, diese Sorte von Gästen auszugrenzen. Diskussionen um die Schule gibt es nicht, und auch die obligatorische Studentenfrage "Wieviel Miete zahlst du?" bleibt außen vor.

Die andere Art von Ü-30 Partys sind die Singlepartys. Hier tummeln sich die Übriggebliebenen und nutzen ihre Chancen zur Akquisition neuer Bekanntschaften. Das Geschlechterverhältnis Mann/Frau beträgt 70:30. Es ist also mal wieder ein typischer Diskoabend. An der Bar komme ich mit einem Typen ins Gespräch. "Du hast ein tolles Lachen", sagt er zu mir. Jochen ist 32 und schwul. Er lädt mich zum Bier ein und fragt mich, ob ich auf Männer stehe. Nachdem ich verneine, macht ihm das auch nichts aus, und er erklärt mir: "Ich frag dich nach ein paar Bieren noch mal."

Nach diesem tollen Einstand kann es ja nur besser werden. Die Musik ist ein Alptraum. Von Kylie Minogue über die Weather Girls bis zu den Randfichten bleibt einem nichts erspart. Auf der Tanzfläche hüpfen die ersten Frauen herum. Eine trägt tatsächlich einen Rock und eine Hose darunter. Geschmacksverirrungen gibt es also auch beim älteren Publikum. Aber etwas ist anders bei der Party. Die Besucher sind kommunikativer, die Flirthäufigkeit ist höher als bei normalen Diskobesuchen.

Tom ist Partyveranstalter. "Ü-30 ist stark im Kommen", erklärt er mir. "Die Leute machen keinen Streß und haben Kohle. Da sind alle zufrieden. Ich kassiere den Eintritt, der Inhaber verdient am Umsatz." Aber nicht nur das. "Es gibt keine Schlägereien, die Leute sind zufrieden, zahlen und gehen", fährt er fort. Ü-30 ist der Traum eines jeden Gastronomen. Viel Umsatz mit wenig Aufwand. "Im Gegensatz zu normalen Abenden muß der Türsteher nur nach Alter selektieren", beschreibt Tom sein Konzept. Früher kontrollierten Türsteher Ausweise, um die Belange des Jugendschutzes durchzusetzen. Unter 16jährige mußten Discos um Mitternacht verlassen. Heute dürfen sie erst gar nicht mehr rein.

Die Ü-30, die bisher dachten, sie seien eine Randgruppe, entdecken sich selbst. Alkohol fließt in Strömen, Torschlußpanik motiviert auch die Schüchternsten zur Kommunikation. Aber auch hier ist etwas anders. Nicht plumpe Bettgeschichten sind das Ziel. "Ü" steht hier auch für die Übriggebliebenen. Die letzte Chance zum Kinderkriegen und Heiraten wird genutzt. Die biologischen Uhren ticken parallel zum Sound von Robbie Williams "Let me entertain you".

Für die Wirtschaft wird die Zielgruppe der über Dreißigjährigen immer wichtiger. Der Zwang zur beruflichen Mobilität reißt Menschen immer häufiger aus ihrem sozialen Umfeld und ihren Beziehungen. Hinzu kommt die niedrige Geburtenrate, was die Besucherzahlen in Diskotheken sowieso drückt. Andererseits besteht die Ü-30 Generation zur Zeit aus den geburtenstarken Jahrgängen, die noch immer eine große Marktmacht darstellen. Beruflich stehen sie voll im Saft und können, Arbeitsplatz vorausgesetzt, ihr Geld in den Konsum investieren. Vor allem dann, wenn sie Singles sind und keine Verantwortung für eine Familie übernehmen müssen. Reiseveranstalter und Lebensmittelproduzenten sind auf diesen Trend schon lange angesprungen. Sie bieten für diese Zielgruppe maßgeschneiderte Produkte an. Jetzt folgen die Partyveranstalter.

Am Ende des Abends haben sich zwar einige Pärchen gebildet, der Großteil der Besucher verläßt wieder alleine den Club. Was ist das Besondere an den Ü-30 Partys? Vermutlich liegt es daran, daß hier ernsthafte Partnersuche betrieben wird. Die Chance auf die eigene Familie oder eine neue Liebe soll genutzt werden. Da stören die Teenies nur. Anders als die Nachkriegsgeneration wissen die Ü-30, daß sie keine Rente kriegen. Und anders als die Generationen vor ihnen, die die schlechten Zeiten noch kannten, wissen die Ü-30, daß die richtig schlechten erst noch kommen. Aber das macht fast nicht. Dank Papas Einfamilienhäuschen werden wir auch im Alter noch leistungsfähig und finanziell potent sein. Die wenigen Jungen, die es dann noch gibt? Die müssen Danke sagen, wenn wir sie ab und zu mal reinlassen.


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